Die einzige universitäre Ausbildungsstätte für Film in Österreich feiert ihr sechzigjähriges Bestehen. Das Filmarchiv Austria feiert das Jubiläum mit einer Retrospektive herausragender Arbeiten, und „ray“ betrachtet die Filmakademie aus der Perspektive der Studierenden näher.
Das Gebäude in der Metternichgasse 12, mitten im Botschaftsviertel des dritten Wiener Bezirks gelegen, ist eher unscheinbar. Nichts deutet äußerlich darauf hin, dass hier seit mehr als vier Jahrzehnten regelmäßig österreichische Filmgeschichte geschrieben wird, wenn ein weiterer Jahrgang ambitionierter Absolventinnen und Absolventen das Haus verlässt. Barbara Albert, Jessica Hausner, Ulrich Seidl, Götz Spielmann, Wolfgang Murnberger und Reinhard Schwabenitzky, um nur einige zu nennen, gehören zu jenen, die sich nach der Ausbildung nicht nur beim heimischen Kinopublikum einen Namen machen konnten. Davor stellten auch sie sich einmal dem Aufnahmeverfahren, drehten in der Grundausbildung ihre ersten Kamera- und Regieübungen und entwickelten im Laufe der Jahre bis zum Diplomfilm einen persönlichen Stil. Dieser Werdegang schwebt natürlich immer mehr filmbegeisterten Jugendlichen vor; doch um tatsächlich so weit zu kommen, legen die Studierenden einen langen und mitunter recht verschlungenen Weg zurück, an dessen Anfang ganz unterschiedliche Motive stehen können. Sechs von ihnen, von der Erstsemestrigen bis zur festivalerprobten Magisterstudentin kurz vor dem Abschluss, haben für dieses Porträt ihre Erfahrungen mit uns geteilt.
Vorproduktion
„Es war so ein spielerischer Zugang“, erzählt Eva Hartl, die sich ein Jahr nach ihrer Matura an der Filmakademie bewarb und seither Produktion studiert: „Du hast zuerst vom Opa die alte Kamera, noch mit Video, und irgendwann wünscht sich der große Bruder eine Digitalkamera, und dann siehst du zum Beispiel Blair Witch Project und gehst in der Nacht mit der Kamera in den Wald … Das meiste wird eh nichts, aber es ist einfach der Wunsch da, etwas zu machen.“ Das Verfilmen eigener Ideen und Geschichten oder kleine Animationsfilme sind für viele die ersten Schritte in Richtung professioneller Ausbildung. Andere kommen über literarische Ambitionen oder theoretische Auseinandersetzung zum Film, wie Judith Zdesar, die vor ihrem Buch- und Regiestudium bereits Germanistik und Literaturwissenschaften studiert hatte. Mitunter lockt das Medium Film gerade mit der Möglichkeit, bereits Vertrautes neu zu betrachten: Der studierte Biologe Florian Brüning etwa begann sich für das Filmemachen zu interessieren, als er, angeregt durch einen Film über Verhaltensbiologie, darin abseits des Wissenschaftlichen einen reizvollen Zugang zu seinem Fach erkannte. Allen gemeinsam ist ein gewisser Erfahrungshorizont, von dem aus sie ihren Entschluss gefasst haben, der immer auch in einer mehr oder weniger intensiven Auseinandersetzung mit dem filmischen Handwerk besteht.
„Es ist wichtig, dass man weiß, worauf man sich einlässt“, betont auch Jessica Lind aus eigener Erfahrung. Als ihr die Aufnahmeprüfung für das Drehbuchstudium beim ersten Anlauf direkt nach der Matura nicht glückte – „aber damals hatte ich wirklich noch keine Ahnung vom Film“ – , studierte sie zuerst Germanistik, absolvierte dann das Bachelorstudium für Medientechnik an der Fachhochschule St. Pölten und neben kleinen Jobs bei verschiedenen Dreharbeiten auch zwei Praktika bei der Produktionsfirma coop99, die ihr Barbara Albert vermittelte. Zudem stellten sich erste literarische Erfolge ein, und beim zweiten Versuch vier Jahre später bestand sie die Zulassungsprüfung für die Filmakademie schließlich souverän. Was Jessica bis dahin an Erfahrung gesammelt hatte, kam ihr dabei bestimmt zugute, denn die Aufgabenstellung setzt schon einiges an Kompetenz im Umgang mit den technischen Mitteln und der Präsentation persönlicher Fähigkeiten voraus. Neben einer Recherchearbeit und der Beantwortung allgemeiner Fragen zur Person müssen alle Bewerberinnen und Bewerber bereits in der ersten Runde einen Film drehen, in dem sie idealerweise sich selbst und ihre Motivation für das jeweilige Studium überzeugend darstellen. Ist diese große Hürde überwunden, wartet ein Gespräch mit den Professoren und, wenn auch dieses gut verlaufen ist, folgen weitere fachspezifische Aufgaben, wie zum Beispiel das Erstellen einer Diaschau zu einem bestimmten Thema. Erst in der vierten und letzten Runde, die wieder aus einem Gespräch mit der versammelten Prüfungskommission besteht, fällt schlussendlich die Entscheidung, wer aufgenommen wird – vergangenen Herbst waren es 19 Bewerberinnen und Bewerber, die sich nach langem Zittern über einen Studienplatz freuen konnten.
Verzauberung
Ist die Zulassungsprüfung erst einmal absolviert, geht es ohne weiteren Aufschub sofort zur Sache. Conny Presich, die seit diesem Jahr Schnitt studiert, erlebte ihren ersten Tag an der Filmakademie „ein bisschen wie eine Verzauberung. Da heißt es plötzlich: So, hier sind wir, und jetzt legen wir mal einen 16mm Film ein und gehen raus und drehen.“ Von Anfang an steht also die Praxis im Vordergrund, schließlich geht es zunächst vor allem darum, ein umfangreiches Handwerk zu erlernen. Während der ersten drei Semester wird eine gemeinsame Grundausbildung absolviert, in der die Studierenden sämtliche Aufgabenbereiche einer Filmproduktion zwischen Drehbuch und Schnitt mehrmals durchlaufen, unabhängig von ihrer eigentlichen Studienrichtung. Jede(r) Studierende realisiert in jedem der Semester einen Kurzfilm zu einem vorgegebenen Thema und arbeitet gleichzeitig bei mehreren anderen Projekten in verschiedenen Funktionen mit. Peter Patzak, Institutsvorstand und Professor für Regie, hält dieses Konzept für eine sehr intelligente Tradition, an der man auch nichts ändern sollte: „Dass Filmschaffende erst einmal in allen Bereichen ausgebildet werden und auch das Vokabular ihres Nachbarn am Set kennen und können, ist großartig. Mittlerweile ist das auch das Idealmodell an amerikanischen Filmschulen.“
Die Studierenden selbst sind jedenfalls überzeugt, für ihre eigene Arbeit sehr davon zu profitieren, dass sie zu Beginn „überall reinschnuppern“ können, wie Conny erklärt: „Für mich ist es ja beim Schneiden sehr wichtig, dass ich auch etwas von Dramaturgie verstehe, und für die Drehbuchautoren, dass sie zum Beispiel eine Ahnung von der Kameraarbeit haben.“ Ein so dichter Studienplan verlangt den Studierenden natürlich auch mehr persönlichen Einsatz ab, als in den meisten anderen Studien gefordert wird. „Es ist schon eine sehr intensive Zeit jetzt, gerade am Anfang, weil einfach viel auf einen zukommt und man ein bisschen braucht, um sich umzustellen“, erzählt Jessica von ihren Eindrücken nach etwas mehr als einem Semester Filmakademie. „Wir haben jeden Tag vormittags und nachmittags Unterricht, und am Wochenende wird gedreht. Es muss einem zum Beispiel klar sein, und das wird auch bei der Aufnahmeprüfung angesprochen, dass man in den ersten zwei Jahren kaum die Möglichkeit hat, nebenbei noch zu arbeiten, um sich das Studium zu finanzieren.“ Der theoretische Unterricht wird zwar mit der Zeit weniger, dafür wachsen die Projekte.
Familiäre Synergien
„Die Filme, die während des Studiums entstehen, sind zwar alle eigentlich Übungen. Aber natürlich wollen die Regisseure sich damit auch eine Visitenkarte machen, und sie wollen, dass der Film in die Welt hinausgeht und auf Festivals läuft“, erklärt Eva die Überlegungen, die hinter vielen groß geratenen Studentenfilmen stehen. Ihre letzte Produktion mit dem Arbeitstitel „Clara sehen“ beispielsweise ist zwar schon fertig gedreht, wird jetzt aber noch etwa ein Jahr digital nachbearbeitet. Da das Script unter anderem vorsah, in einer Szene ein Badezimmer unter Wasser zu setzen, war auch der Studiobau ungewöhnlich aufwändig. Schließlich überstieg das Budget den von der Filmakademie zur Verfügung gestellten Betrag um das Siebenfache und war nur noch mit öffentlichen Fördergeldern zu bewältigen: „Man könnte es eigentlich schon als externes Projekt mithilfe der Filmakademie bezeichnen.“ Auch Diego Breit Lira wird aufgrund der intensiven Postproduktion noch ein Jahr warten müssen, bis er seinen Bakkalaureats-Abschlussfilm „Spitzendeckchen“ in fertigem Zustand sehen kann. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass Regiestudierende mit jedem Film von der Idee über Drehbuch, Budget, Casting, Studiobau und schließlich Dreharbeiten und Postproduktion mindestens ein Jahr beschäftigt sind, bei größeren Projekten wie den Diplomfilmen entsprechend länger. Es ist also besonders wichtig, schon während des Studiums Kolleginnen und Kollegen zu finden, die ein gutes Team bilden und mit denen dann eventuell später der gemeinsame Einstieg in die Branche möglich ist. Florian Brüning sieht in der coop99, die vor über elf Jahren von den Filmakademieabsolventen Barbara Albert, Martin Gschlacht, Jessica Hausner und Antonin Svoboda gegründet wurde, in gewisser Weise ein Vorbild: „Vier Leute zu finden, mit denen man persönlich gut kann und mit denen man sich auch auf der künstlerischen Ebene gut ergänzt, das wäre ideal.“ Die gegenseitige Unterstützung der Studierenden untereinander ist für viele einer der prägendsten Aspekte der Ausbildung; durch die große Bandbreite an unterschiedlicher Vorbildung in einem Jahrgang wird das Lernen voneinander und die Entstehung beflügelnder Synergien begünstigt, oder, wie Diego es formuliert: „Der Input der Kollegen ist Gold wert.“
Einfluss und Entwicklung
Ganz allgemein schwärmen die Studierenden von der familiären Atmosphäre auf der Filmakademie, wo sich bald alle kennen, vom einzigartigen Betreuungsverhältnis – „das Privatissimum ist hier eigentlich der Normalunterricht“ und dem freundschaftlichen Umgang mit den Lehrenden, auch wenn es manchen im Laufe des Studiums mitunter zu eng wird. Während es von anderen künstlerischen Studien, etwa an Schauspielschulen, heißt, dass den Studierenden ein bestimmtes Gepräge verliehen werden soll, weist Patzak diese Vorstellung in Bezug auf die Filmakademie entschieden zurück: „Wir sind ja keine Schule in dem Sinn, dass es sich um eine stilistisch geschlossene Gruppierung handeln würde“, im Gegenteil: „Hier unterrichtet Michael Haneke, und hier unterrichte auch ich, und jeder weiß, dass wir vollkommen verschiedene Erwartungen und Ansprüche an Filme stellen. Deswegen sind wir keine Schule in diesem Sinn. Bei allen Filmen, die Studierende hier machen, ist der Ursprung in ihnen.“ Auf die Frage nach der Beeinflussung durch die jeweiligen Betreuer antwortet Conny, man müsse eben immer selbst entscheiden, wie sehr man sich nach Empfehlungen richtet und Ratschläge annimmt, und Florian erklärt: „Es gibt alle Richtungen; manche machen starke Vorgaben, manche wollen größtmögliche Freiheit, manche orientieren sich an dem, was gerade üblich ist, andere hinterfragen das wieder … Manchmal tut es gut, sich für eine Zeit lang einer Richtung anzuschließen, aber man hat alle Möglichkeiten.“
Judith Zdesar, die nach acht Jahren auf der Filmakademie kurz vor ihrem Abschluss steht, blickt im Großen und Ganzen zufrieden, aber mit gemischten Gefühlen auf ihr Studium zurück: „Zu Beginn ist man natürlich noch total euphorisiert, weil man die Aufnahmeprüfung geschafft hat, aber mit der ersten Regieübung im zweiten Jahr kommt dann bei vielen eine extreme Krise. Man muss sich selbst sehr gut kennen lernen, genau wissen, was man will und warum, das ist quasi ein psychoanalytischer Prozess. Es gibt sehr gute, und es gibt auch sehr schmerzvolle Phasen.“ Wirklich zu schätzen lernte Judith die Filmakademie während ihres Auslandssemesters an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg: „Dort gibt es natürlich viel mehr Geld und Ausstattung, und man hat nach dem Studium auch sicher irgendwo einen Job. Aber ich war danach so froh, wieder in Wien zu sein, weil man hier einfach die Zeit hat, seine eigene Sprache zu entwickeln, und auch Leute, die einen bei diesem Prozess hilfreich unterstützen.“ Entscheidend ist also, dass die Studierenden sich hier in Ruhe ihren Projekten und dem mitunter langwierigen Selbstfindungsprozess eines künstlerischen Studiums widmen können; auch wenn das bedeutet, dass nur wenige ihr Studium tatsächlich nach fünf Jahren abschließen. „Das Gute an der Filmakademie ist, dass man hier auch schlechte Filme machen kann, und man lernt bei jedem Film etwas“, fügt Judith hinzu, und Peter Patzak erklärt: „Gerade während des Studierens ist das Experiment gefordert. Wenn man einmal bei einer Fernsehstation gelandet ist, wird man ohnehin anderen Zwängen unterworfen. Ich versuche immer, meine Studierenden zu schützen und sie nicht in irgendwelche klaren narrativen Wege zu schubsen, ich sage ihnen vor allem: ‚Benützt eure Freiheit!‘“
Postproduktion
Die Angst, nach dem Studienabschluss in der Branche nicht Fuß fassen zu können, ist den Studierenden abseits aller Selbstverwirklichungseuphorie nicht unbekannt. Verschiedene Veranstaltungen und Angebote seitens der Lehrenden versuchen dem durch regen Austausch mit den Filmschaffenden entgegenzuwirken. Beispielhaft dafür stehen das alle zwei Jahre stattfindende Festival der Filmakademie (das heuer durch die Retrospektive ersetzt wird) oder die so genannten „Produktionsheurigen“, bei denen Produktionsstudierende zweimal im Jahr die Möglichkeit haben, nicht nur ihre Studienkollegen besser kennen zu lernen, sondern auch Kontakte in die Filmwirtschaft zu knüpfen. Peter Patzak erzählt, dass er immer darauf geachtet habe, bei seinen eigenen Dreharbeiten auch Studierende zu beschäftigen: „Die ganze Generation, die jetzt produziert und Filme macht, hat am Anfang bei mir am Set die Schiene aufgebaut.“ In ein solches Netzwerk hineinzuwachsen, ist wahrscheinlich der entscheidende Vorteil der Filmakademie gegenüber einer Ausbildung, die ausschließlich auf Eigeninitiative beruht: „Du brauchst einfach die wichtigen Connections“, erklärt Eva, „natürlich kannst du auch als Freischaffende versuchen, diese Verbindungen aufzubauen, aber hier wird es dir durch die Vortragenden und die anderen Studierenden schon viel leichter gemacht.“
Für die Absolventen hat sich dieses System bewährt, davon ist Peter Patzak überzeugt, selbst wenn später nicht alle als Filmschaffende tätig sind: „So weit wir es beobachten, werden unsere Leute im deutschsprachigen Raum bis nach Paris oder Tokio von der Branche aufgefangen. Die Bandbreite reicht von einem Fernsehredakteur bis zu einem Festivaldirektor, vom Filmkritiker bis zum Werbefachmann, alles ist möglich, und für alle ist es gut, dass sie diese Ausbildung haben.“
Was Florian Brüning sich persönlich noch wünschen würde, wäre die Möglichkeit, im Laufe des Studiums auch für und mit dem ORF zu produzieren, damit diese Perspektive für die Studierenden wachsen könnte; während an deutschen Hochschulen häufig Filme von Fernsehsendern koproduziert werden, stünde die Filmakademie momentan eher in dem Ruf, großteils AutorenfilmerInnen für das Arthouse-Kino hervorzubringen. Aber: „Mir ist es doch wichtiger, dass weniger und dafür gute Filme produziert werden, auch wenn das heißt, dass vielleicht nicht alle Regiestudenten davon leben können.“ Was sind also, abschließend gefragt, die entscheidenden Qualitäten der künftigen Filmschaffenden? Peter Patzak fasst das im Anliegen der Zulassungsprüfung zusammen: „Es ist nicht nur die Frage, was ist ein Talent, sondern auch, wie mutig ist jemand, oder wie radikal denkt jemand, oder wie sehr unterwirft er sich bestehenden Gesetzen oder sucht in diesem kleinen Experiment schon nach eigenen Gesetzen. Das ist ja keine Schule im Sinne eines braven Vereins mit irgendeinem Kulturbild, sondern wir wollen tolle Filmschaffende haben, die eigene Wege gehen.“ Diego Breit findet nach längerem Überlegen seine persönliche Formel: „Erfolg besteht zu fünf Prozent aus Talent und zu 95 Prozent aus harter Arbeit. Um an der Filmakademie aufgenommen zu werden, muss man vor allem selbstkritisch sein, hart arbeiten, sich selbst treu bleiben und wissen, was man mit einem Filmstudium will. Prätenziös, das darf man niemals sein. Man muss das machen, was einen berührt. Natürlich muss man die großen Filmemacher schätzen, aber man muss sie nicht nachahmen, und man darf niemals traurig sein, wenn man nicht so gut ist wie sie.“