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Shooting Women

Ein Pfad im Urwald

| Gunnar Landsgesell |

Dass Frauen Filme machen, gilt in Österreich seit Barbara Alberts „Nordrand“ (1999) als selbstverständlich. Im Programm „Shooting Women“ zeigt das Filmarchiv Austria im April Arbeiten einer Generation, die den Weg erst bereitet hat.

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Als Barbara Albert 1991 an der Wiener Filmakademiezu studieren begann, gab es in ihremJahrgang genau zwei Regiestudentinnen: Jessica Hausner und sie selbst. Im Fach Kamera war Christine A. Maier die einzige Frau. Es hätte sichalso schon einiges verändert, resümierte Albert in einem der Gespräche, die Sabine Perthold vom Drehbuchforum Wien 2004 mit zehn Filmemacherinnen und Drehbuchautorinnen geführthat. Darin hinterfragte Perthold filmische Repräsentationen von Frauen, indirekt auch einer jüngeren und älteren Generation. Die„neue Welle“ österreichischen Filmschaffens war zu diesem Zeitpunktgerade fünf Jahre alt. Barbara Alberts Nordrand (1999) und die Tatsache, dass er von ihr realisiert werden konnte, giltheute noch als Zäsur, die das Filmarchiv Austria gemeinsammit dem österreichischen Regieverband A|D|A für die bemerkenswerte Filmschau „Shooting Women“ aufgriff. Zu sehen sind die Arbeiten von Filmemacherinnen bis 1999, ausgewählt ab den Siebziger Jahren. Käthe Kratz, Susanne Zanke, Kitty Kino oder Margareta Heinrich sind jene „Pionierinnen“ (Filmarchiv-Katalog), die trotz männlich dominierter Fördergremien überniedrig budgetierte Bereiche wie Doku und Experimentalfilm biszum Spielfilm vordringen konnten. Was wurde Kratz einmal inden Siebziger Jahren von einem leitenden ORF-Redakteur ausgerichtet? „Solange ich da bin, macht hier keine Frau Regie.“ Die gläserne Decke von heute war also damals noch ziemlich manifest. Viele der Arbeiten, die im Rahmen von „Shooting Women“ gezeigt werden, sind dennoch kaum mehr zu sehen. Trotzveränderter Verwertungsökonomien und der selbstverständlichenSichtbarkeit von Regisseurinnen tut sich hier ein Lochauf. Wie drückte es Hausner gegenüber Perthold aus? „Ich sage danke. Sie haben einen Pfad im Urwald eingetreten, der es uns Nachfolgenden ermöglicht hat, weitere Schritte zu machen.“

„Shooting Women“ zeigt vielfältige Arbeitsweisen mit demMedium Film, von experimentellen Formen von Videokünstlerinnenwie Mara Mattuschka bis zum Fernsehspielfilm einer Susanne Zanke. Ein weiblicher Blick (oder ein Old-School-Identitäts-Label wie „Frauenfilm“) lässt sich hier nicht ablesen, dafür aber ein Spektrum von Zugängen. Mit Canale Grande (1983) von Friederike Pezold ist die Arbeit einer der radikalsten Videokünstlerinnen zu sehen. Weltweit vom Centre Pompidoubis zum Museum of Modern Art in New York vertreten, ist Pezold in Österreich de facto unbekannt und war im ORF zuletztvielleicht vor 25 Jahren zu sehen, als es noch die „Kunststücke“ gab. Pezold strich in ihrer Arbeit Fernseher und Fenster mitschwarzer Farbe zu, um den Blick auf die Welt zu zerstörenund über Bildsprache und Material eine eigene, neue Welt zubestimmen. „Analysiert und kritisiert ist schon genug geworden“,meinte sie einmal in einem Interview.

Auf eine radikaleFormulierung des Neuen setzt auch Mara Mattuschka. In ihrer anarchischen und gewohnt körperzentrierten Science-Fiction-Farce S.O.S. Extraterrestria (1993) wird eine Stadt zum Spielballeiner riesenhaften Frau, die den Eiffelturm zum eigenen Lustgewinn ergreift. Über die Destruktion von Genderzuschreibungen hinaus führt Mattuschkas Langfilm Der Einzug des Rokoko ins Inselreich der Huzzis (1983), in dem sie das Szenario einesUrlaubs nutzt, um die Selbstgewissheit europäischer Hochkulturaufs Korn zu nehmen. Wie das Schweigen einer Kleinstadtein historisches Verbrechen nicht tilgt, sondern als kollektive Schuld verdoppelt, dokumentierte die im burgenländischen Deutschkreutz geborene Filmemacherin Margarete Heinrich. Sie begibt sich in Totschweigen auf die Suche nach dem Massengrab ermordeter Juden in Rechnitz und trifft gewissermaßenauf das Abziehbild der Banalität des Bösen. Heinrich, die 1994 den Freitod wählte, wird mit drei weiteren Arbeiten wieder in das Blickfeld des Publikums geholt – darunter die Bachmann-Verfilmung Zwielicht (1978) über die schmerzliche Fehlschaltungder Liebesbeziehung zweier Frauen und das historischinteressante Porträt einer später gescheiterten Utopie in Der Traum der Sandinisten (1981). Eine in mehrfacher Hinsichtkomische Zukunftsvision entwirft Heide Pils in der Vegetarier-Dystopie Der grüne Stern (1983) nach einem Buch des ebensokauzigen wie treffsicheren Hans Weigel. Österreich erweist sichdarin in Form der Stadt Hochheim als Ort, an dem das Nationaleund Tumbe sich als ideale Form der Verführung des Menschenerweist. Die Klischees nationaler Identität leben auch dieAkteure eines weiteren Pils-Films: Das raue Leben (1987), nacheinem Drehbuch von Felix Mitterer, lässt ein Wien entstehen, in dem die zentrale Figur des Arbeiterschriftstellers Alfons PetzoldEnde des 19. Jahrhunderts durch die Wirren einer rabiatmystisch-sozialkriselnden Welt irrt. Pils erweist sich hier alsExponentin einer filmischen Geschichtsschreibung, die in denanderen Wirren des Factual-Entertainment-TV keinen Auftragmehr hat.

Ähnliches gilt auch für die 1992 verstorbene Karin Brandauer, die in einem vielleicht einzigartigen Versuch eineSozialstudie zur Vorlage eines Films erkoren hat. In Einstweilen wird es Mittag (1987) greift sie Jahodas/Lazarsfeld/Zeisels „DieArbeitslosen von Marienthal“ auf, um erzählerisch lakonisch,aber inhaltlich spitz das Aufeinandertreffen zweier Welten – Wissenschafter und deren Studienobjekte – nachzuzeichnen. Ein nachdrücklicher, stiller Film, dessen grau gefärbte Bilderdes Niedergangs Brandauer in Schloanglmühl fand. Jener Papierfabrik,deren Schließung drei Jahre später selbst zum Schauplatzeines Dokumentarfilms von Egon Humer wurde. P.S. Die Filmschau greift in einem Fall sehr weit in die Filmgeschichtezurück: Die Autorin Leontine Sagan (quasi Österreichs Dorothy Arzner) drehte 1931 mit dem zum Klassiker avancierten Internatsdrama Mädchen in Uniform den wohl ersten Film, der eine lesbische Liebesbeziehung zum Thema hat. Aber das wurde, so die Rezeptionsgeschichte, erst viel später bemerkt.