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Querschnitt Diagonale

Blickwechsel

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Vier Premieren-Beispiele der Diagonale zwischen dokumentarischem Essayfilm und in den Horror kippendem Beziehungsdrama belegen die Formenvielfalt des heimischen Kinoschaffens.

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Adams Ende

Richard Wilhelmer hat seinen ersten langen Spielfilm der Generation der End-Zwanziger gewidmet. Im Ambiente urbaner Ungebundenheit entwirft er ein Beziehungsviereck, das zunächst vom endlosen Unbehagen des Erwachsenwerdens erzählt: Adam und Anna leben seit Jahren mit sinkender Begeisterung in einer gemeinsamen Wohnung, Konrad und Adam verbindet mehr als nur eine lange Freundschaft, Annas Freundin Carmen findet an Konrad Gefallen, will sich aber doch nicht so wirklich auf ihn einlassen. Wie vier Spießbürger, die verabsäumt haben, ihren Gymnasiasten-Look abzulegen, begeben sich die beiden Paare in Adams Ende auf gemeinsamen Urlaub, wo wachsende Spannungen bald die Sommertage am See trüben. Die Dynamik, die zwischen den fragilen Liebesverbindungen und den ursprünglich festen Freundschaftsbanden in Gang kommt, bringt nicht nur kreuz und quer die Beziehungen aus dem Gleichgewicht, sondern auch narrativ das Genre zum Kippen. Durch die oberste Erzählschicht des Beziehungsdramas blitzt immer stärker der Horror durch und was für den Zuschauer als feines, aber destabilisierendes Verwirrspiel beginnt, führt schließlich mehr als drastisch in Adams dunkle Seelengründe oder möglicherweise doch nur durch seine finstersten Fantasien?
Pamina Kowalski

 

Persona Beach

Es gibt Regisseure, an denen hält man sich schadlos. Wer zum Beispiel öffentlich bekennt, Hitchcock- oder Woody-Allen-Fan zu sein, der braucht mit Widerspruch nicht zu rechnen. Allerdings gilt das nur für Fans. Journalisten, Wissenschafter oder gar andere Filmemacher stehen unter weit strengerer Beobachtung. Ein falscher Kommentar, eine fragliche Bezugnahme, und es wird scharf abgeurteilt. Georg Tiller begibt sich mit Persona Beach also auf dünnes Eis, hat er doch als Referenz niemand geringeren als Ingmar Bergman im Gepäck. (Und Bergman, der steckt in Sachen Unantastbarkeit die Herren Hitchcock und Allen gemeinsam in die Tasche.) Die Positionierung irgendwo zwischen Dokumentar- und Spielfilm hilft, auf dem Eis nicht einzubrechen. Auf der baltischen Insel Fårö beobachten wir vier Personen, die vorerst in keiner erkennbaren Beziehung zueinander stehen. Der fünfte und stärkste Charakter ist allerdings die Insel selbst. Das bringt Bergman ins Spiel, der hier rund 30 Jahre seines Lebens verbrachte und einige seiner wichtigsten Filme drehte. Indem Tiller immer wieder Schauplätze aus diesen Arbeiten aufgreift und in seine eigene Erzählung einflicht, macht er Persona Beach zu einer Spurensuche, die auch skeptischen Bergman-Fans gefallen könnte.
David Krems

 

Empire Me

Paul Poet (der u.a. auch als „ray“-Autor tätig ist) besuchte für seinen neuen Film sechs sehr unterschiedliche Gruppen von Menschen, die sich zusammengeschlossen haben, um sich entweder als so genannte Mikronationen einen winzigen eigenen Staat mit monarchistischer Regierungsform und eigenen Regeln aufzubauen oder als Kommunen alternative Lebensformen auszuprobieren. Die Bandbreite der porträtierten Separatisten reicht von Familienunternehmen auf einer Plattform im Meer über eine esoterische Gruppe in Italien und einer ökologisch ausgerichteten Freie-Liebe-Community in Deutschland bis zum von der Regierung widerwillig geduldeten sozialen Experiment mitten in Kopenhagen. All diese Gemeinschaften stehen für die Utopie einer freieren Gesellschaftsform, in der die Regeln der kapitalistischen Welt in Frage gestellt werden und versucht wird, neue Ziele und Verhaltensmaßnahmen für eine glücklichere Welt zu definieren und zu leben. Wirkt die Imitation der Nationalstaaten mit Passkontrollen und eigenen Briefmarken – konkret in der von Australien losgelösten Hutt River Province – doch eher skurril, so steht die Sehnsucht nach kleineren Gemeinschaften von Gleichgesinnten generell für einen Trend, der vielleicht irgendwann in ferner Zukunft sogar das Ende der großen Nationen bedeuten könnte.
Günter Pscheider

 

Abendland

Ein Mann beobachtet den Monitor einer nächtlichen Überwachungskamera. Die Sicht sei gut, meint er, doch leider könne er heute Nacht niemanden ausmachen. Fast glaubt man, eine leise Enttäuschung in seiner Stimme zu bemerken. So beginnt Nikolaus Geyrhalters Abendland, der sich als Dokumentarfilm über Europa bei Nacht tarnt, in Wahrheit ein Essayfilm über all das ist, was man mit diesem historischen Begriff noch assoziiert, aber wie der Wachbeamte nicht mehr finden kann. Oder nur dann finden kann, wenn man wie dieser Film genau hinsieht und genau zuhört. Knapp zwanzig Episoden, Miniaturen gleich, umfasst der Film, spannt den Bogen vom meterhohen Grenzzaun an der EU-Außengrenze über das Münchener Oktoberfest und einer Sitzung im EU-Parlament bis zu den Demonstrationen gegen den Castor-Transport. Dazwischen anonyme Krankenhäuser, Flughäfen, Altersheime, Telefonhilfsdienste und Arbeiter, die den Eurofighter – das Kampfflugzeug, das Europa im Namen trägt – zusammenbauen. Routine. Mechanik. Leerläufe. Und doch ist immer alles in Bewegung, kann man beobachten, wie sich zwischen den Episoden ähnliche Bewegungen wiederholen, die auf einen größeren Zusammenhang verweisen. Auf das, was Europa heute ist. Und was es nicht mehr sein wird.
Michael Pekler