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Exit Through the Gift Shop

Exit through the gift shop

I am Banksy

| Angelika Unterholzner |

In „Exit Through the Gift Shop“ erzählt Mr. Mystery himself von einem furiosen Franzosen, der die Street-Art-Szene aufmischt. Handelt es sich hierbei um eine Mockumentary, oder ist diese Genre-Zuschreibung nur das Hirngespinst paranoider Skeptiker?

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Künstler, die ihre schöpferischen Ideen am liebsten mittels Spraydose auf fremden Hausmauern zum Ausdruck bringen, versuchen in der Regel unerkannt zu bleiben. Die marketingtechnischen Nachteile, die das so mit sich bringt, hat ein bekannter britischer Künstler in einen lukrativen Vorteil umgemünzt: Kein anderer hat sich so erfolgreich als Phantom der Kunstwelt inszeniert wie Banksy. Obwohl er sich in der realen Welt gar nicht so sehr versteckt und auch in der Parallelwelt Internet nicht gesichtslos geblieben ist, gilt er als der große Unbekannte. Ohne viel vorwegzunehmen  kann dem Neo-Filmemacher Banksy an dieser Stelle schon dazu gratuliert werden, dass es ihm in Exit Through the Gift Shop gelungen ist, diesen Aspekt seiner Künstlerpersönlichkeit zu untermauern.

„Banksy has never produced greeting cards, mugs
or photo canvases of his work.“
So steht es auf der offiziellen Website von Banksy geschrieben. Ebendort erlaubt er auch ein paar wenige seiner Werke zur privaten Nutzung herunterzuladen. Dieser Geste der Großzügigkeit folgt eine Aufzählung jener Galerien, von denen er NICHT repräsentiert wird. Um herauszufinden, dass Banksys Original-Werke in der Galerie Lazine zu kaufen sind, muss man schon weiter suchen. Von seiner Website lässt sich der Sell-Out-Vorwurf, der dem britischen Künstler seit Jahren anhängt, jedenfalls nicht ableiten. Genauso wenig gibt Exit Through the Gift Shop Einblick in das Geschäftsgebaren des Meisters. Darin lässt Banksy vielmehr den britischen Schauspieler Rhys Ifans (Greenberg) aus dem Off erzählen, wie aus einem unbekannten Franzosen namens Thierry

Guetta ein Superstar der Street-Art-Szene wurde. Die Genese des Franzosen zum Star mit dem programmatischen Namen Mr. Brainwash wird von Banksy selbst mit eingeschwärztem Gesicht und verzerrter Stimme ironisch kommentiert. Mit dem genialen Plagiator Mr. Brainwash, der mit Aneignungen fremder Kunst angeblich Millionen verdient haben soll, führt uns Banksy einen „Sell-Out“ vor, neben dem er selbst wie eine Jungfrau wirkt.

„I like the danger, it made me feel good.“
Der furiose Franzose Guetta, der in L.A. einstmals Second-Hand-Klamotten zu Designer-Preisen verkauft haben soll, ist angeblich über seinen als Space Invader bekannten Cousin zum ersten Mal mit der Street-Art-Szene in Kontakt gekommen. Zugang zur US-Szene erhielt er wenig später über einen Künstler, der durch die massenhafte Verbreitung seiner ikonografischen Obama- und Obey-Bilder weltweit bekannt wurde: Shepard Fairey. Obsessiv dokumentierte Guetta fortan die nächtliche Aktivitäten der Sprayer: Der Maniac filmte die Künstler beim Anbringen von überdimensionalen Cut-Outs und hielt drauf, wenn sie vor Ordnungshütern davonliefen. Als Erklärung für sein Treiben führt Guetta an: „I like the danger, it made me feel good.“ Irgendwann soll Guetta dann aber nach dem Nonplusultra gestrebt haben: Er wollte unbedingt die Legende unter den Street-Art-Künstlern filmen, jenen mysteriösen Mann, der sich mit seiner subversiv-lakonischen Antikriegskunst und mit manchmal witzigen und manchmal schockierenden, aber immer spektakulären Aktionen einen Namen gemacht hat: Banksy.

Invader, Fairey & Co.
Banksy ist das Aushängeschild einer Bewegung, die in den letzten zehn Jahren mit Schablonen, Postern und Skulpturen für spannende visuelle Interventionen im urbanen öffentlichen Raum gesorgt hat. Obwohl er sich nicht erst mit seinem Regie-Debüt kritisch über den Kunstbetrieb äußert: Von Anfang an gehörte er zu jenen Street-Art-Vertretern, die in Ausstellungen wie der „Urban Discipline“ oder der von ihm selbst organisierten „Burner Prize“ präsent waren. Damit ist Banksy einer Gruppe von Sprayern zuzuordnen, die im Unterschied zu den Style-Writern der Achtziger Jahre tendenziell aus dem Kunsthochschulumfeld kommt und mit dem Kunstbetrieb umzugehen weiß. Es war dann auch Banksy, dem knapp eineinhalb Jahre nachdem er sich mit der Show „Barely Legal“ in L.A. präsentiert hatte, 2007 der große Coup mit einem Auktionshaus gelang: Zum ersten Mal wurde ein Street-Art-Werk bei Sotheby’s versteigert – für rund 153.000 Euro. Nach dem Verkauf des Werks „Bombing Middle England“ soll Banksy gesagt haben: „I can’t believe you morons actually buy this shit.“

Von „Beat Street“ bis „Bomb It!“
Die vergängliche Welt von Graffiti und Street-Art wurde audiovisuell schon vielfach dokumentiert, doch erst 20 Jahre nachdem in den USA dokumentarisch inszenierte Spielfilme wie Wild Style (1983) und Beat Street (1984) in der Graffiti- und Hip-Hop-Szene Kultstatus erlangt hatten, entstanden in Deutschland mit Status Yo! (2004) und Wholetrain (2006) Filme, die für die deutsche Szene Ähnliches leisteten. So wie in den Achtzigern Style Wars (1984) die Graffiti-Szene dokumentarisch abbildete, tat dies zwei Jahrzehnte später der Dokumentarfilm Bomb it! (2007). Darin spannt Regisseur Jon Reiss den Bogen vom politischen Graffiti, mit dem im Südafrika der Achtziger gegen die Apartheid gekämpft wurde, über den Franzosen Blek Le Rat, der Pariser Häusermauern mit Ratten verzierte, bis zum Pixação-Stil aus Brasilien. Exit präsentiert eine Reihe von Künstlern, die aus diesen und anderen Dokumentationen schon bekannt sind.

Neither of you is Banksy?
Die neben Mr. Brainwash und Banksy wichtigsten Nebenfiguren in Exit sind Shepard Fairey und Space Invader, die beide für den Helden Guetta dramaturgisch wichtige Schwellenhüter- und Mentorenfunktionen erfüllen. Wenn schon die kinotaugliche Dramaturgie Zweifel an der Authentizität des Films aufkommen lässt, so scheint erst recht der Slapstick-taugliche Protagonist Guetta aka Mr. Brainwash zu witzig, um wahr zu sein. Eines kann man aber mit Sicherheit sagen: Exit schöpft die kreativen Möglichkeiten nicht nur des dokumentarischen, sondern auch des unterhaltenden Films aus und regt darüber hinaus zur Reflexion über Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit, über Schein und Sein an. Von Skeptikern wird Exit als Mockumentary (mock: Fälschung, Gespött) und von den vorlauteren unter ihnen auch als Prankumentary (prank: Bubenstreich, Eulenspiegelei) bezeichnet. Da Banksy und Space Invader nicht für Q&As zur Verfügung stehen, bleibt es Shepard Fairey überlassen, diesen Skeptikern die Wahrheit einzuschenken. Dass die Geschichte kein Hoax sei, behaupten in einem Videointerview mit Filmjournalist David Poland auch zwei Männer, von denen der eine Exit-Cutter Chris King und der andere Exit-Producer Jaimie D’Cruz sein sollen. Nicht nur Journalist Poland fragt sich am Ende des Interviews, ob einer der beiden Banksy sein könnte.

Mockumentary Trend
Derlei Interviews gehören mittlerweile zum Vermarktungs-Standard von Mockumentaries. Ein Film, der zuletzt einen ähnlichen Fake-Verdacht erregt hat, ist die US-amerikanische Produktion Catfish, in der die mysteriöse Facebook-Freundschaft eines feschen New Yorker Fotografen mit einem Drei-Mäderl-Haus in Michigan dokumentiert wird. Die Catfish-Regisseure Henry Joost und Ariel Schulmann werden seit der Sundance-Premiere des Films im Jänner 2010 nicht müde, zu wiederholen, dass die im Film dargestellten Ereignisse wahr seien. Dasselbe behauptete auch Casey Affleck, der in I’m Still Here den vermeintlichen Berufswechsel seines durchgeknallten Schwagers Joaquin Phoenix dokumentierte, bis er dann eines Tages der New York Times gestand, dass es sich doch nur um die beste Performance handle, die Schwager Phoenix jemals gegeben habe. Dass die Hoax-Vermutung in diesem Fall von Beginn an nahe lag, dürfte wohl nicht der Grund dafür gewesen sein, dass den Film kaum jemand sehen wollte. Ist eine Geschichte denkbar und gut erzählt, spielt es eine untergeordnete Rolle, ob sie wahr ist. Nicht denkunmöglich erscheint, dass Phoenix den Verstand verlieren könnte; warum aber Affleck den Untergang seines Schwagers für die Welt festhalten wollen würde, ist wenigstens fragwürdig. Der im Vergleich zu Exit bescheidene Erfolg von I’m Still Here liegt vielleicht weniger an der fehlenden Glaubwürdigkeit der Story als an der fehlenden Glaubwürdigkeit des Regisseurs.

I am Banksy
Exit dagegen hat (fast) alles richtig gemacht: Der Film bewegt sich so geschickt zwischen Fakten und Fiktion, dass es schwer fällt, sie auseinander zu halten. Wer das Rätsel um den Film zu lösen versucht, wird feststellen, dass er es bei Banksy mit jemandem zu tun hat, der die Kunst des Spurenverwischens perfektioniert hat, in der realen genauso wie in der Parallelwelt Internet. Das Internet hat den Menschen zwar gläsern gemacht, es bietet diesem gläsernen Menschen aber auch die Möglichkeit, sich in einem Spiegelkabinett zu verstecken. Das Problem ist nicht, dass es keine Bilder von Banksy im Internet gibt, das Problem ist, dass es viele gibt. Wer sich mit Exit beschäftigt, wird vielleicht nicht die Wahrheit über Banksy oder Mr. Brainwash herausfinden, aber einiges über die äußerst spannende Street-Art-Szene und noch viel mehr über die Funktionsweisen von Film und Internet als Manipulationsmedien.