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Interview Tom Twyker

Beknackte Doppelmoral

| Thomas Abeltshauser |
Tom Tykwer im Gespräch über Intimität und Sex im Kino, Monogamiediktate, die Schublade „Queer Film“, mithin über seinen vergleichsweise kleinen Berliner Beziehungsfilm „Drei“.

Wieso haben Sie einen Film über ein heterosexuelles Paar gedreht, das sich in denselben Mann verliebt?
Tom Tykwer:
Der Ursprung war eine Sammelbox voller Ideen, die da im Laufe der Jahre reingewandert sind und sich mit Langzeitbeziehungen beschäftigten, Anekdoten von Freunden, eigene Erfahrungen, Artikel. Wie verändert sich eine Beziehung, die langsam älter wird, wie wandelt man die Anfangseuphorie und den Triebwahnsinn um und was passiert dann? Vor allem Sex ist ein wichtiges und kompliziertes Thema, weil man zwar noch genauso viel Lust hat wie früher, nur nicht immer auf dieselbe Person. Das ist eine harte Realität, mit der man leben muss und der jeder zustimmt, aber total gestresst ist, wenn es darum geht, über die eigene Beziehung zu reden, weil es alles in Frage stellen würde. Gleichzeitig muss man damit umgehen. Aber erst die Idee, einen Dritten ins Spiel zu bringen, der zum Objekt der Begierde der beiden Beziehungspartner wird, und keiner vom anderen weiß, machte für mich ein Drehbuch draus. Das klang so einfach und trotzdem hatte ich noch keinen Film gesehen, der das so erzählt. Und über diese Geschichte wollte ich von Menschen erzählen, die sich eingerichtet haben in Strukturen, die ihnen zu eng werden und die nach Möglichkeiten suchen, daraus auszubrechen oder neue Muster zu finden. Das Problem ist ja, dass wir deswegen nicht immer sofort alle anderen Verbindlichkeiten loswerden wollen, das große Dilemma des Monogamieversprechens. Das ist in vielen Zweierbeziehungen einfach zu strikt, das bestätigt ja komischerweise fast jeder, aber wenn es um die eigene Haut geht, kommen sofort wieder die alten Modelle und Besitzansprüche zu Tage.

Es geht im Film auch um die Frage, ob sexuelle Orientierung biologisch determiniert ist.
Tom Tykwer: Kein Mensch sagt von sich, wenn er ganz allein in seinem Kämmerlein ist: „Ich bin ein zu hundert Prozent heterosexueller Mann!“ Natürlich sind wir nicht alle eigentlich schwul, aber jeder Mann hat doch auch seine feminine Seite und umgekehrt. Es geht doch um völlig etablierte Theorien, eben dass wir komplexe sexuelle Wesen sind, da habe ich gar kein Sendungsbewusstsein mehr. Trotzdem scheinen sich davon noch Leute irritieren zu lassen.

Und wo sehen Sie sich selbst?
Tom Tykwer: In so einem offenen, aber dennoch gehemmten Mittelfeld – wie die Figuren im Film. Die trauen sich was, sind aber gestresst davon. Die sind ja nicht locker dabei, Konventionen hinter sich zu lassen. Ich weiß nicht, ob ich es in meinem Alter nochmal hinkriege, sowohl verbindlich in einer Beziehung zu leben als auch dieses Monogamiediktat völlig loszulassen. Das ist extrem schwer. Natürlich weiß ich, dass ich die polygame Möglichkeit gelegentlich gern für mich in Anspruch nehmen würde, aber es würde mir große Schwierigkeiten bereiten, das bei meiner Partnerin zu akzeptieren. Das ist die beknackte Doppelmoral, mit der wir alle zu kämpfen haben. Übrigens auch viele schwule Beziehungen, die ich kenne, selbst wenn es da eine andere Tradition gibt. Aber im Alltag führt diese dann auch dauernd zu Katastrophen.

Mit das Schönste an Drei ist, wie Sie die vorsichtige Annäherung der beiden Männer zeigen.
Tom Tykwer: Wenn man Intimität im Kino darstellen will, wird es immer kompliziert. Sex ist ja überall in den Medien. Und fast immer abtörnend, finde ich. Entweder in Form der Porno-Leistungsmaschinerie, in der ja nur eine Dienstleistung abgeliefert wird, oder in diesen ganzen Filmen, bei denen man sich ob ihrer Verklemmtheit peinlich berührt fühlt, und dann die, bei denen mal ordentlich Gas gegeben wird und man sieht den keuchenden Schauspielern bei ihrer anstrengenden Arbeit zu. Das sieht alles so hergestellt aus. Wir hatten den Anspruch, etwas wenigstens entfernt Wahrhaftiges darzustellen. Aber so viel Sex gibt es in dem Film ja auch nicht. Es sind eher Momente, in denen sich die sexuelle Spannung aufbaut, und das ist in der von dir angesprochenen Szene Sebastian Schipper und Devid Striesow wirklich gut gelungen, finde ich. Aber in allen Sequenzen des Films, wo es um Nähe und Erotik ging, haben wir auf die eher unauffälligeren Details geachtet – diese ganzen Sachen, wenn man sich noch nicht kennt: wie zieht man sich aus, wie küsst der andere, dieser Tanz aus Zögern und mutigen Schritten vorwärts. Wir haben im Vorfeld viel darüber geredet, vor allem darüber, was wir nicht haben wollen. Aber ich habe da gar keinen großen Unterschied zwischen Adam/Hanna und Adam/Simon gemacht. Beide Begegnungen sind geprägt durch Irritation, auch Überforderung, aber aus anderen Gründen.

Hat Tom Tykwer jetzt sein Coming-out als Queerfilmer?
Tom Tykwer: Was ist das denn, ein Queerfilmer? Einer, der solche Themen behandelt? Bitte verschont mich mit Schubladen. Ich bin ja nach Das Parfum auch kein Historienfilmer geworden. Und was die offenere Haltung zu Sexualität im Film betrifft, das hat mich immer schon interessiert. Wenn man sich Serien wie „Six Feet Under“ ansieht, da wird das mit einer Selbstverständlichkeit erzählt, da breche ich ja nicht zu neuen Ufern auf. Oder Brokeback Mountain von Ang Lee – da würde mich mal interessieren, wie queer der selber ist. Der Unterschied von Drei zu Filmen wie Brokeback Mountain ist vielleicht, dass es hier mal nicht im Drama und in der Katastrophe endet. Das ist auch so ein Klischee, dass homosexuelle Konstellationen im Kino tendenziell immer in Verzweiflung münden. Es war mir daher wichtig, dass die schwule Geschichte überhaupt keine tragische Komponente hat, sondern eher eine verwunderte und spaßvolle. Das ist der größte emotionale Schritt im Film, aber es stellt nie eine existenzielle Bedrohung dar.

Ist der Film eine Utopie oder ein Vorbild, im Sinn von: So kann man Beziehungen auch führen?
Tom Tykwer: Ich habe da wirklich kein Sendungsbewusstsein. Der Film hat keine Deutungshoheit. Es ist einfach ein Vorschlag, über bestimmte Dinge nachzudenken. Der Film ist suchend, nichtkategorisierend, undogmatisch.

Der Film ist auch das Berlin-Porträt einer Generation zwischen Medien, Kultur und Netzwerk, die ins Theater und in Ausstellungen geht.
Tom Tykwer: Ich habe das sehr bewusst gemischt zwischen Robert-Wilson-Inszenierungen am Berliner Ensemble und Underground-Aktionskünstlern im Mauerpark. Ich finde es schade, wie selten man in Filmen sieht, wie sehr der kulturelle Alltag Teil der sozialen Realität ist, in der man sich begegnet. Das ist doch inzwischen für eine recht große Schicht sehr wichtig geworden. Im Kino sieht man fast immer nur, wie Leute ins Kino gehen. Aber wir gehen doch auch alle auf Konzerte oder in Museen. Das macht man doch dauernd, wenn man in halbwegs urbanen Kontexten lebt. Aber es ist kein Working Class Movie, das ist schon klar.

Sophie Rois kennt man eher aus dem Theater als von der Leinwand. Auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Besetzung für einen Tykwer-Film …
Tom Tykwer: Wirklich? Ich bin grenzenloser Sophie Rois-Fan, seit 20 Jahren auf den Knien. Und tatsächlich seit 20 Jahren habe ich versucht, eine Rolle für sie zu finden, bis mir klar wurde, dass man das nicht einfach findet. Das muss man schreiben. Eine der Figuren in dieser Kiste mit den Ideen und Dialogszenen war von Anfang eine Figur, die für sie geschrieben war. Wenn sie nein gesagt hätte, hätte ich den Film nicht gemacht. Das kann keine andere spielen, diesen Bogen zwischen dem Extremen, wie sie am Anfang eingeführt wird, und einem dann in ihrer unnachahmlichen Art doch ans Herz wächst … da gibt’s keine drei, nicht mal zwei. Das kann nur sie.

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