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Koreanisches Kino

Trinken für die Produktion

| Ralph Umard |

Ein Gespräch mit Hong Sang-soo anlässlich seines preisgekrönten Low-Budget-Films „Hahaha“, der bei der Viennale Österreich-Premiere hat.

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Seit seinem Regiedebüt Der Tag, an dem ein Schwein in den Brunnen fiel (1996) hat Hong Sang-soo sich als einer der talentiertesten und außergewöhnlichsten Regisseure Asiens etabliert. Seine Filme erscheinen auf den ersten Blick oft unspektakulär, doch bei genauerem Hinsehen werden neurotische menschliche Beziehungen, männliches Selbstmitleid, berufliches Versagen und nicht zuletzt der Tod auf mitunter irritierend humorvolle Art verhandelt. Der 1960 in Seoul geborene Hong studierte zunächst Film an der Chungang Universität, bevor er ans Kunstinstitut in Chicago wechselte. Noch heute arbeitet er parallel als Professor an der Filmhochschule in Seoul. Seine Filme sind regelmäßig auf den großen Festivals in Cannes und Venedig eingeladen. Hahaha, der nun auf der Viennale zu sehen ist, wurde beim Festival in Cannes mit dem Prix Un Certain Regard ausgezeichnet.

Wie sieht Ihre Arbeitsweise aus? Wie entsteht ein Projekt wie Hahaha von der Idee bis zum fertigen Film?
Hong Sang-soo:
Normalerweise entscheide ich mich zuerst für eine Jahreszeit, ob der Film im Sommer oder Winter spielt. Dann wähle ich einen Handlungsort und überlege mir die Grundsituation. Für Hahaha bin ich in den Süden des Landes gereist, in eine Stadt namens Tongyeong, den Geburtsort meiner Mutter, den ich nie zuvor gesehen hatte. Ich ging schon mit der Absicht hin, dort vielleicht meinen nächsten Film zu drehen und blieb für zwei Tage. Und vieles, was mir dort begegnet ist und meine emotionalen Reaktionen darauf sind Teil des Films geworden. Ich kam nach diesen zwei Tagen mit einer Struktur für den Film zurück und mit der Idee dieser zwei Freunde, die sich beide über ihre Erinnerungen an Tongyeong unterhalten und nicht realisieren, dass sie an denselben Orten waren.

Wie geht es dann weiter?
Hong Sang-soo: Danach habe ich die Darsteller für die Rollen gesucht. Mir sind die Persönlichkeiten meiner Schauspieler sehr wichtig, nicht so sehr, was sie bisher gespielt haben, sondern was ich in ihnen als Menschen sehe. Diese Eindrücke sind meine Grundlage, um die Figuren zu entwickeln. Nachdem ich sie gefunden hatte, haben wir erstmal zusammen gezecht, um uns kennen zu lernen und Vertrauen aufzubauen. Und dann, während der Dreharbeiten, komme ich immer zwei Stunden vor allen anderen und setze mich an einen kleinen Tisch, mit meinem Laptop und Drucker, und schreibe die Szenen für den jeweiligen Tag. Wenn die Darsteller dann kommen, haben sie eine halbe Stunde, um die Dialoge zu lernen und dann drehen wir.

Damit setzen Sie sich und die anderen einem ziemlichen Druck aus, oder?
Hong Sang-soo: Ja, sie warten auf mich. Wenn ich nichts habe …

Kommt es vor, dass Sie eine Schreibblockade haben?
Hong Sang-soo: Nein, nie.

Einer der beiden Freunde, ein Filmemacher, besucht seine Mutter in dem Ort. Wie autobiografisch ist Hahaha?
Hong Sang-soo: Über so etwas mache ich mir nie Gedanken. Alles, was in meinen Filmen ist, kommt aus mir heraus. Erinnerungen, Erfahrungen, meine Sicht der Welt. Aber deswegen ist es auch nicht relevant, wie exakt eine Geschichte mein eigenes Leben spiegelt.

Sie erwähnten vorhin Trinken als ein wichtiges Element der Produktionsvorbereitung. Und Trinkgelage tauchen auch in Ihren Filmen immer wieder auf.
Hong Sang-soo: Koreaner trinken ganz allgemein sehr gern und viel. Ich persönlich trinke einfach gern, wenn ich jemanden treffe und einen netten Abend verbringen will. Und es ist eine schöne Möglichkeit, Dinge zu gestehen, die einem im nüchternen Zustand unangenehm wären. Dadurch bekommt man einen viel stärkeren und weniger gefilterten Eindruck der Persönlichkeit seines Gegenübers. Das stimuliert mich und erinnert mich womöglich an etwas, das mir selbst einmal passiert ist. Und dann teste ich, ob diese Erinnerung zu dem Schauspieler und seiner Figur passt.

Auch in der Handlung selbst ist Alkohol oft ein Motor für dramatische Momente.
Hong Sang-soo: Das ist immer sehr intuitiv, auch wenn sich viele Motive in meinen Filmen wiederholen. Ich analysiere das nie, ich nutze sie nur.

Ein weiteres Motiv ist die wiederkehrende Aggression in ihren Filmen. Ihre Figuren werden sauer und schreien, da geht auch mal Geschirr zu Bruch. Woher kommt das?
Hong Sang-soo: Wer weiß … (Lacht.) So was fällt mir einfach ein. Ich habe am Anfang nur eine Struktur und Tag für Tag nimmt die Geschichte mehr an Form an und damit auch die Figuren. Das fliegt mir so zu, ich erzwinge nichts. Ich habe keine Plotpoints, auf die ich die Geschichte hindrehen muss. So arbeite ich nicht. Ich folge nur diesem roten Faden, der aber selbst immer noch die Richtung ändern kann, und warte darauf, was mir so zufliegt. Ich entscheide dann nur noch, ob es passt oder nicht. Anders kann ich es nicht erklären. Früher hatte ich meist zwei Drittel schon vorbereitet und dann morgens nur noch ausformuliert. Heute fallen mir fast alle Dinge meistens am Morgen ein.

Haben Sie schon immer so gearbeitet?
Hong Sang-soo: Nein, meine ersten drei Filme basierten auf fertigen Drehbüchern. Aber mir fiel auf, dass ich während des Drehs soviel daran änderte, dass ich beschloss, nur mit einem Treatment anzufangen. Die ersten waren noch sehr detailreich und vielleicht 30 Seiten lang. Heutzutage werden sie immer kürzer. Hahaha hatte vielleicht fünf oder sieben Seiten.

Fühlen Sie sich mittlerweile als Filmemacher auch sicherer, um sich auf solche Freiheiten einzulassen?
Hong Sang-soo: Womöglich, ja. Aber im Grunde suche ich nur schrittweise nach der mir persönlich nahe liegendsten Art des Filmemachens. Ich kann auch auf konventionellere Art arbeiten, das habe ich bewiesen, aber diese freiere Art bringt eher etwas zum Vorschein. Das Resultat fühlt sich frischer an, origineller. Natürlich ist da der Druck, jeden Morgen etwas zu liefern, aber die Leute sind nett zu mir. Niemand sieht mich deswegen schief an.

Die Schauspieler dürften mittlerweile auch wissen, dass Sie diesen seltenen Ansatz verfolgen.
Hong Sang-soo: Das ist ihnen für gewöhnlich bewusst, wenn ich sie anfrage. Zu Beginn ist fast jeder noch etwas nervös, aber wahrscheinlich 90 Prozent finden spätestens am zweiten Tag Gefallen daran. Sie müssen nichts vorbereiten und können all das vergessen, was sie seit Jahren als Methode verwenden. Sie müssen sich auf etwas in ihnen selbst verlassen. Wenn sie nach dem Dreh die Szene auf dem Monitor anschauen, sehen sie oft etwas Neues, Unbekanntes in ihnen selbst. Und nach dem Dreh haben sie nichts zu lernen, also relaxen sie, lesen, trinken. Ist doch toll!

Sie sind parallel auch Professor an einer Filmschule. Wie beeinflussen einander diese beiden Tätigkeiten?
Hong Sang-soo: Ich versuche, dazwischen eine Wand aufzubauen. Wenn ich lehre, muss ich mich auf jeden Studenten individuell einlassen. Da geht es nicht um Effizienz, sondern um Aufmerksamkeit, zuhören können und sie darin zu unterstützen, die eigenen Stärken zu fördern. Beim Filmen geht es vor allem um Effizienz, da muss ich oft harte Entscheidungen treffen. Deshalb frage ich auch nie Studenten, bei meinen Filmen mitzuwirken, auch wenn sie das gerne hätten. Ich will das getrennt halten.

Sie haben eine recht unromantische Sicht auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau.
Hong Sang-soo: Wir sind dauernd in Bewegung, leben unsere Leben und sind doch auf der Suche nach dem perfekten Gegenüber, das uns komplettiert. Aber das existiert gar nicht. Also bewegen wir uns immer weiter. Die ideale Liebe ist ein Mythos, aber sie treibt uns an, immer weiter. Das muss gar nicht so schlecht sein.

Wie wichtig ist Humor in Ihren Filmen?
Hong Sang-soo: Ich schreibe nie absichtlich eine lustige Szene. Aber manchmal stellt sich eine Szene als komisch, leicht unbehaglich heraus. All diese banalen, alltäglichen, langweiligen Momente, in denen wir nicht genau wissen, was wir eigentlich gerade tun. Da hilft Humor.

Sie zeigen Männer oft als sich selbst überschätzende Aufschneider und zeigen damit einen sehr komischen Blick auf Ihr eigenes Geschlecht. Und beweisen damit am Ende vielleicht auch Selbstironie?
Hong Sang-soo: Auf eine Art sicher. Ich bin einer von denen. Aber mir geht es weder um Selbstmitleid noch um Selbstüberhöhung. Wir Männer sind so. Ich habe noch keinen gesehen, der perfekt ist. Ich bin 51 Jahre alt und habe noch nie in meinem Leben die ideale Frau gesehen.

Sie sind 51? Ich hatte gelesen, sie seien am 25. Oktober 1960 geboren – damit würden Sie diesen Monat 50. Geburtstag feiern. Stimmt das nicht?
Hong Sang-soo: Nicht nach der koreanischen Rechnung. In Korea ist man bei der Geburt ein Jahr alt, weil man bereits im Mutterleib gelebt hat.

Wie würden Sie Ihre Position im koreanischen Kino beschreiben?
Hong Sang-soo: Oh, keine Ahnung. Darüber mache ich mir keine Gedanken.

Haben Sie den Eindruck, dass Sie in Europa mehr Beachtung finden als in Ihrer Heimat?
Hong Sang-soo: Nein. Mein neuer Film Oki’s Movie lief am 16. September in Südkorea an und in einem der zwei Kinomagazine des Landes wurde auf über zehn Seiten darüber berichtet. Ich habe großes Glück, dass ich mein Publikum finde.

Oki’s Movie lief Anfang September auf dem Filmfest Venedig und ist noch experimenteller als Hahaha. Sie verweben darin vier Kurzfilme miteinander. Wie kamen Sie auf diese Struktur?
Hong Sang-soo: Schrittweise und erst während der Dreharbeiten selbst. Ich hatte kein Drehbuch, nicht mal ein Treatment. Nur zwei Seiten mit Notizen. Das war neu für mich. Normalerweise habe ich ein Treatment für den gesamten Film. Diesmal wollte ich bei Null anfangen, mit fast nichts in Händen. Erst zwei Tage vor dem Dreh habe ich etwas aufgeschrieben und selbst das habe ich während des Drehs noch sechsmal umgeschrieben. Daraus entstand schließlich der erste Teil des Films, A Day For Incantation. Als ich ihn beendet hatte, begann ich mir Gedanken über den nächsten zu machen, dann den nächsten und so weiter.

Wieso haben Sie sich für diese Arbeitsmethode entschieden?
Hong Sang-soo: Ich wollte etwas Neues ausprobieren und sehen, was passiert, wenn ich mich diesen Situationen aussetze.

Was waren dabei im Nachhinein die größten Schwierigkeiten? Oder war es womöglich sogar einfacher, befreiender so zu arbeiten?
Hong Sang-soo: Für mich war es nicht besonders schwierig, aber die Crew musste sehr hart arbeiten. Ich hatte nur vier Leute dabei anstatt 12 wie sonst. Ein Kameramann, einer fürs Licht, einer für den Ton und der Aufnahmeleiter. Jeder hatte alle Hände voll zu tun, der Beleuchter musste auch mal das Objektiv fokussieren oder der Aufnahmeleiter die Location für Passanten sperren.

War die Größe der Crew auch der Tatsache geschuldet, dass alles recht spontan und improvisiert war?
Hong Sang-soo: Nein, ich wollte einfach sehen, was in einer solchen Konstellation passiert und möglich ist. Mir war bewusst, dass ich den Film vielleicht nie werde fertig stellen können. Alles ist auf das Nötigste reduziert. Die Drehorte sind alle in der Nähe meiner Schule, an der ich lehre. Bei keinem von ihnen hat die Drehgenehmigung etwas gekostet. Ich wusste, dass mein Unterfangen riskant war, aber das Budget war auch verschwindend gering. Und am Ende habe ich den Film doch fertig gestellt.

Wussten Sie im Treatment bereits, dass der Film aus vier Teilen bestehen würde?
Hong Sang-soo: Nein, auch das nicht. Darin stand nur etwas von einem Mann, der durch die Stadt läuft. Daraus habe ich einen Kurzfilm von 27 Minuten gemacht. Und ich hätte es dabei belassen können, aber ich wollte einen zweiten Teil machen. Und danach wusste ich, dass ich daraus etwas in Spielfilmlänge machen könnte. Also entwickelte ich einen vierten Teil und danach den dritten.

Für Hahaha wurden Sie in Cannes mit dem Prix Un Certain Regard ausgezeichnet. Ihre anderen Filme haben viele weitere Preise erhalten. Wie wichtig sind sie für Sie persönlich und für die Finanzierung der nächsten Filme?
Hong Sang-soo: Ach, meine Budgets sind so niedrig, irgendwie geht es immer. Seit ich vor vier Jahren meine eigene Produktionsfirma gegründet habe, bin ich weder auf die Filmindustrie noch auf Filmförderung angewiesen. Die finanzielle Beschränkung muss man durch Kreativität kompensieren. Vor allem aber muss man nicht mehr darauf warten, bis sich mal ein Investor oder eine Filmförderung entschließt, ohne zu wissen wie lang und ob es am Ende erfolgreich ist. Stattdessen frage ich lieber meine Freunde, sehr viele von ihnen, mir eine kleine Summe zu leihen, und auch meine Crew und Darsteller arbeiten für sehr wenig. Aber sobald der Film Gewinn macht, gebe ich ihn an sie weiter. So kann ich es mir leisten, weiter Filme zu machen.

Von welchen Summen reden wir hier?
Hong Sang-soo: Hahaha hat 100.000 US-Dollar gekostet und Oki’s Movie etwa 20.000 US-Dollar.

Damit sind Sie das beste Beispiel, dass es nicht wichtig ist, viel Geld zu haben, um einen guten Film zu machen. Bringen Sie das auch Ihren Studenten bei?
Hong Sang-soo: Wenn Sie mich als Vorbild nehmen, ja. Aber ich drücke ihnen nicht meine Art als die einzig mögliche auf. Ich will das Beste aus ihnen selbst herausholen und sie darin bestärken. Sie müssen ihren eigenen Weg finden.

Sie sind demnach das glatte Gegenteil des aufbrausenden Lehrers in Okie’s Movie.
Hong Sang-soo: Manchmal, wenn die Studenten ihre Selbstüberschätzung nicht erkennen, kann ich schon auch mal lauter werden. Aber nur ein bisschen.