ray Filmmagazin » Interview » Kunst ist dann spannend, wenn sie ungeschützt dasteht

Wie man leben soll – Thomas Glavinic und David Schalko

Kunst ist dann spannend, wenn sie ungeschützt dasteht

| Erna Cuesta |

„ray“ sprach anlässlich der Literaturverfilmung „Wie man leben soll“ mit Thomas Glavinic, der die Romanvorlage schrieb, und David Schalko, der das Werk auf die Leinwand bringt. Eine monologisch angehauchte Anleitung zum Künstlerdasein.

Werbung

Es gibt die berühmte Hitchcock-Regel, die besagt, dass man lieber nur schlechte Bücher verfilmen soll – und genau daran habe ich mich gleich bei meinem ersten Kinofilm nicht gehalten“, stellt David Schalko bei Kaffee und Interview schmunzelnd fest. Sein jüngstes Projekt Wie man leben soll ist gerade abgedreht und steht vor der Postproduktion; angepeiltes Ziel sind die Filmfestspiele von Berlin 2011. Nur dort, so der Filmemacher, passe die Kinoadaption des Erfolgsromans von Thomas Glavinic wirklich hin, würden nonlineare Erzählung, Sprache und Humor wohl besser verstanden werden als auf „kommerzielleren“ Festivals wie Cannes oder Venedig.

In jeder Hinsicht ist dieses Werk ein außergewöhnliches, eigentlich unmögliches Unterfangen: „Kabarettist Thomas Maurer und ich wollten vor ungefähr sechs Jahren etwas gemeinsam schreiben, konnten uns aber auf keinen Stoff einigen“, so Schalko. „Wie das Leben so spielt, haben wir beide das Buch ‚Wie man leben soll‘ gelesen, es gemocht und sofort gewusst, dass es unverfilmbar ist. Aus genau diesem Gedanken heraus haben wir begonnen, daran zu schreiben.“ Glavinic hat sich auch bei dieser Verfilmung seines 2004 erschienenen Entwicklungsromans, der formal wie ein Ratgeber gestaltet ist, nicht einbinden lassen, geschweige denn sich eingemischt. Das Drehbuchautorenteam Maurer/Schalko hat Dinge dazugedichtet – mit wohlwollender Zustimmung des Erfinders.

„Glavinic-Bücher sind in der Regel filmfreundlich geschrieben. Allerdings ist dieses eine Ausnahme, da es keine lineare Erzählung, wenig vorgegebene Bilder und kaum Szenen gibt; es ist sehr assoziativ. Wir machen einen Film im Geiste des Buches. Die Vorlage ist formell schwierig für das Kino zu übersetzen – das ist auch das Reizvolle an dem Projekt“, so Schalko.

Schalko steckt noch mittendrin in dem mit 2,7 Millionen Euro erstaunlich hoch dotierten, mit über 70 Schauspielern besetzten Projekt, vielleicht hat er deswegen so viel darüber zu sagen. In seiner Brust wohnen gar viele Seelen; er ist selbst ein „Schreiberling“ und weiß um die Hassliebe zwischen Film und Literatur: „Mir liegen Romanverfilmungen nicht wirklich … Eine ganz normale 1:1-Romanverfilmung interessiert mich überhaupt nicht. Da kann man gleich das Buch lesen, da reduziert sich der Film auf ein reines Vermarktungsinstrument. Ein Film muss dem Buch eine zusätzliche Dimension geben, damit er Sinn macht.“ In Thomas Glavinics Kopf hingegen – wir haben ihn getrennt von David Schalko befragt – wütet eine andere Befindlichkeit: „Ich fühle mich dem Film viel verwandter als der
Lyrik.  Wenn ich schreibe, denke ich vorwiegend in Bildern, meine
Geschichte setzt sich nicht in Wörtern oder Szenen fort.“

Neuland betreten, Späher sein

David Schalkos Kunst scheint es zu sein, sich mit der Kunst, ihren Ansprüchen und Herausforderungen auseinanderzusetzen.
Stets versucht er, den Dingen einen Mantel zu geben, den es in der Form noch nicht gibt. „Ich bewundere Leute wie Lars von Trier, die so etwas wie ,Pionierarbeit‘ leisten – auch wenn das übertrieben klingen mag. Man kann nicht immer alles neu erfinden. Aber zumindest möchte auch ich Dinge entwickeln, die es nicht schon hundertfach gibt. Da rutscht man natürlich schnell in die experimentelle Ecke, scheitert manchmal und manchmal auch nicht. Das ist das Wesen des Experimentellen, es gibt keine Rezeptur dafür. Ich finde es interessant, wenn es keine Rezeptur gibt, wenn man ein bisschen das Gefühl hat, dass man das selbst nicht kann, sich selbst ein bisschen aufs Glatteis führt.“

Kunst im Sinne David Schalkos muss für ihren Schöpfer gefährlich sein und auch das Spiel gegen die Routine wagen. „Da gibt es für mich große Unterschiede in der Kunst. Zynismus herzustellen etwa ist das Einfachste, ein geschützter Bereich. Kunst ist erst dann spannend, wenn sie ungeschützt dasteht und sich verletzbar macht. Ich könnte mich nie mit jemandem künstlerisch beschäftigen, den ich nicht mag, denn ich versuche ja, ihn zu verstehen. Beziehungsweise lasse ich mich auf ein Phänomen ein!“

Harte Knochen- und Seelenarbeit also. Doch woher holen sich die beiden Herren ihre Erfolgs- und Glücksmomente? Für Schalko scheinen sie eng mit künstlerischer Produktivität verbunden zu sein: „Der Erfolg und die Befriedigung entstehen für mich im Tun selbst. Würde ich mich mit der Frage beschäftigen, ob es hundert anderen auch gefällt, dann wäre es nicht Kunst, sondern Wirtschaftsware und für mich schon beim Machen langweilig. Ich habe aufgehört, mir Gedanken darüber zu machen, ob oder wie etwas gefällt. Das birgt so und so immer Frustration, weil man sich dann meist un- oder auch missverstanden fühlt. Wenn man sich danach richtet, landet man wahrscheinlich in der Psychiatrie! Neuland zu betreten, eine Art Späher zu sein, der sich für neue Zusammenhänge interessiert, das ist mein Weg, mein Stil und meine Verwirklichung.“

Glavinic empfindet das Erschaffen von literarischen Welten als Befriedigung: „Paradoxerweise stellt sich mein Glücksgefühl nicht am Verkaufs-, sondern am Schreibtisch ein. Das ist ein sehr einsames Glücksgefühl, aber mein ehrlichstes … Natürlich macht es keinen Sinn, einen Roman zu schreiben, den man nur selbst versteht, aber mein Erfolg stellt sich nicht beim Leser, sondern beim Schreiben ein. Ich weiß, dass ich das Wesen des Romans beherrsche! Natürlich ist das Scheitern nie ausgeschlossen, aber ich wiege mich da in einer eigenen Sicherheit, die befriedigend ist.“

Gedanken kreisen weiter

Theorien zum Thema Kreativität gibt es in endloser Zahl. Immer wieder wird versucht, den Entstehungsprozess zu analysieren oder in Frage zu stellen. Legionen von Künstlern quer durch die Sparten quälen sich mit der Frage, ob sie ihre Kunstwerke festhalten oder loslassen sollen. Kann man ein Kunstwerk überhaupt vollenden? Wann sind Buch oder Film für die Schöpfer abgeschlossen?

„Ein Buch ist abgeschlossen“, so Schalko, „wenn es gedruckt, ein Film, wenn er auf dem Markt ist. Nicht ganz, natürlich, weil man ja oft Themen aus seinen Büchern mitnimmt, immer wieder unbewusst auftauchen lässt und weiterentwickelt. Ich nenne das bei Büchern „Spurenelemente, die haptisch werden“. Wenn ich ein Buch in Händen halte, sind das haptische Momentaufnahmen einer Geschichte. Die Gedanken hält man ja nicht in der Hand, das ist nur eine Illusion, die erzeugt wird. Also ist Kunst nie abgeschlossen … Auch wenn es gerne so gesehen wird, haben wir keinen normalen Beruf. Er nimmt zwar genauso viel Zeit in Anspruch wie ein Handwerk, ist aber eine Wahrnehmungsform. Aus dieser Form kommt man auch nicht heraus, wenn man die Bürotür zumacht; es ist eine dauerhafte Lebensform. Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen, sie ist eine Art Sucht. Es schwirren einem ewig Sachen im Kopf herum, die sich irgendwann, vielleicht 20 Jahre später, manifestieren.“

Glavinic: „Ich bin in der glücklichen Position, das machen zu können, woran ich glaube, und kann davon leben. Sehr gut sogar. Verantwortung habe ich mir und meinem Talent gegenüber, und deshalb sollte oder will ich das auch gut machen. Manchmal habe ich das Gefühl, meine Arbeit ernst zu nehmen, damit ich die Menschen nicht so ernst nehmen muss. Das ist verdammt anstrengend, erklärt aber auch, warum Gedanken ständig weiterkreisen, Themen sich in den verschiedensten
Büchern wiederfinden und nie abgeschlossen sind. Die Form der Auslotung ist aber immer eine andere, so gesehen könnte man jedes Buch als ‚fertiges‘ Kapitel sehen.“

Wenn es nicht immer diese wiederkehrenden, unlösbaren Fragen gäbe. Thomas Glavinics Romanheld Charlie Kolostrum, der übergewichtige, ewige Zweite, hat die Frage, die der Titel stellt, für sich beantwortet. Wie aber steht David Schalko dazu? „Es gibt wohl kaum Menschen, die sich keine Gedanken darüber machen. Man sollte aber auch nicht ständig darüber nachgrübeln und darüber vergessen zu leben! Die bequeme Haltung des ständigen Reflektierens ist nur ein Wegschieben, eine Flucht vor Entscheidungen. Das habe ich mir abgewöhnt. Ich habe heute kein Problem, Entscheidungen zu treffen, weil ich auch gut mit Fehlentscheidungen leben kann. Das Scheitern macht mir keine Angst. Solange ich machen kann, was ich will, ist es mir lieber, auf hohem Niveau zu scheitern, als es zu bequem und sicher und gar nicht probiert zu haben.“

In „Wie man leben soll“ spielen unter anderem Robert Stadlober, Lukas
Resetarits, Michael Ostrowski, Bibiane Zeller und Michael Niavarani.