ray Filmmagazin » Drama » Singen, Beten, Arbeiten

Von Menschen und Göttern – Singen, beten, arbeiten

Singen, Beten, Arbeiten

| Alexandra Seitz |

Von der Sicherheit im Glauben: „Des hommes et des dieux” von Xavier Beauvois.

Werbung

Sei unser Heil, o Herr, wenn wir wachen,
und unser Schutz, wenn wir schlafen,
damit wir wachen mit Christus
und ruhen in seinem Frieden.

Am 30. Mai 1996 wurden in der Nähe von Médéa in der gleichnamigen algerischen Provinz die Köpfe jener sieben Trappisten-Mönche gefunden, die in der Nacht vom 26. auf den 27. März desselben Jahres aus ihrem Kloster Notre-Dame de l’Atlas in Tibhirine verschleppt worden waren. Ihre Körper fand man nicht. Das Kloster, das ihnen und zwei weiteren Brüdern, die sich verstecken konnten und so der Entführung entrannen, Heimat war, ist seither verwaist. Aufgeklärt wurden die sieben Morde nie. Zu der Tat bekannt hat sich zwar seinerzeit eine terroristische Splittergruppe namens Groupe Islamique Armé (GIA), doch verstummen wollen auch jene Stimmen nicht, die in dem feigen Anschlag ein Komplott der algerischen Armee vermuten, das Stimmung gegen die radikal-islamistischen Kräfte im Land erzeugen sollte. Schließlich gehört die Zuspitzung von Religionskonflikten zum Zweck der Manipulation von Bevölkerungsgruppen schon lange zum Repertoire der Herrschenden und jener, die es werden wollen.

Vierzehn Jahre liegen die Ereignisse zurück, von denen Xavier Beauvois in Des hommes et des dieux erzählt – zugleich könnten sie gerade eben erst passiert sein, oder sich in einer fernen Vergangenheit zugetragen haben. Das Schicksal der Trappisten-Mönche von Tibhirine ist von außerzeitlicher Allgemeingültigkeit. Es ist Ausdruck jener historischen Konstante, die die Ermordung von Andersgläubigen ist. Die wiederum ist das Gewaltzeichen einer tief im Irrationalen verwurzelten, prä-zivilisatorischen und dauerhaft ungenügend reflektierten Ur-Angst vor dem spirituellen Unbehaustsein. Jede Kultkonkurrenz speist sich letztlich aus dem Gefühl des Zweifels: am eigenen Gott, am Gott des anderen, an (den) Göttern überhaupt.

Der Zweifel ist es denn auch, der die Gemeinschaft der Mönche in ihrem kleinen Kloster am tiefsten erschüttert. Als ihnen allmählich das Ausmaß der Bedrohung klar wird, der sie ausgesetzt sind. Als ihnen bewusst wird, dass es tatsächlich um ihr Leben geht und dass sie – schließlich haben sie eben dieses Leben Christus verschrieben – nicht einfach ihre Koffer packen und der Gefahr aus dem Weg gehen können.

Des hommes et des dieux handelt von der Entscheidungsfindung, vom Nachdenken, vom Abwägen, vom Sich-Entschließen und vom Konsequenzen-Tragen. Mithin von reichlich un-filmischen und auch ziemlich unspektakulären Vorgängen. Das, was in der Folge eigentlich geschieht, geschieht hinter, zwischen, unter und neben den einzelnen bildhaften Ereignissen, aus denen sich die Handlungsoberfläche zusammensetzt. Es liegt in den Mienen, den Gesten, den Blicken in die Landschaft und spricht unmittelbar zu den Gefühlen der Zuschauer; weitaus weniger ist es rational nachvollziehbar oder in Worten erklärbar. Umso beeindruckender ist das, was Regisseur Xavier Beauvois in seinem Film gelingt: Das Bild einer nicht-bedrohlichen und dabei doch ganz besonders inniglichen Gläubigkeit zu entwerfen. Eine Religion zu zeigen, die ihre Kraft nicht aus dem Auftrumpfen bezieht, sondern aus der Bescheidenheit. Die tätige Nächstenliebe nicht bloß predigt, sondern praktiziert. Die stark genug ist, andere Religionen selbstverständlich neben sich zu akzeptieren, weil sie im Anderen nach dem Ähnlichen und nicht nach dem Fremden sucht.

Dazu muss man wissen, dass die Trappisten (die dem Zisterzienser-Orden zuzuordnen sind) keinen Missionsauftrag verfolgen, sondern ein kontemplatives, von Gebet, Gesang, Lesung und körperlicher Arbeit bestimmtes Leben führen. Kontakt zur Außenwelt wird in Form nachbarschaftlicher Beziehungen gehalten, die sich zumeist über die jeweilige Tätigkeit der Klosterbrüder ergeben.

Zu Beginn beobachtet Beauvois die geistlichen Männer bei ihren alltäglichen Verrichtungen: Er zeigt sie in der Küche, auf dem Feld, am Markt, sieht zu, wie sie Analphabeten behilflich sind, wie sie Kranke versorgen, wie sie seelsorgerisch wirken. Und immer wieder zeigt er sie gemeinsam: ratschlagend, betend und, vor allem, singend. Im Gesang verschmelzen die Brüder mit dem Atem des Lebens und finden ihren gemeinsamen spirituellen Mittelpunkt. Einen Mittelpunkt, der auf der Ebene der Produktion vom Kollektiv der Darsteller – Lambert Wilson (Chris-tian), Michael Lonsdale (Luc), Olivier Rabourdin (Christophe), Philippe Laudenbach (Célestin), Jacques Herlin (Amédée), Loïc Pichon (Jean-Pierre), Xavier Maly (Michel), Jean-Marie Frin (Paul) und Olivier Perrier (Bruno) – verkörpert wird, die durch lange vor Drehbeginn begonnenes gemeinsames Singen gleichfalls zu einer chorischen Einheit verschmolzen sind. Die Authentizität der von ihnen gebildeten Einheit trägt zur Wirkung des Films erheblich bei.

Das christliche Kloster auf dem Berg lebt mit dem islamischen Dorf zu dessen Füßen in Harmonie und Symbiose, die Klosterbewohner werden von der Dorfgemeinschaft nicht einfach nur toleriert, sondern sind in diese integriert. Und erst in der Interaktion mit den je anderen vervollständigt sich die jeweilige Gruppenidentität. Diese Ausgangssituation des fruchtbaren Austausches und friedlichen Miteinanders sieht sich bedroht, als der Bürgerkrieg nach Tibhirine findet: In unmittelbarer Nähe werden 14 kroatische Bauarbeiter von Fundamentalisten getötet.

Entsetzt und irritiert beginnen die Mönche darüber nachzudenken, was der Ernst der Lage von ihnen verlangt, und in dieses Nachdenken fließt selbstverständlich sowohl ihre Verpflichtung gegenüber ihrem Glauben ein wie die gegenüber der Gemeinschaft, in der sie ihre Heimat gefunden haben: Einige von ihnen beraten sich mit den Dorfältesten, die (sinngemäß) auf die Feststellung der Brüder, sie seien wie Vögel auf einem Baum, die nunmehr weiterziehen müssten, antworten: Wir sind die Vögel, ihr seid der Baum, wo sollen wir hin, wenn ihr weggeht?

Beauvois, das sei an dieser Stelle festgehalten, hat weder Angst vor dem Pathos, noch vor dem groben Pinselstrich; manche Szenen tragen ihren symbolhaften Charakter wie eine Monstranz vor sich her und verweisen deutlich und stur auf ihre Relevanz im gegenwärtigen Kontext weltweit eskalierender Religionskriege. Und doch ist es gerade die Unnachgiebigkeit, mit der Des hommes et des dieux an seiner Botschaft festhält und diese in ihrer ganzen Komplexität zu erfassen und zu vermitteln versucht, die fesselt. Und manchmal auch schlicht umhaut. Eines Abends sitzen die Klosterbrüder beisammen und statt einer trockenen Lesung zum frugalen Mahl gibt es Wein und einen Ausschnitt aus Tschaikowskys „Schwanensee“. Seinen Figuren, uns und sich gönnt Beauvois das tief ergreifende, wunderbare Musikstück in voller Länge – und blickt dabei forschend und immer abwechselnd in die Gesichter der Männer, die sich entschlossen haben zu bleiben. Einfache Männer, die unauffällig einer gottgefälligen Tätigkeit nachgehen wollten und sich plötzlich damit konfrontiert sehen, für ihren Glauben in den Tod gehen zu sollen. Männer, die nicht damit gerechnet haben, auf ganz altertümliche Art zu Märtyrern zu werden.

So schön ist die Musik und so gut schmeckt der Wein, dass ihnen reihum die Tränen in die Augen steigen. Lieber als alles andere würden diese Männer weiterleben. Dann aber wäre alles umsonst gewesen.

Weil Er mit uns ist, in dieser Zeit der Gewalt
Lasst uns nicht zweifeln, Er wäre überall außer dort, wo wir sterben
Lasst uns den Schritt wagen …