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Woody Allen

Der talentierte Mr. Allen

| Daniel Kothenschulte |
Woody Allen abseits aktueller Filmproduktionen über Politik, Paranoia und die Frage nach dem jüdischen Humor.

Mit seinem ganz eigenen Sinn für absurden Humor festigte Woody Allen nicht nur seit Ende der Sechziger Jahre stetig seine Position als führender Comedian mit einer weltweiten Fangemeinde, seine zunehmend auch um ernstere Sujets kreisenden Arbeiten etablierten ihn in den vergangenen Jahrzehnten als einen der abwechslungsreichsten Filmemacher des US-amerikanischen Independent-Kinos.

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Nachdem es in den Neunziger Jahren etwas ruhig um Woody Allens Arbeiten geworden war, erlebte er mit Matchpoint (2005) eine geradezu glanzvolle Renaissance, die er in jüngerer Vergangenheit mit Filmen wie Scoop und Vicky Cristina Barcelona fortsetzte. Sein neuer Film Midnight in Paris war der Eröffnungsfilm des diesjährigen Festivals in Cannes.


Mr. Allen, auch wenn Sie Ihre Filme nicht gerne politisch deuten, möchte ich Sie gerne auf eine sehr komplexe Figur ansprechen, den jüdischen Gagschreiber in Anything Else: Er bewaffnet sich aus Angst vor dem Terror bis an die Zähne. Steckt darin ein Plädoyer für die Überreaktionen der israelischen Politik?
Woody Allen:
Ich weiß nichts Spezielleres darüber, als was in der Zeitung steht. Ich habe das Gefühl, dass es über die Jahre eine Menge Aktion und Überreaktion bei allen im Nahen Osten gegeben hat. Aber es ist schwer, Überreaktionen zu konstatieren, wenn jemand in die Schule kommt und Ihre Kinder tötet. Ich glaube, da gäbe es dann keine Überreaktion, abgesehen davon, dass die Situation allen Parteien entglitten ist und jeder schon unendlich viel falsch gemacht hat.

Nun gehört es ja zu den Besonderheiten des jüdischen Humors, den Schrecken im Leben durch eine besondere Milde zu begegnen, als wollte man in allem erst einmal das Gute sehen.
Woody Allen: Dazu möchte ich zweierlei sagen. Ich habe nie an Konzepte geglaubt wie der „Jüdische Humor“. Was lustig ist, ist lustig. Viele meiner Lieblingskomiker waren nicht jüdisch. W.C. Fields, mein großes Idol, war es nicht, Buster Keaton war es nicht, also habe ich nie das Gefühl, dass jüdische Komiker lustiger sind. Manchmal sind sie es vielleicht, manchmal aber auch nicht, dann sind die anderen lustiger. Wenn so etwas passiert wie 9/11, gabelt sich meine Reaktion – in die eines Bürgers und die eines Künstlers. Als Bürger spende ich Blut im Krankenhaus und versuche die Politiker zu unterstützen, die ich für am geeignetsten halte. Als Künstler fühle ich mich in keiner Weise gedrängt, dies zum Material meiner Arbeit zu machen. Ich weiß, es gibt eine Menge Künstler, die das lieben. Selbst wenn es überhaupt keine politische Krise gibt, dann suchen sie sich eine alte von vor hundert Jahren aus und schreiben darüber, weil es in ihrem Blut liegt. Ich habe mich nie für Politik in der Kunst interessiert, nicht im Kino und nicht im Theater. Es sind menschliche Beziehungen, die mich interessieren. Wenn so was wie 9/11 geschieht, bedeutet das für mich als Künstler rein gar nichts. Wenn es dazu etwas zu sagen gäbe, wäre ich garantiert der Falsche, der ein Licht darauf werfen könnte.

Nun können Sie aber nicht leugnen, dass der Augenblick, in dem sich Woody Allens Filmfigur nach einem antisemitischen Angriff eine automatische Waffe kaufte, mit einer bestimmten Zeitstimmung zusammenfiel. Da ist einerseits ein Wiedererstarken des Antisemitismus in vielen Kulturen. Und da ist andererseits ein paronoides Gefühl der Bedrohung durch globale Terrornetzwerke.
Woody Allen: Ja, Paranoia hat mich interessiert, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass mich etwas Politisches direkt beeinflussen würde. Vielleicht schriebe ich eine Geschichte über etwas ganz anderes, und dann ist Paranoia das Hauptmotiv. Dann wäre da vielleicht diese Geschichte von zwei Schülern und ihrem Hund, aber jemand würde eine Verbindung herstellen über die Paranoia in der Welt und in der Geschichte. Ich persönlich würde aber keine Verbindung in der Geschichte herstellen zu 9/11. Es käme mir nie in den Sinn. Ich würde an anderes denken, während sich die Paranoia in meine Gedanken einschleicht. Es gibt tatsächlich mehr davon in der Gesellschaft seit 9/11.

So wenig Sie Politik in Ihre Arbeit lassen, so sehr verachten Sie die Selbstbespiegelung; Ihre alten Filme sehen Sie sich gar nicht an. Nun versuche ich mir das einmal praktisch vorzustellen: Wie schließt man da aus, sich zu wiederholen?
Woody Allen: Das ist alles halb so wild. Ich weiß schon, was ich gemacht habe. Wenn ich morgen einen Film über ein bestimmtes Thema gemacht haben werde, dann sage ich bestimmt: Oh Gott, ist das nicht aus einem alten Film? Aber an die kann ich mich schon erinnern, das sind ja auch nicht so viele. Ich meine, das ist doch nicht so schwer. Und manchmal passiert es ja auch. Nicht weil ich es vergessen hätte, sondern weil ich überzeugt war, eine ähnliche Idee dennoch für wertvoll zu halten. Ich vergesse meine Filme nicht, aber ich sehe sie nicht gerne an. Ich möchte dann gleich etwas vergessen, aber dafür ist es zu spät.

Dann kann ich ja nach einem konkreten Detail fragen: In Manhattan wird die Figur, die Sie spielen, gefragt, wofür es sich zu leben lohne. Es folgt eine lange Liste mit Künstlernamen. Wie würden Sie diese Liste heute fortschreiben. Oder gibt es vielleicht keine Künstler mehr, für deren Werk es sich zu leben lohnt?
Woody Allen: Das ist interessant. Als ich den Film machte, war ich ein Junggeselle. Eine Frau, die Mutter war, schrieb mir: „Da nennen Sie all die Dinge, die das Leben lebenswert machen. Aber Ihren Sohn erwähnen Sie nie! Im Film haben Sie doch ein Kind mit Meryl Streep …“ Und ich dachte, natürlich erwähnte ich das nicht, denn ich kannte ja das Gefühl noch gar nicht, Vater zu sein. Also erwähnte ich stattdessen Louis Armstrong, Frank Sinatra, Marlon Brando, das hat mir alles viel bedeutet. Heute würde ich meine Kinder selbstverständlich erwähnen, weil ich dieses Gefühl kenne. Damals hätte ich es für falsch gehalten.

Denken Sie denn auch manchmal an den Tod?
Woody Allen: Selbstverständlich denke ich an den Tod. Es ist ein Thema, das mich sehr beschäftigt. Das hat es allerdings immer getan.

Entschuldigen Sie diesen persönlichen Einwurf, aber gerade der Tod macht einem ja manche Priorität bewusst, und das kann durchaus die Liebe zur Kunst sein. Als mein Vater, der ein großer Jazz-Fan war, krank wurde, gehörten zum letzten, auf das er reagieren konnte, ein paar Takte Bix Beiderbecke.
Woody Allen: Ach wirklich? Kunst ist eine der echten Freuden der Welt, es gibt ein paar, aber Kunst ist eine wichtige.

Wenn Sie mit Ihrer New-Orleans-Band auftreten, fühlen Sie sich eigentlich wie ein Musik-Missionar, der seine Freude daran in alle Welt hinaus tragen muss? Und das speziell vor einem Publikum, das sich nicht speziell für Jazz interessiert?
Woody Allen: Nein, mir geht es so: Ich bin ein Amateurmusiker. Ich habe mit meinen Freunden im Wohnzimmer angefangen. Dann sagten meine Freunde: Lass uns doch in einem Cabaret auftreten. Das bedeutete mir nichts; ich war lange genug Komiker dort. Also spielten wir jahrelang im Cabaret. Dann sagte jemand: Wir haben ein Angebot, auf Tournee zu gehen, könnte doch Spaß machen. Eine Sache führte zur anderen, und ich fand mich als nicht besonders begabter Musiker – das sage ich nicht aus Koketterie, ich bin nicht besonders musikalisch, habe kein gutes Gehör, aber viel Enthusiasmus und wenig Talent – in Konzert- und Operhäusern: Wien, Paris, Madrid, Barcelona, Italien. Nur weil mich die Leute sehen wollen, kommen sie zu Tausenden und hören New Orleans Jazz. Diese Massen können sich unmöglich dafür interessieren. Sie würden nicht einmal kommen, wenn ein großer Musiker Jazz spielte, sagen wir: Ornette Coleman. Es kommen immer nur ein paar Leute zu Jazzkonzerten, zu mir aber strömen sie in Scharen, weil ich diese Filme mache. Sie werden wahrscheinlich nie wieder eine Jazzplatte in ihrem Leben hören. Ich spiele die Musik nicht gut, das ist doch alles ziemlich lächerlich.

Ohne Ihrer Selbsteinschätzung als Musiker zustimmen zu wollen: Sie repräsentieren etwas, das der große Kunstbetrieb normalerweise nicht zulässt; das Amateurhafte, das Liebhabertum. Anderseits handeln all die großen amerikanischen Songs, die unverwüstlichen Standards der Zwanziger und Dreißiger Jahre von allgemein menschlichen Beziehungen, die jeder versteht. Vielleicht macht diese Verbindung Ihre Auftritte so populär.
Woody Allen: Ja vielleicht, die Energie, der Enthusiasmus. Die Leute sagen mir hinterher immer: Sie scheinen so glücklich auf der Bühne. Ja, bin ich auch, denn ich spiele gerne, und ich wäre es genauso, wenn Sie alle nicht da wären. Dann säße ich zu Hause bei meinem Plattenspieler und würde Bix Beiderbecke spielen, das macht mich glücklich.

Lassen Sie mich das einmal als echter Amateurmusiker fragen: Beim Üben kommt man doch immer an Punkte, die sehr frustrierend sind, weil man sie einfach nicht kann und niemals perfekt beherrschen wird. Das tut der Freude am Spiel keinen Abbruch, aber die Frustration ist nun einmal da.
Woody Allen: Ich wäre gerne besser, aber ich weiß, das könnte ich nicht. Ich könnte üben ohne Ende, zehn Stunden am Tag, aber ich habe die Begabung einfach nicht. Wäre ich Trompeter, könnte ich jahrelang spielen, und nichts würde passieren. Miles Davis nähme die Trompete einfach hoch, und es wäre wunderbar. Oder Louis Armstrong: Sie können Tonleitern spielen, und es ist himmlisch.

Wie geht es Ihnen bei der Improvisation? Da ist das Versprechen im Jazz, sich wieder neu zu erfinden. Aber geht das überhaupt? Stößt man als Musiker nicht auch da immer wieder an die eigenen Grenzen und erlebt das Gefühl ständiger Wiederholung?
Woody Allen: Ja, beides ist interessant. Ich finde, dass man jemandes Talent, aber auch die künstlerische Beschränkung bei der Improvisation erkennt. Ich bin sehr eingeschränkt, wiederhole mich wirklich am nächsten Abend. Wenn ich aber als Komödiant improvisiere, dann geht das für immer weiter, und ich erfinde immer etwas Neues. Denn meine Begabung als Komödiant ist unendlich größer als die musikalische.

Bei Ihrem Film Melinda and Melinda erscheint die Titelfigur stets aus zwei Positionen, es gibt immer eine stete Varia
tion. Dadurch ist auch die klassische Erzählstruktur aufgehoben. Was halten Sie dagegen von der gegenwärtigen Mode im Filmgeschäft, Drehbuchlehrer zu hofieren, die genau zu wissen scheinen, was in einem Drehbuch passiert, dass es in der 23. Minute spannend werden muss und so weiter?
Woody Allen: Das ist schon von Natur aus komisch, es reicht, wie Sie das erzählen, um es komisch und lächerlich zu finden. Am Ende ist das Filmemachen nicht anders als die Arbeit eines Polizisten, Gehirnchirurgen, Anwalts, Kritikers, Zahnarztes: Es gibt ein paar gute, viele mittelmäßige und ganz viele schlechte. So ist das beim Film: Man kann lesen so viel man will, es gibt ein paar, die es sehr gut können, und die machen es dann. So ist das eben wie mit allen Berufen.

Wie steht es mit Ihrem alten Wunsch, einmal einen Film zu drehen, den man in einem Doppelprogramm mit dem Klassiker Rashomon von Kurosawa zeigen könnte, und niemand wäre enttäuscht?
Woody Allen: Ja, das würde mir gefallen. Einen Film zu machen, den man zusammen mit irgendeinem guten Film zeigen könnte, Citizen Kane oder Renoirs La Grande Illusion und der dabei respektabel wirken würde.

Die Art, wie Melinda and Melinda über das filmische Erzählen reflektiert, scheint sich diese Nähe zum Kunstkino zu wünschen.
Woody Allen: Zu welchem Kino speziell?

Resnais und Kieslowski verdoppelten zum Beispiel ihre Hauptfiguren, um eine zusätzliche Erzählperspektive einzuweben.
Woody Allen: Ich arbeite von Natur aus in dieser Tradition, die mich als junger Mann sehr beeinflusst hat. Als kleiner Junge hat mich das Hollywoodkino beeinflusst, aber nach dem Krieg kam eine große Menge hervorragender europäischer Filme nach Amerika, die uns alle sehr inspiriert hat. Wir konnten gar nicht anders, als uns beeinflussen zu lassen, weil wir diese Filme so sehr mochten.

So wie ich mit Ihren Filmen aufgewachsen bin. Aber war es nicht in den Siebziger Jahren überhaupt noch so, dass – anders als heute – für jemanden, der sich künstlerisch Gehör verschaffen wollte, das Kino das Leitmedium war? Spüren Sie auch, dass dies verschwindet?
Woody Allen: Ja, das ist gut möglich. Film fungiert nicht mehr wie früher als die anspruchsvolle Kommunikationsform mit der Intelligentia. Ich weiß nicht, ob die Leute lieber wieder ins Theater gehen, ich glaube nicht, wahrscheinlich wird es eines Tages das Fernsehen sein, das dann viel besser wäre. Früher sprachen wir eine Woche lang über den neuen Film von Truffaut oder Bergman. Heute gibt es in New York nicht einmal mehr Kinos, die solche Filme zeigen würden. Die Filme, über die man spricht, sind dumme amerikanische Low-Class-Filme.

Bekommen Sie denn selbst noch ausländische Filme zu
sehen?
Woody Allen: Ich bemühe mich sehr. Wir kriegen ein paar europäische Filme, besonders aus Spanien, einiges aus dem Nahen Osten, einiges aus Ostasien. Aber es ist dann einer gegen hundert US-amerikanische, die es meist kaum wert sind, gesehen zu werden.

Ihr Film Anything Else war es wert gesehen zu werden, verschwand aber schnell, weil man ihn als Teenie-Film vermarktete. Glauben Sie, man muss sich als Filmemacher heute mit dem Marketing befassen?
Woody Allen: Es wäre schön, wenn man als Filmemacher einfach seine fertigen Arbeiten abgeben könnte. Dafür aber ist alles zu teuer geworden. Filme kämpfen sehr gegenüber anderen Unterhaltungsmedien, und sie kämpfen mit sehr harten Bandagen. Ingmar Bergman, Federico Fellini und François Truffaut hätten es heute verdammt schwer.