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Was will ich mehr

Filmkritik

Was will ich mehr / Cosa voglio di più

| Walter Gasperi |

Ein Mann und eine Frau und die Entscheidung, ob sie ihr bisheriges Leben aufgeben sollen

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Was kann und soll man vom Leben erwarten? Soll man mit dreißig mit sicherem Job als Sekretärin, einem grenzenlos gutmütigen, aber auch sterbenslangweiligen Partner, nettem Freundeskreis und einer gemütlichen Wohnung zufrieden sein? Soll man – wie reihum die Bekannten und Verwandten – endlich auch Nachwuchs in die Welt setzen und sich in der Folge der Kindererziehung widmen? Alles scheint Anna in ihrem Leben erreicht zu haben, sie sollte allen Grund haben, sich am Leben zu freuen, und doch löst gerade die Geburt eines Neffen solche Fragen aus und lässt sie unsicher werden: War das wirklich schon alles, folgt jetzt nur noch der pure Alltagstrott? Völlig aus der Bahn geworfen wird sie, als sie zufällig dem aus Süditalien stammenden Kellner Domenico über den Weg läuft. Zweimal sieht man sich beruflich – und schon funkt es zwischen den beiden. Man beschließt zwar bald, sich nicht mehr zu treffen, da Domenico verheiratet und Vater zweier Kinder ist – und kommt doch nicht voneinander los. Heimlich treffen sie sich einmal wöchentlich zu leidenschaftlichem Sex im schummrigen Zimmer eines Stundenhotels, denn das andere Leben, den Partner beziehungsweise die Familie, wollen beide nicht aufgeben.

Klassisch aufgebaut vom Kennenlernen über geheime Kontakte bis zum Auffliegen der Affäre ist dieses bei aller emotionalen Tiefe immer eine gewisse Leichtigkeit wahrende Drama. Geschickt setzt Silvio Soldini (Pane e tulipani) mit Schwarz-blenden Pausen zwischen einzelnen Szenen und zieht mit nah geführter Handkamera sowie schnellem Schnitt den Zuschauer von Anfang an ins Geschehen hinein. Dadurch wird – verbunden mit der genauen Beobachtung alltäglicher Situationen – auch ein Nahverhältnis zu den Figuren hergestellt.

Nicht nur spürbar, sondern auch nachvollziehbar werden so die Unsicherheit und Zerrissenheit des von Alba Rohrwacher und Pierfrancesco Favino eindringlich gespielten Liebespaares, das Schwanken zwischen leidenschaftlichem Verlangen und Bestreben sich vom anderen zu lösen. Allerdings überdehnt Soldini bei diesem Hin- und Herpendeln gegen Ende den Bogen, und  eine Raffung hätte dem mehr als zweistündigen Film sicher nicht geschadet. Doch gering wiegt dieser Einwand angesichts der Differenziertheit und Genauigkeit, mit denen Soldini die verschiedenen Positionen ausleuchtet. Hier gibt es kein Richtig und Falsch, kein Gut und Böse, sondern nur die ehrliche und immer mitfühlende Schilderung eines Gefühlsstrudels, bei dem es keine leichten Lösungen geben kann und auch das Filmende die Zukunft offen lässt.