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Captain America

Captain America – The first Avenger

Ein Held mit Ethik

| Gunnar Landsgesell |

Captain America ließ sich als mythischer Kämpfer gegen Nazi-Deutschland bislang nicht so gewinnbringend verwerten wie andere Marvel-Superhelden. Dass man ihn nun aus dem ewigen Eis aufgetaut hat, erweist sich aber als richtig.

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Auf dem Cover der historischen ersten Ausgabe von „Captain America“ im März 1941 sparten die Schöpfer Joe Simon und Jack Kirby nicht mit Hakenkreuzen; Wehrmachtsoldaten und selbst „Aidolf Hiddler“ sind zu sehen. Ein mächtiger Kinnhaken des „Cap“ lässt den Diktator gerade ziemlich erbeben. Zugleich wird von allen Seiten auf Captain America gefeuert, doch er besteht souverän. Nur dieser letzte Satz gilt auch für Joe Johnstons Verfilmung von Captain America – The First Avenger. Hitler taucht darin nicht auf, er lässt sich von einem SS-Mann namens Joseph Schmidt vertreten, der – als Red Skull – sogar noch diabolischer (!) sein soll. Tritt die SS ins Bild, heißt es „Hail Hydra“, und die Hakenkreuze sind in diesen Bildern dem Abzeichen des schlangenförmigen Ungeheuers aus der griechischen Antike gewichen. Wie also hat man sich einen Superhelden vorzustellen, der im dichten rhetorischen Propagandageflecht des Zweiten Weltkrieges seine glaubwürdigsten Auftritte hatte und nach einigen Re-Animationen als antikommunistischer Kämpfer etwa in Vietnamkriegs-Zeiten nicht mehr so recht überzeugen konnte? Vielleicht als einen Helden, dessen Werte, Sprache und Kampftechniken mit der Verschiebung erwähnter zeitgeschichtlicher Insignien ebenfalls ins Abstrakte, wenn nicht Moderne erfolgt sind? Interessanterweise nicht. Die Autoren konnten vielmehr jenen Verlockungen widerstehen, die Superhelden-Kollegen zu utilitaristischen Leistungsträgern heutigen CGI-Fetisches degradieren.

So bleibt der schwächliche Kunststudent Steve Rogers aka Captain America auch nach seiner nahezu mörderischen Transformation in einer Tesla-würdigen Monsterapparatur ein Mann von irdischer Bescheidenheit und verlässlichem, vor allem nachvollziehbarem Ethos. – Ein guter Punkt, denn: Die Inszenierung sticht die Mythos-Blase des Captain America als antifaschistischen Kämpfer nicht an, sondern rettet diese gut herüber in unsere Zeit. Während bei anderen Helden wie etwa Batman oder Hulk persönliche psychische Erfahrungen als Wesenszüge Teil der Dramaturgie selbst werden, kann der Cap als Archetypus des All-American-Hero sich „Defizite“ der Seele nicht leisten. Er steht nicht nur mit seinem Namen für das Land, sondern erinnert zugleich an die Artus-Sage, wo nur die richtige Antwort auf die Frage nach dem Geheimnis des Grals lautet: Der König und das Land sind eins. Parsifal war es wohl, der diesen Mythos durch seinen unerschütterlichen Glauben rettete, und als Letzter der zerschellten Tafelritter dem König und damit dem Land den entscheidenden Hoffnungsschub verpasste.

Dieses Element behält das Drehbuch von Christopher Markus (The Chronicles of Narnia) und die Inszenierung von Wolfman-Regisseur Joe Johnston auf wundersame Weise bei und verschiebt es in die innere Landschaft seines Helden. Als Frage des Willens. Vom physisch schwächlichen Burschen, der vom Army-Kommandanten (Tommy Lee Jones) verächtlich gemacht wird, bleibt viel erhalten. Geht es um die transformierte Körperhülle, dreht der Film ordentlich auf. Dort, wo der nahezu schüchterne, wiewohl gut orientierte Charakter im Vordergrund steht, mäßigen sich die Bilder auf eine geradezu altmodische Bescheidenheit. Das entspricht aber nicht den üblichen Differenzen zwischen Tag und Nacht, also Superheld und Zivilist, sondern der Idee eines umfassenden, gesellschaftlichen Ethos. Fast könnte man sagen, ein neues Subjekt wird hier geboren. Und genau dieser Gedanke wird narrativ auch derart schlüssig, als die Wahl des Leiters des Transformations-Experiments eben auf kein funktionierendes Rädchen aus dem Militärapparat fiel. Stanley Tucci als jüdischer Wissenschaftler (auch hier verzahnt sich die deutsche Komponente dieses Krieges weit über seine geografische Dimension hinaus) suchte im Wissen um die Wirkung seines Serums, das dominante charakterliche Eigenschaften grotesk verstärkt, einen Menschen, den man mit dem italienischen Philosophen Gianni Vattimo als Vertreter des „schwachen Denkens“ bezeichnen könnte. Vattimo bezieht sich damit auf Nietzsches Übermensch, dessen Supremat er nicht als Ausdruck eines menschenverachtenden Machtwillens liest, sondern vielmehr als Möglichkeit, sich selbst im Wissen über die Welt zu mäßigen und seine eigenen Schwächen zu erkennen. So entäußert sich Steve Rogers Willen (in Nietzsches Sinn als grundsätzliche Triebunruhe des Körpers) in Captain America – The First Avenger auch nicht als körperliche Eruption, sondern als rationale und kalkulierte Kraft im Dienst der Gesellschaft. Die zeithistorische Haltung, der Krieg dürfe nicht der Barbarei zum Sieg verhelfen, findet sich in dieser Inszenierung in der Selbstsicherheit des Superhelden wieder. Obwohl sich mit Captain America und Red Skull zwei Produkte des gleichen Serums gegenüberstehen, ist der Ausgang des Kampfes nie fragwürdig. Das stellt das letzte Drittel des Films, in dem der Cap eine Runde illustrer Kriegsgefangener als Hit-Team versammelt (sie muten wie die Vorhut der für nächsten Sommer angekündigten Avengers-Verfilmung an), etwas in jene Reihe von Comic-Verfilmungen, bei denen geschichtslose Aktion zum Feind jeder Narration wird.

SUPERHELD MIT MENSCHLICHEN EIGENSCHAFTEN

Im Fall von Captain America zitierte das Magazin „New Yorker“ das Phänomen des Retro-Futurismus, in dem sich die Differenz zwischen heutiger Erzählposition und historischer Zukunftsperspektive auftut. Johnstons Film sucht weder die Form einer postmodernen Ironisierung noch einer restaurativen Nostalgiepackung, um das mögliche Dilemma eines eins zu eins aus dem ewigen Eis aufgetauten Weltkriegshelden (übrigens wie im Film auch) zu vermeiden. Der Film entwickelt ein überraschend stimmiges Bewusstsein für die spezifische Geschichtlichkeit seiner Vorlage, das sich über die Haltung des Protagonisten zur Welt (zum Krieg; in der unsicheren Zurückhaltung gegenüber Frauen; auch zu sich selbst), über Ästhetik wie Production Design (Metropolis lässt grüßen), über ein konventionelles Narrativ äußert. Die Legitimität der Heroen-Reanimation findet sich nicht in visuellen Effekten, die – im PR-Sprech – einmal mehr einer Geschichte durch die Möglichkeiten moderner Technik ihre wahre Dimension verleihen sollen, sondern in Szenen, die an menschliche Qualitäten wie Verletzlichkeit, Zweifel, Hoffnung rückgebunden werden. Aus dem Deckel des Mülleimers, mit dem sich der noch schwächliche Steve Rogers in einer Sackgasse verteidigt, wird der unzerstörbare Schild, den der Captain America mehr als Synonym für die Abwehrfähigkeit der amerikanischen Nation mit sich herumträgt. Denn als Waffe – etwas ratlos in Form eines tödlichen Diskus geworfen – wirkt der Schild doch etwas antagonistisch. Auch hier limitiert sich die Erzählung zugunsten der angestrebten Symbolik und einer, diegetisch betrachtet, zurückgestellten Effektivität selbst. Die Uniformität, die der brave Bürger hinsichtlich des Armee-Engagements zuvor so sehnlich angestrebt hat, tritt nun in Gestalt einer individualisierten Uniform hervor, die durch ihre Stars and Stripes allerdings für das Kollektiv steht.

Die ersten Schritte mit Cape und Maske erinnern dann doch ein wenig an die ungelenken Superhelden neueren Datums wie Kick-Ass. Den Stoff überzuziehen, ohne die neue Identität geprobt zu haben, fühlt sich für Steve und den Zuseher gleichermaßen albern an. Die Ochsentour über die provisorischen Bühnen von Soldatenlagern, zu der ihn die Armee eingeteilt hat, hält natürlich jenen Spott bereit, der den späteren Siegertypen ausmacht. Der Schild erweist sich als praktisch, um Tomaten abzuwehren oder auf der Innenseite klebende Texte vorzutragen. Später, in den Wäldern Österreichs (auf einer Karte ist Tamsweg zu lesen), wo der Red Skull seine Hallen zur Waffenproduktion in den Fels geschlagen hat, wirkt die Montur des Helden so wie dieser selbst gereift, stählern. Noch einmal wird in diesen nunmehr ausladend produzierten Kampfszenen deutlich, warum Captain America paradoxerweise bis heute kaum Verfilmungen erlebt hat und keine zentrale Figur im Marvel-Universum darstellt. Er ist ohne eigene Waffen ausgestattet, damit von der Spektakularität der vom Gegner angeeigneten Waffen und dessen moralischer Abgründigkeit abhängig; ohne kosmische Aura wie Superman oder Thor ausgestattet; ohne das Trauma des Chemie-Unfalls; zeitlich gebunden; vor allem ohne die Möglichkeit, auf heimatlichem Boden zu kämpfen.

Ein Held, der statt in den Straßen Manhattans oder San Franciscos an fernen Schauplätzen kämpft, die ein diesbezüglich auf Selbstreferenzialität getrimmtes amerikanisches Publikum kaum verfolgt, stellt ein kulturelles Risiko dar. Vielleicht hält sich der Film deshalb auch relativ lange mit dem interessanteren Teil der Geschichte in New York selbst auf, wo sich die Wirkungsmacht der Figur eben nicht entfalten kann. Chris Evans, der den heterosexuellen Superhelden mit dem ziemlich aufgesetzt wirkenden romantischen Verhältnis zur Army-Kollegin (Hayley Atwell) spielt, wirkt in seiner mimischen Schlichtheit jedenfalls wie der Prototyp des rechtschaffenen Bürgers, der am gerechten Krieg teilhaben will. In seinem Gesicht zeichnet sich noch nicht jene Erschütterung ab, die diesen Begriff in späteren Jahren erfasst hat. Ohne dass hier etwas vorweggenommen wird – der Film endet mit dem Erwachen eines langen Schlafes von Captain America auf dem Times Square von Heute. Die Herausforderungen, die er offenbar 2012 als Teil des Avengers-All-Star-Teams in der heutigen Welt bestehen soll, werden seine Integrität aber tatsächlich auf den Prüfstand stellen.