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Christian Bale

Der dunkle Ritter

| Roman Scheiber |

Für seine Rolle als Dicky Eklund in dem Boxerdrama „The Fighter“ erhielt Christian Bale in diesem Jahr seinen ersten Oscar. Der 37-jährige britische Schauspieler ist einer der höchstbegabten seiner Generation. Eine Würdigung.

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Seine „Acceptance speech“ bei der Academy Award Ceremony vergangenen Februar fiel ähnlich unspektakulär aus wie bei der Vergabe der Golden Globes ein paar Wochen zuvor. Mit dem Oscar für den Best Supporting Actor hatte Christian Bale getrost rechnen dürfen; verliehen wurde er ihm für seine fabelhafte, extrovertierte Interpretation des Crack-süchtigen Dicky Eklund in dem Boxer-Drama The Fighter (mehr zu diesem feinen Film, einem Herzensprojekt von Mark Wahlberg, in ray 04/11). Artig dankte Bale im Kodak Theatre allen, denen zu danken war, gab sich erfreut, höflich und bescheiden. Er streute einen Witz ein, warb offensiv für den von ihm verkörperten Boxtrainer, der im Auditorium begeistert aufgestanden war, und ließ am Ende, als er sich bei Ehefrau und kleiner Tochter bedankte, die Stimme merklich dünner werden. Bemerkenswert an seiner Auszeichnung war vor allem eines: dass Christian Bale bis dahin noch nicht einmal für einen Oscar nominiert gewesen war. Ein Kommentar zum YouTube-Video seiner Dankesrede brachte das – in Anspielung auf seine Titelrolle in American Psycho – auf den Punkt: „Wow, he looks so happy. Maybe he finally got a reservation at Dorsia.“

In oberflächlicher Hinsicht kommt der Brite, der mit seiner Familie in Los Angeles lebt, dem Bild des prototypischen Hollywoodstars recht nahe. Seinen medialen Verpflichtungen kommt Bale professionell, wenn auch widerwillig nach, über sich selbst und sein Privatleben spricht er kaum. Sein Bankkonto füllt er seit 2005 mit Auftritten in Action-Krachern (kolportierte zehn Millionen Dollar etwa für The Dark Knight, 2008). Soweit Drehbuch und Inszenierung es zulassen, macht er in diesen Blockbustern gute Figur – was in seinen bisherigen beiden Batman-Filmen eher der Fall war als in Terminator Salvation (2009) als Erlöser John Connor. Und wenn Bale einmal (wie am Terminator-Set) die Beherrschung verliert und wegen einer Lappalie minutenlang ein Crewmitglied anbrüllt, dann steht er immerhin nicht an, dafür öffentlich um Entschuldigung zu bitten.

In anderer Hinsicht – konkret auf Filme wie Velvet Goldmine (1998), American Psycho (2000), The Machinist (2004), The Prestige (2006) und eben The Fighter (2010) – zählt Christian Bale zu den besten Schauspielern des Gegenwartskinos; zumindest darf er als einer der begabtesten seiner Generation gelten. Er hat ein ausgezeichnetes Ohr für Dialekte, ist enorm wandlungsfähig und kann sein Erscheinungsbild perfekt an den jeweiligen Part anpassen. Bei der Rollenauswahl bevorzugt er defekte, gebrochene, einsame Charaktere oder schwierig zu charakterisierende historische Figuren. Zwei Kreuzungspunkte mit Leonardo DiCaprio dürften seine Karriere entscheidend beeinflusst haben: Für den Part des Jack Dawson im späteren Welterfolg Titanic (1997) wurde er dem Vernehmen nach nur deshalb nicht besetzt, weil dann zwei Briten zwei Amerikaner gespielt hätten. Umgekehrt stach er DiCaprio bei American Psycho aus, erlangte als Yuppie Patrick Bateman so etwas wie Kultstatus und brach, wenn man so will, international durch.

AMERICAN ANTI-HERO

Sich die Titelfigur in der Adaption des Bestsellers von Bret Easton Ellis zu erarbeiten, hat Bale laut eigener Aussage weniger psychisch als physisch herausgefordert: „Der Typ ist so fixiert auf sein Aussehen. Ich als Engländer gehe ja lieber ins Pub als ins Fitness-Studio. Trainieren ist unglaublich langweilig. Und ich schwöre, je größer die Muskeln werden, desto mehr schrumpft das Gehirn.“ Ein kokettes Statement, denn der hohe Schwierigkeitsgrad der Aufgabe war evident. Patrick Bateman ist ein Mann ohne gute Eigenschaften, außer Neid, Hass, Ekel und Lust am seriellen Quälen und Töten kennt er keine Emotion. Seine glänzend polierte Oberfläche ist die eines perfekt gepflegten, modellierten und gestylten Wall Street Bankers. Dahinter ist ein riesiges schwarzes Loch.

Diesen unendlich eitlen Anti-Helden zu personifizieren, einen der fiesesten des gesamten US-Literaturkanons, hätten sich die meisten Schauspieler-Kollegen Bales schon aus Imagegründen verboten. Und die wenigen Interessenten hätten sich vielleicht gefragt, wie man überhaupt eine Figur darstellt, die sich mit Phil Collins’ Song „Sussudio“ in Stimmung bringt, in einem New Yorker Luxus-Apartment Prostituierte abzuschlachten? Christian Bale dagegen meinte: „Risiko ist relativ. Ich bin doch nicht Schauspieler geworden, um mittelmäßig zu sein und allen zu gefallen.“ Für sämtliche Probleme, die der Part aufwarf, fand er schließlich bravouröse Lösungen, wobei ihm die satirische Zuspitzung des Stoffs durch Regisseurin und Drehbuchautorin Mary Harron sicher nicht im Weg stand. In Bales beispielhaft öliger Performance kann man verfolgen, wie eine profilierungsneurotische und abgestumpfte Figur die Kontrolle verliert und immer stärker von der Angst vor innerer Leere umkrampft wird, die sich schließlich zu einem regelrechten Fiebertraum steigert: Wie herrlich sein Gesicht verfällt, wenn er im Business-Card-Vergleich mit den Yuppie-Kollegen den Kürzeren zieht. Das Schmierentheater, das er dem (von Willem Dafoe gespielten) Inspektor vormacht. Wie seine Gesichtszüge entgleisen, wenn er nackt und blutüberströmt sein Opfer auf den Gang verfolgt, um dort sein ganz privates Kettensägenmassaker fortzusetzen. Und unvergesslich: die hyperventilierende Katharsis, als er sich am Ende ins Eck gedrängt fühlt und seinem Anwalt telefonisch alles gesteht. Man sollte mit Behauptungen dieser Art vorsichtig sein, aber vielleicht hätte wirklich kein anderer Schauspieler aus dieser Rolle mehr machen können als Christian Bale.

GEWICHT VERLIEREN, LEISTUNG STEIGERN

Christian Charles Philip Bale kam am 30. Januar 1974 in Haverfordwest, Süd-Wales, zur Welt. Nach imdb-Informationen war sein performatives Talent schon familiär begründet: die Mutter Tänzerin und Zirkuskünstlerin, ein Großonkel Schauspieler, der eine Großvater Stand-up-Comedian, der andere „Stand-in“ für John Wayne. Bale hat drei ältere Schwestern, wuchs in Portugal und England auf. Schon als Kind schauspielerisch tätig, debütierte er mit 13 Jahren auf der Leinwand in Empire of the Sun (1987) unter der Regie von Steven Spielberg (als englischer Jugendlicher, der im Zweiten Weltkrieg in einem japanischen Kriegsgefangenenlager interniert wird). Dafür erhielt Bale auf Anhieb mehrere Preise, konnte aber mit dem medialen Rummel schwer umgehen.

Ein weiterer Filmemacher, der sein Potenzial erkannte, war Todd Haynes (für den er neun Jahre später in I’m Not There eine von sechs Bob Dylan-Inkorporationen beisteuerte). Haynes’ Entscheidung, den damals 24-Jährigen in seiner Glamrock-Hommage Velvet Goldmine zu besetzen, erwies sich als goldrichtig: Zauberzart spielte Bale den in die Zeit der eigenen sexuellen Identitätssuche zurückforschenden Musikjournalisten und war mit seiner verhaltenen Charakterisierung mehr als ein Sidekick für seine Partner Ewan McGregor und Jonathan Rhys-Meyers.

Zwei Jahre danach folgte American Psycho, und weitere vier Jahre später sollte Bale seine physisch bislang eindrucksvollste Performance abliefern, für die er auf unter 60 Kilo Körpergewicht abmagerte. Maximal 500 Kalorien pro Tag, oft nur eine Dose Thunfisch oder einen Salat und einen Apfel soll er vor und während der Dreharbeiten zu dem erratischen Thriller The Machinist (2004) zu sich genommen haben. Das brachte ihm Vergleiche mit Robert De Niro (Raging Bull, 1980) oder Daniel Day Lewis (My Left Foot, 1989) ein. Auch an Michael Fassbender als Bobby Sands in Hunger (2008) könnte man denken, wenn es um Schauspieler geht, die zugunsten einer Rolle physische Grenzen weit überschreiten.

Angesichts seiner radikalen Mittel wurde Christian Bale schon öfter als „method actor“ bezeichnet, was er selbst aber zurückweist: „Es würde mich limitieren, jede Einzelheit aus einem anderen Leben mit Ereignissen aus meinem verbinden zu müssen. Am Ende des Tages ist es nur Fake. Pure Imagination.“, sagte er zu Jahresbeginn in einem Interview mit dem Londoner „Mirror“. Auch beim Hungern geht es Bale offenbar eher darum, über eine der Rolle entsprechende körperliche Verfassung zu verfügen und diese „naturalistisch“ auszustrahlen. Beachtlich daran ist, neben der für eine solche Tour de Force nötigen Hingabe an den Beruf, dass die eigentliche schauspielerische Leistung mit enorm zurückgefahrenem Energielevel erbracht werden muss. Die Titelfigur in The Machinist ist ein schlafloser, von Schuldgefühlen gepeinigter und zusehends paranoider Mann, der vermeint, ein Verbrechen begangen zu haben. Ursache und Wirkung sind im Spiel von Bale irgendwann nicht mehr voneinander zu trennen: Trevor Reznick schläft nicht, weil er sich existenzieller Bedrohung ausgesetzt sieht. Und natürlich ist er in seiner Existenz bedroht, weil er nicht schläft. Gegen Ende ist Reznick gewissermaßen ein Schatten von Bale selbst. Er sieht aus, als wäre seine Batterie nicht mehr befüllbar. Als warte er nur darauf, endlich aufzuwachen.

NOLANS TRICKKISTE, NOAHS ARCHE

Auf Apfel- und Zigarettendiät glaubhaft an so einer Abwärtsspirale wie der Fabrikarbeiter Reznick entlang zu gleiten, gelingt nur einem gleichermaßen begabten wie ehrgeizigen Schauspieler, in dem Leidenschaft und Disziplin einander nahezu bis zur Selbstaufgabe ergänzen. Zumindest die Disziplin, statt ins Pub ins Gym zu gehen, benötigte Bale, um bald nach The Machinist wieder körperlich topfit zu sein: Es galt, als erster Nicht-Amerikaner und bislang jüngster Batman-Darsteller den Part des muskelbepackten Bruce Wayne (in Batman Begins, 2005) zu übernehmen. Nach allgemeiner Einschätzung hat er das gut hingekriegt – derzeit absolviert er seinen bereits dritten Auftritt als Batman (The Dark Knight Rises, Start: Juli 2012), seine vierte Zusammenarbeit mit Regisseur Christopher Nolan. Von weiteren relevanten Rollen Bales sei noch eine aus der Trickkiste von Nolan herausgehoben: seine imposante Performance als obsessiver Gegenspieler von Hugh Jackman in dem sehenswerten Magierduell The Prestige (2006).

Außer dem neuen Batman-Film hat Bale gerade zwei Projekte anhängig. Ein chinesisches Historien-Epos mit Regisseur Zhang Yimou (13 Flowers of Nanjing) ist abgedreht, ein Afghanistan-Nachkriegsabenteuer (The Last Photograph) in Vorbereitung. Auch kursieren Gerüchte, wonach Bale für Darren Aronofskys Bibel-Film „Noah“ eine 130 Millionen Dollar teure digitale Arche mit Tierhorden befüllen wird. Spannender ist aber vielleicht die Frage, wie Christian Bale mit seinem durch den Oscar gestiegenen Marktwert umgehen wird, konkret: ob er sich als Zugpferd vor den Karren schwer finanzierbarer, jedoch künstlerisch umso wertvollerer Projekte spannen wird lassen. Nach seiner bisherigen Filmografie darf man davon ausgehen.