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Dossier Österreich

„Da gehe ich lieber in Pension“

| Gunnar Landsgesell |

Die Multiplexe haben die Digitalisierung im Rekordtempo vorangetrieben, kleinere Kinos haben das Nachsehen. Zehn Kinobetreiber schlossen sich in der IG Programmkino zusammen, um die Politik zum Handeln zu bewegen.

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Vielleicht war es für die Betreiber von Programmkinos sowie kleiner Landkinos in Österreich einfach nur Pech, als in Deutschland der geplante rund 300 Mio. Euro schwere Solidarfonds zur Digitalisierung der klein- und mittelständischen Kinos geplatzt war. Im November 2009 war das Paket zwischen Bund, Ländern, Verleihen, Kinobetreibern und der Filmförderungsanstalt weitgehend geschnürt, als vor allem eine Kinokette, UCI, mit ihrem Veto das Abkommen endgültig zum Platzen brachte. Und weil nicht nur die österreichische Filmproduktion mit Deutschland eng verflochten ist, sondern auch die heimische Politik komplizierte Entscheidungsfindungen der Nachbarn gerne erst ab dem Moment der Lösung effizient nachvollzieht, hieß es auch für die vielen heimischen Kleinkinobetreiber bislang: Bitte warten. Die Multiplex-Kinos, allen voran die Constantin-Gruppe, schritten indes voran. Als große Unternehmen konnten sie mithilfe von Eigenkapital und Kreditlinien (jedenfalls ohne Förderungen) über Integratoren das Tempo der Digitalisierung ordentlich anziehen. Die Idee dieses Modells funktioniert so: Integratoren wie etwa der belgische XDC finanzieren den Kinos die Digitaltechnik und holen sich die Investition plus ihre Gewinnspanne über die Jahre vom Kinobetreiber, aber auch von den Verleihern, zurück. Weil sich der Verleih nunmehr die Kosten für die Herstellung der Filmrollen erspart, zahlt er dafür virtuelle Kopienkosten (die Virtual Print Fee, VPF). Den Kinos wird durch dieses Modell die Umrüstung auf Digital und zumeist auch 3D ermöglicht. Der Haken dabei: Das Modell eignet sich vor allem für Kinos mit mehreren Sälen, in denen alle vertraglich vereinbarten Uraufführungen pro Jahr auch zum Einsatz kommen können. Denn obwohl Verleiher keine Garantie abgeben, auch jedes noch so kleine (soll heißen: besucherschwache) Landkino mit jedem gewünschten Film zu beliefern, müsste der Kinobetreiber dennoch alle Virtual Print Fees für die Anzahl von Uraufführungen abzahlen, zu der er sich vertraglich verpflichtet hat. Und würde damit gewaltig draufzahlen. So argumentiert zumindest die IG Programmkino, die sich in einem Schnellschuss, wie der Linzer Moviemento-Geschäftsführer Wolfgang Steininger sagt, während der letztjährigen Viennale am Badeschiff der Öffentlichkeit präsentiert hat. Vom Innsbrucker Leokino über das KIZ Royal in Graz bis zum Moviemento und dem Filmcasino, dem Votiv oder dem Gartenbau in Wien haben sich zehn Programmkinobetreiber zusammengeschlossen, um gemeinsam einen Kriterienkatalog aufzustellen und mit der Politik erneut in Verhandlung zu treten. Bund, Land und Gemeinde sollen die Kosten der Umrüstung der Kinos übernehmen, so dass diese nicht auf Integratoren angewiesen sind.

Michael Stejskal, Geschäftsführer von Votiv-Kino und De France, schreibt in seinem Blog von einem „kartellartigen Verbund der Major-Studios, der Integratoren und der großen Kinoketten“, der die finanzielle Beteiligung am digitalen Kino auch „für die Verleiher zu einem teuren Vergnügen“ mache. Bis zu 750 Euro würde die VPF je nach Film kosten. Auf der Viennale präsentierte die IG jedenfalls ihre Forderungen der Öffentlichkeit. Bei angenommenen Kosten von 80.000 Euro pro Kinosaal für die Umrüstung solle „eine substanzielle Beteiligung des Bundes an den Digitalisierungskosten“ geleistet werden, „wobei die Länder nicht aus ihrer Pflicht entlassen werden sollen.“ Im Klartext heißt das: Die IG verhandelt gemeinsam mit dem Bund über einen Modus und einen Kostenanteil, während die IG-Mitglieder ihre Forderungen einzeln an Länder und Gemeinden herantragen. Mit dem zuständigen Kulturministerium verhandelte die Initiative schon länger. Bereits im Februar 2009 fand eine Sitzung am Wiener Concordia-Platz im BMUKK statt, bei der den Kinobetreibern rasche Initiative versprochen wurde. Ein Brief sollte an die großen Verleiher gehen mit der Frage nach etwaiger finanzieller Beteiligung. Ob das Schreiben die Majors erreicht hat bzw. diese geantwortet haben, ist nicht bekannt. Während das Kulturressort auf die Kooperation von Wirtschafts- und Finanzminister hoffen, agieren diese wiederum vor dem Hintergrund notorischer Budgetlöcher und erklärter Sparziele. Wenn nichts geht, müssen für gewöhnlich im eigenen Ressort Mittel umgeschichtet werden. Zu welcher Lösung das Kulturministerium gekommen ist, stand zu Redaktionsschluss nicht fest, lediglich, dass Ende Februar Ergebnisse präsentiert werden sollten. Eine Zusage des Bundes galt zumindest den Kinobetreibern als fix, ein Prozentsatz sowie konkrete Fördermodalitäten standen nicht fest.

In Deutschland hat sich die Filmwirtschaft im Verbund mittlerweile auf ein „Rettungspaket“ für 3.700 Kriterienkinos geeinigt. In Österreich hofften die IG-Mitglieder, wenigstens für ihre eigenen Kinos etwas zu bewegen. Sie haben für die Förderwürdigkeit Kriterien aufgestellt. Diese sollen, sagt Wolfgang Steininger, auch als Richtmarke für alle anderen kleinen Kinos in Österreich gehen, wenn die Subventionen in einem zweiten Schritt ausgedehnt werden sollten. Denn auch auf deren Lage habe man immer wieder hingewiesen. Vorerst aber gilt für die IG-Kinos: Mindestens 30 Prozent des Programms soll europäisch sein, mindestens fünf Prozent österreichisch. Sieben Tage im Jahr sollte Platz für ein Festival sein und auch zumindest für zwei Dokumentarfilme pro Jahr und Saal. Wichtig ist auch die Abgrenzung von den Multiplexen: Bei Städten ab einer gewissen Größe soll die Hälfte der Filme in Originalfassung oder im Original mit Untertiteln gezeigt werden. Das alles gilt für Kinos mit maximal vier Sälen. Während also die Digitalisierung in Österreich mit einem Tempo vorangetrieben wurde, das auch Deutschland beeindruckte (Digitalisierungsstand: 51 Prozent bei einem geschätzten Marktanteil von mindestens 65 Prozent), wuchsen auch die Ängste der Programmkinobetreiber. Berücksichtigt man die Lieferverzögerungen bei Digitalprojektoren, die aufgrund stetig wachsenden Andrangs laut Dietmar Zingl, dem Geschäftsführer der Innsbrucker Programmkinos Leokino und Cinematograph, bei einem halben Jahr liegen, sei es ohnehin höchste Eisenbahn. Vielleicht ist es auch vor diesem Hintergrund zu verstehen, dass manche Kommunen schon geraume Zeit vor dem Bund Interesse am Schutz vitaler Kinolandschaften zeigten. Zingl: „Der Gemeinderat in Innsbruck hat bereits ein Paket für unsere zwei Kinos geschnürt. Es soll über zwei Jahre zweimal 25.000 Euro mit der Option auf noch einmal 25.000 Euro im dritten Jahr als kulturelle Förderung geben. Das wäre schon fast ein Drittel der Finanzierung. Innsbruck ist hier sicherlich vorbildhaft, schwerer haben es Provinzkinos in Gemeinden mit weniger Ressourcen. Sofern auch das Land Tirol mitgeht – es gibt positive Signale, aber noch keine konkreten Aussagen – kommt es nun auf den Bund an.“

Auf Länderebene gibt es freilich große Unterschiede. Wien ist Bundesland und Kommune in einem, ein eventueller Geldsegen wird dennoch wohl kaum doppelt ausgeschüttet werden. Auch dürfte das tourismusverwöhnte Tirol für Kinobetreiber ein hoffnungsfroherer Ansprechpartner sein als das (pro Kopf) schwer verschuldete Kärnten. Nicht vergessen darf man auch parteipolitische Farbenlehre zwischen Ministern und Landeschefs und auch die üblichen Unstimmigkeiten bei der Kostenaufteilung zwischen Bund und Länder. Wie reagieren Bundesländer, wenn der Bund weniger spendabel ist als sie selbst? Andererseits erhält die Diagonale in Graz mehr Mittel von Land und Stadt als vom Bund. Kulturpolitik ist, auf einen einfachen Nenner gebracht, eben in erster Linie immer noch eine politische Willensfrage.

Nach Zingls persönlicher Rechnung sollte die Förderung der IG-Kinos bzw. des Leokinos, also 80.000 Euro pro Saal, zu hundert Prozent aus öffentlicher Hand kommen. Denn, so Zingl: „Die Umstellung wird die kleinen Kinos ohnehin um einiges mehr kosten, denkt man allein an die baulichen Gegebenheiten. Die schauen ganz anders aus als in modernen Multiplex-Kinos. Meistens wird auch nicht dazu gesagt, dass schon die Erhaltungs- und Servicekosten der digitalen Maschinen exorbitant hoch sind. Die Kostenfrage allein auf die Umrüstung zu reduzieren, ist einfach ein Schwindel. Für mich ist jedenfalls unvorstellbar, die gesamten Umrüstungskosten allein zu tragen, da gehe ich lieber in Pension.“ Tatsächlich ist damit zu rechnen, dass auch die Technik in den nächsten Jahren weiter hochgerüstet wird. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die 2K-Projektoren eigentlich zu schwach für künftige Anforderungen sind. Wolfgang Steininger, der sehr umtriebig ein Kino in Freistadt (OÖ) mit drei Sälen als Familienbetrieb führt, hat als einer der wenigen Kinobetreiber in Österreich 4K-Projektoren im Einsatz. Er hat damit auf seine eigene Prognose reagiert, die kleinen Kinos ohne Digitalisierung kaum eine Überlebenschance gibt. In Freistadt scheint sich die Integratorenlösung übrigens bewährt zu haben. Steininger berichtet von 17 Uraufführungen, keinerlei Ausfällen von Vorstellungen durch technische Pannen, und auch die Verleiher würden problemlos nach Freistadt liefern. Damit könnte bei Interesse auch Danny Boyles 127 Hours gezeigt werden, im Innsbrucker Leokino hingegen nicht. Der Film der Fox ist laut Zingl, wie wohl viele andere in Zukunft, nur mehr digital verfügbar.