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Alles was wir geben mussten

Alles, was wir geben mussten

Love will tear us apart

| Pamela Jahn |

Mark Romanek hat sich des verstörenden Romans „Never Let Me Go“ über die Liebe und Werte im Gentechnik-Zeitalter angenommen und versucht mit Starbesetzung den Spagat zwischen Markttauglichkeit und Texttreue. Im Gespräch berichtet Hauptdarstellerin Carey Mulligan über die Zusammenarbeit mit Keira Knightley und Andrew Garfield, ihre Abneigung gegenüber Klischees und ihre ganz persönliche Taktik bei der Wahl ihrer Rollen.

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Man könnte meinen, der Ort sei aus der Welt gefallen: Hailsham, England, ein idyllisches Internatsanwesen fernab von irdischem Weltenlärm, bewohnt von wohlerzogenen, wohlbehüteten Kindern, die dem Tod dennoch näher scheinen als dem Leben. Denn unter den Schülern herrscht nicht nur Ordnung und Disziplin, sondern die allgemeine Gewissheit darüber, dass sie Klone sind, deren Dasein einzig dazu bestimmt ist, später den Menschen als Organspender zu dienen und auf diese Weise ihr Leben zu „vollenden“. Auch Kathy (Carey Mulligan), Ruth (Keira Knightley) und Tommy (Andrew Garfield), die in Hailsham zunächst gemeinsam ihre Kindheit verbringen, bevor sie als Jugendliche in ein Cottage übersiedeln, haben sich mit ihrem Schicksal arrangiert und doch wollen sie insgeheim mehr vom Leben und von der Zeit, die ihnen bleibt.

Basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Ishiguro Kazuo erzählt Never Let Me Go die Geschichte ihrer Freundschaft, die zugleich die Geschichte einer hoffnungslosen Liebe ist, an die sich Kathy kurz vor der Vollendung ihrer Lebens rückblickend erinnert. Die behutsame Inszenierung von Regisseur Mark Romanek und Drehbuchautor Alex Garland, die sich weitestgehend der Konventionen des dem Roman anhaftenden Science-Fiction-Genres entzieht, profitiert dabei vor allem von der Verletzlichkeit und dem Zusammenspiel seiner Hauptdarsteller. Wie auch der Roman thematisiert Never Let Me Go die ihm zugrunde liegenden kritischen Themen wie Organspende und Bioethik nur am Rande, im Zentrum steht vielmehr die atmosphärisch intensive Beschwörung des Schmerzes, den der Verlust eines geliebten Menschen sowie der eigenen Freiheit mit sich bringt und des tiefen Gefühls der Einsamkeit und Wehmut, das daraus resultiert.


Sie haben mit Ihrer Leistung in An Education und der damit verbundenen Oscar-Nominierung die Messlatte für zukünftige Projekte ziemlich hoch gelegt. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis von Never Let Me Go/Alles, was wir geben mussten?
Carey Mulligan:
Ich habe den Film in seiner endgültigen Fassung erst zweimal gesehen, und das erste Mal ist immer schwierig, weil man sich dabei extrem auf die eigene Rolle konzentriert und alles bis ins kleinste Detail auseinandernimmt. Kathy zu spielen war eine Herausforderung für mich, weil sie vom Charakter her extrem verhalten und in sich gekehrt ist. Bei ihr spielt sich alles unter der Oberfläche ab – und das macht sie zu so einer interessanten Figur. Das fand ich sehr spannend. Allerdings war es anfangs auch etwas beängstigend, weil ich persönlich großen Respekt vor Ishiguros Romanen habe und die Sache auf keinen Fall vermasseln wollte. Aber ich denke schon, dass wir eigentlich sehr zufrieden sein können. Zumindest haben wir alle unser Bestes gegeben, eine glaubwürdige Adaption der Buchvorlage abzuliefern und diese ungewöhnliche Liebesgeschichte zu erzählen.

In Never Let Me Go spielen Sie erneut an der Seite von Keira Knightley, mit der sie seit den Dreharbeiten zu Pride and Prejudice (2005, Anm.) eng befreundet sind. Andrew Garfield
ist neu in dem Gespann. Hat da von Anfang an die Chemie gestimmt?
Carey Mulligan: Wir haben uns für zirka anderthalb Wochen jeden Tag getroffen, Alex Garland, Andrew, Keira und ich, einfach um miteinander zu reden. Wir haben fast gar nicht geprobt, sondern erst einmal viel über das Buch gesprochen, darüber, wie es auf uns gewirkt hat und was wir damit vorhatten. Dass Keira und ich uns gut kennen, hat die Sache natürlich vereinfacht. Aber Andrew war unheimlich offen und begeistert, und wir haben uns alle drei sehr schnell sehr gut kennen gelernt. Mit Chemie hat das allerdings nichts zu tun. Ich mag diese Bezeichnung nicht. Ich glaube nicht, dass so etwas wie richtige oder falsche Chemie tatsächlich existiert. Wenn zwei Schauspieler ernsthaft in ihre Rollen vertieft sind und an die Beziehung glauben, die sie vor der Kamera verkörpern, dann müssen sich die beiden im normalen Leben deswegen nicht unbedingt gut verstehen und im Film kann es trotzdem total glaubhaft wirken. Glücklicherweise war das bei uns nicht so. Wir hatten sehr viel Spaß bei den Dreharbeiten, und mir ist die Zusammenarbeit mit Keira and Andrew unheimlich leicht gefallen. Beide sind extrem gute Schauspieler und ich hab mich im Grunde von dieser Energie einfach hineinziehen lassen in den Sog der Geschichte.

Kritisieren Keira Knightley und Sie sich auch gegenseitig beim Drehen?
Carey Mulligan: Wir kennen uns seit sechs Jahren und sind sehr offen und ehrlich miteinander, bei der Arbeit und privat. Als wir die erste Szene drehten – im Film ist das der kurze Dialog zwischen Kathy und Ruth in der Küche am Spülbecken, als Kathy fragt, warum sich Ruth Tommy gegenüber plötzlich so merkwürdig verhält – da war ich supernett und freundlich und habe die ganze Szene über gelächelt. Anschließend kam Keira zu mir und fragte, was mit mir los sei, warum ich so überfreundlich wäre. Das wäre einer anderen Kollegin, die ich vorher nicht kannte, gar nicht aufgefallen. Uns so haben wir uns gegenseitig beobachtet und korrigiert, das ist schon von Vorteil. Im Gegensatz dazu ist das Verhältnis zwischen Kathy und Ruth ja aber keinesfalls ein harmonisches. Das heißt, es war andererseits auch wieder gar nicht hilfreich, dass wir uns privat so gut verstehen. Solche Spannungen, wie sie sich im Grunde seit ihrer Kindheit zwischen unseren Charakteren aufbauen, gibt es bei uns nicht.

Die junge Kathy wird von Isobel Meikle-Small verkörpert, die bereits in der ersten Hälfte des Films eine unheimlich
starke emotionale Anteilnahme im Zuschauer auslöst und Ihren Part damit perfekt vorbereitet. Aber allein die äußerliche Ähnlichkeit zwischen Ihnen beiden ist geradezu verblüffend.
Carey Mulligan: Ja, mich hat das auch total überrascht, zumal Hunderte von Kindern beim Casting waren. Allerdings muss ich zugeben, dass ich als Kind nicht so hübsch war. Mit zwölf sah ich eher wie Shrek aus. Izzy dagegen ist einfach ein Goldschatz, und ich fand die Arbeit mir ihr und den anderen Kindern unheimlich inspirierend. Es war ja das erste Mal, dass ich mit Kindern gearbeitet habe, und ich dachte zunächst, wir müssten unseren jungen Counterparts helfen, ihnen Anweisungen geben und so weiter. Aber das Gegenteil war der Fall. Wir haben extrem viel von denen gelernt, vor allem, weil sie so wunderbar instinktiv handeln. Als Schauspieler ist man ja ständig der Gefahr ausgesetzt, irgendwie künstlich zu wirken, weil man sich zu sehr auf die Szene und sein Gegenüber konzentriert. Und da fand ich es unheimlich interessant zu beobachten, wie die Kids mühelos alles um sich herum vergessen können und ganz im Moment sind.

Mark Romanek hat über Sie gesagt, Sie seien geradezu
allergisch gegen jede Art von Klischee. Würden Sie das auch so formulieren?
Carey Mulligan: (Lacht.) Ich glaube, auch wenn man sie nicht mag, kommt man an Klischees letztendlich nicht immer ganz vorbei. Auch ich nicht. Aber ich weiß schon, was Mark damit meint. Ich halte nichts von allzu oft gebrauchten Bildern und Gesten. Als Schauspieler sollte man versuchen, ständig an sich zu arbeiten und sich selbst herauszufordern, solange bis das Ganze authentisch wirkt.

Kannten Sie eigentlich den Roman, bevor Sie das Drehbuch in die Hand bekamen?
Carey Mulligan: Ja. Ich habe alle Romane von Ishiguro Kazuo gelesen.

Was fasziniert Sie an seinen Büchern?
Carey Mulligan: Ich mag vor allem die Unsentimentalität, und dass er niemals versucht, die Gedanken und Emotionen des Lesers zu steuern. Ishiguros Schreibstil ist sehr schlicht, geradezu trügerisch klar und leicht zugänglich, ohne dabei banal zu wirken. Aber in seiner Einfachheit ist das alles trotzdem unheimlich kraftvoll und absolut berührend.

Zwar wird die Geschichte auch im Film aus Kathys Sicht erzählt, aber im Gegensatz zur Romanvorlage bleibt hier weniger Raum für ihre Figur. Gibt es Momente im Buch, die Sie persönlich gern im Film gesehen hätten, die aber im Drehbuch keinen Platz gefunden haben?
Carey Mulligan: Auf jeden Fall. Aber verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, ich fand, das Drehbuch war perfekt, als ich es zum ersten Mal gelesen hatte. Ich weiß noch, dass ich beim Lesen des Scripts total nervös war, weil ich unbedingt wollte, dass es dem Roman gerecht wird. Und Alex Garland hat das geschafft. Aber es gibt natürlich trotzdem ein paar ganz bestimmte Szenen und Sätze im Buch, die ich im Film vermisse. Nicht, dass sie unbedingt in den Film gehören. Ganz egoistisch hätte ich diese Momente einfach gern gespielt, aber es hat dann aus dem einen oder anderen Grund einfach nicht gepasst.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Carey Mulligan: Es gibt diese Szene, in der Tommy und Kathy zu Madame fahren, um einen Aufschub füreinander zu erbitten. Sie hatten zuvor das Gerücht gehört, dass Liebespaare aus Hailsham eine Zurückstellung von drei Jahren erhalten können, wenn sie beweisen können, dass sie sich wirklich lieben. Im Buch ist diese Szene in Madames Haus länger angelegt. Als Tommy da seine Zeichnungen vor Madame ausbreitet, weist sie ihn darauf hin, dass sie anhand der Zeichnungen, die sie damals in Hailsham von den Kindern anfertigen ließen, lediglich feststellen wollten, ob sie überhaupt eine Seele haben. Woraufhin Kathy fragt: „Warum sollte irgendjemand daran zweifeln, dass wir eine Seele haben?“ Für mich war das ein ganz wichtiger Moment, auch weil darin angedeutet wird, dass Kathy niemals wirklich an die Möglichkeit einer Zurückstellung geglaubt hat. Sie hat diesen Besuch bei Madame nur Tommy zuliebe mitgemacht. Aber, wie gesagt, im Film hat das so nicht in die Szene gepasst.

Die großen existenziellen Fragen um Menschlichkeit, Tod und den Sinn des Lebens werden im Buch wie auch im Film eher zwischen den Zeilen verhandelt, in der Art und Weise, wie Kathy, Tommy und Ruth jeweils mit ihrem Schicksal umgehen und das Beste aus dem Leben zu machen versuchen, das sie haben.
Carey Mulligan: Ja, das ist das Spannende daran. An einer Stelle sagt Kathy aus dem Off, sie versuche sich immer vor Augen zu halten, dass sie großes Glück hatte, überhaupt Zeit mit Ruth und Tommy verbringen zu dürfen. Ich denke, das sagt eigentlich viel aus. Ich bin sonst kein Fan von Voiceover, aber ich finde, hier passt diese Art von ruhiger Reflektion.

Hat Sie die Arbeit an dem Film nachhaltig begleitet?
Carey Mulligan: Ich denke, ich kann mich sehr, sehr glücklich schätzen im Leben, und ich bin mir dessen äußerst bewusst. Zudem liebe ich meine Arbeit und nehme jede Rolle sehr ernst. Mich hat die Geschichte sehr bewegt und ich habe die zwei, drei Monate während der Dreharbeiten diesmal besonders intensiv empfunden. Aber leider wacht man deshalb im Nachhinein trotzdem nicht jeden Tag auf und denkt sich: „Heute rette ich die Welt“. Man wacht auf und lebt das Leben, das man kennt.

Derzeit drehen Sie einen Action-Film unter der Regie von Nicolas Winding Refn, das nächste Projekt mit Sam Mendes ist bereits in der Pipeline. Es scheint, als könnten Sie sich ihre Rollen mittlerweile aussuchen.
Carey Mulligan: Nein. Das liegt schlichtweg daran, dass ich auf Knien um diese Jobs gebettelt habe – nichts weiter. (Lacht.)