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Wer wenn nicht wir

Wer wenn nicht wir

| Andreas Ungerböck |

Das hätte spannend werden können: die Suche nach den Wurzeln des deutschen Terrorismus der Siebziger.

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Die Voraussetzungen waren gegeben: Ein verdienter Regisseur, der sich 2001 in dem Dokumentarfilm Blackbox BRD kompetent mit dem RAF-Terrorismus auseinandergesetzt hatte, ein packender „Stoff“ (die Beziehung zwischen Bernward Vesper und Gudrun Ensslin Anfang/Mitte der Sechziger Jahre bzw. Ensslins Abdriften in den bewaffneten Kampf), ein prominenter Slot im Wettbewerbsprogramm der Berlinale 2011. Aber ach: Nach der Vorführung herrschte Katzenjammer, wie so oft, wenn große Erwartungen nicht erfüllt werden, die Andres Veiel noch dazu mit Interviews im Vorfeld in die Höhe geschraubt hatte. Immer wieder pochte er auf die Akribie seiner Recherchen, die allein, wie sich nun zeigt, keinen spannenden Film ergeben.

Der beginnt mit einer Rückblende in Vespers Kindheit, als sein Vater, der Nazi-Dichter Will Vesper, die geliebte Katze des Sohnes erschießt („Katzen sind die Juden der Tierwelt“). Die Auseinandersetzung mit der „verseuchten“ Elterngeneration, zu sehen auch im Hause Ensslin, wo man sich das Studium der Tochter Gudrun regelrecht vom Mund abgespart hat, ist der schlüssigere der beiden Handlungsstränge. Die Darstellung der Beziehung zwischen Bernward Vesper, der sich 1971 das Leben nahm (sein unvollendeter Essayroman „Die Reise“ erschien posthum 1977), und seiner Kommilitonin Ensslin ist weniger überzeugend, erschöpft sich mehr oder weniger in Zweierbeziehungsklischees – von der ersten Verliebtheits-Euphorie bis hin zur unausweichlichen Trennung. Die gemeinsame verlegerische Tätigkeit, die Auseinandersetzung mit der knieweichen Haltung der Linken zu Wiederaufrüstung und Kaltem Krieg, die Überlegungen, wie dem allmächtigen Staat Einhalt zu gebieten sei, werden, brav mit Datums-Inserts unterlegt, chronologisch abgespult. Erwartbares Archivmaterial (Vietnam, Kennedy in Berlin, Anti-Schah-Demo, Dutschke-Attentat) hält mehr auf, als dass es den Film bereichert. Woran Veiels Ambition letztlich scheitert, ist die Frage, warum Ensslin und Vesper in so verschiedene Richtungen auseinandergedriftet sind. Auch ihm fällt keine andere als die banale Antwort ein, dass zwei hochintellektuelle Frauen (Ulrike Meinhof diesmal nur als Randfigur) einem pöbelnden Macho namens Andreas Baader mit Sportwagen und tuntigem Outfit „verfallen“ und in den Untergrund gefolgt sind. Diese fast schon biologistische „Erkenntnis“ (er fickt gut und teilt schon mal Ohrfeigen aus, wenn die Alte bockt) grenzt ans grob Fahrlässige. Je mehr lauwarme RAF-Exegese man zu sehen bekommt, desto stärker gewinnt jedenfalls Christopher Roths seinerzeit wild umstrittene Fake-Aufarbeitung Baader (2002) an Gewicht.