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Österreich Dossier – Karl Markovics

Aus dem Reich der Toten

| Gunnar Landsgesell |

„Atmen“ ist ein Film, wie sein Regisseur ihn wollte: In klaren und einfachen Bildern erzählt er von einem jugendlichen Straftäter zwischen Gefängnisapparat, emotionaler Entfaltung und Bewährungsdruck.

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Woat’s amoi, des is a Christlicha.“ Der Bestatter klemmt dem Toten ein Holzkreuz zwischen die Finger. Dann kommt der Deckel drauf. Pietät ist eben auch nur ein Teil des Gewerbes. In Karl Markovics Film scheint Robert (Thomas Schubert) aus der Sonderstrafanstalt für Jugendliche aber just dort richtig aufgehoben. Zwar wirken die Kollegen ruppig, einer (Georg Friedrich) traktiert ihn richtiggehend. Aber deshalb hat Markovics Robert ins Reich der Toten geschickt. Um ihm wieder Leben einzuhauchen. Das klingt pathetisch, Atmen ist aber knochentrocken umgesetzt. Das Heimkind, das in einer ernüchternden Szene seine leibliche Mutter treffen wird, steht von Beginn an unter starkem inneren Druck. Zwischen Gefängnisapparat und Bewährungsdruck in unsichtbare Fesseln gelegt, wird er erst bei den Bestattern sozialen Anschluss und einen emotionalen Zugang zu sich finden. Man darf es getrost als faszinierend betrachten, wie ein bekannter Film- und Fernsehschauspieler mit 47 Jahren seinem ersten Film inhaltlich und ästhetisch eine Vision verleiht, die den Anschluss an das Weltkino unserer Zeit nicht vermissen lässt.

Folgerichtig führte Atmen Markovics heuer bis zum Festival nach Cannes. Eigentlich hätte ihn ursprünglich ja nur das Bild der Bestattung interessiert, erzählt der Erstlingsregisseur, dann habe ihn aber auch noch ein Junge vor seinem geistigen Auge gefunden, der dieses Bild mit einer Geschichte auffüllte. Markovics hat an Dialogen abgeschlackt, was ging. Ganz nach seinem Vorbild, dem US-amerikanischen Short Story-Autor Raymond Carver. Nahezu jeder Satz beschreibt über einen sozialen Raum eine Figur (siehe Interview). Also keine unnötigen Dialoge, keine satirischen Irrungen, aber auch keine Realismus-Apologie um jeden Preis. Statt verbaler Redundanzen erzählen Farben etwas von den Begrenzungen in Roberts Welt. Das fahle Gelb der Fliesen in der Straßenbahnstation, wo der Junge zwischen seiner lieblosen Mutter und einer Plakatwerbung hockt, die in erlogenen Farben vom Schnorcheln im Meer erzählt. Wenn Markovics Robert ins Wasser schickt, dann ist es das Gefängnis-Schwimmbecken. Dort liegt er auf dem Boden und hält die Luft an, um zu testen, wie lange er es aushält. Vielleicht kein neues Bild, aber dafür eine jener konsequenten Lösungen, die für sich und zu einem sprechen. Ohne gestelzte Sätze und ohne Akteure, denen das Drehbuch unpassende Worte in den Mund legt.

In Atmen geht es um Konflikte, für deren Lösung praktisch allen die soziale Kompetenz fehlt. Körper prallen hier vielfach aneinander, solange, bis sie sich einfach nicht mehr abstoßen. Im Grau des sozialen Umfelds skizziert Markovics dennoch einen Aufbruch. Er hat einen Film von diffuser, stummer Hoffnung gedreht, aus dem sich letztlich sogar eine Erwartungshaltung herausschälen darf. Die Ahnung von einem „anderen“ Leben, das ist eine der Stärken dieser Geschichte. Den Begriff der Bewegung, den Martin Gschlacht mit seiner Kamera immer wieder visualisiert, die sturen Autofahrten, der Gang in das Gefängnis, die Leibesvisite, das Bahnplakat in der Zelle, das Wippen des Sessels, mit dem Robert auf ein Gespräch über seine Zukunft reagiert, die kurze Begegnung mit einer Unbekannten in der Bahn, all das löst sich als Unruhepotenzial ein, ohne dass in der Dramaturgie dieses Films etwas auf ein freundliches Ende hindrängen würde. Wien bleibt grau, aber im Inneren, da regt sich schließlich was.

Sie haben mit 47 Jahren Ihren ersten Film als Regisseur gedreht und wurden prompt nach Cannes eingeladen. Wann war ein Festivaleinsatz überhaupt Thema?
Sehr spät, ich hatte ja keinerlei Erfahrung über den Arbeitsumfang nach dem Dreh. Mit Sets bin ich zwar vertraut, aber mit dem Schneideraum betrat ich komplettes Neuland. Genauso wie bei Ton, Schnitt, Mischung. Auch die Festivallandschaft war für mich ein unbeschriebenes Blatt. Cannes brachte mein Kameramann Martin Gschlacht, der ja auch coop99-Produzent ist, ins Spiel. Wir hatten das aber bald verworfen, weil sich unser Picture-Lock-Termin verschoben hatte. Beim ersten größeren Screening meinte die Austrian Film Commission aber, der Film sei so weit, dass sich Cannes ausgehen könnte.

Sie hatten schon mehrfach Drehbücher begonnen?
Ich wollte, solange ich Schauspieler bin, stärker schöpferisch tätig sein. Als sehr selbstkritischer Mensch schaffte ich es nie über das Schubladen-Stadium hinaus. Meine Frau meinte dann: Jetzt schreib doch ein Drehbuch fertig und zeig’ es jemandem. Dass ich es jemandem gezeigt habe, ist sicherlich auch eine Frage des Alters. Mit mehr Selbstsicherheit kann man eine mögliche Abfuhr besser wegstecken.

Wie stießen Sie auf diese Geschichte?
Das ist schwer zu sagen. Geschichten fangen bei mir meistens mit einem sehr starken Bild an. Deswegen enden sie dann häufig sehr schnell, weil sich um das Bild erst etwas kondensieren muss. Ich fand es spannend, einen Film über die Bestattung zu machen, einen Dienstleister, der arbeitsmäßig mit dem Phänomen Tod umgeht. Das ergibt aber natürlich keine Geschichte. Nach einiger Zeit tauchte dann vor meinem geistigen Auge ein junger Mann auf, und ich hatte das Problem, aus diesen zwei Bildern nun eine Geschichte zu entwickeln.

Sie erzählen stärker über Bilder als über Sprache. War das Konzept?
Nein, mir war nur auf Grund der Struktur des Protagonisten klar, dass das kein sehr dialoglastiger Film wird. Deshalb habe ich viel über eine zweite Ebene erzählt: über parallele Geschichten und Metaphern, die sich am Ende hoffentlich zu einem ganzen Bild zusammenfügen. Dieser Mensch nimmt ganz simpel und hautnah über seine Beschäftigung in der Bestattung wahr, dass er selbst am Leben ist. Der US-amerikanische Schriftsteller Raymond Carver war mit seiner minimalistischen Klarheit mein Vorbild. Er kann in einem Satz über die Beschreibung sozialer Räume auch die Figur beschreiben.

Hatten Sie konkrete Vorstellungen über die Ästhetik Ihres Films?
Ich hatte eine Vorstellung darüber, wie ich die Geschichte erzählen will. Wie sie aber dann bildlich entstanden ist, hattte sehr viel mit der Vorbereitung mit Martin Gschlacht zu tun. Ich wollte mit ihm aber nicht deshalb arbeiten, weil ich an einen seiner Filme oder an eine bestimmte Ästhetik dachte, sondern weil ich das Gefühl hatte, dass wir gut miteinander arbeiten könnten. Die Klarheit und Geradlinigkeit der Bildkompositionen von Gschlacht haben sich dann mit meiner Vorstellung von Kino als verdichtete, leicht überhöhte Wirklichkeit wunderbar verbunden. Ich maße mir aber nicht an, zu sagen, dass ich Wirklichkeit projiziere, die ist natürlich immer erfunden. Was das Filmformat betrifft: Wir haben Cinemascope verwendet. Ich wollte auch einen richtigen Score haben. Und ich habe die Farblichkeit der Kostüme sehr bewusst gewählt. Was ich vermeiden wollte, war der Look einer Sozialstudie. Zugleich wollte ich aber diese formalen Überhöhungen nur sehr beiläufig einsetzen. Ich bin sicherlich, um es jetzt einmal ganz platt auszudrücken, kein Dogma-Filmer, der die Wirklichkeit formal eins zu eins wiedergeben will. Es kann keine absolute realistische Wahrheit geben, das ist klar. Sobald ein Betrachter da ist, verändert sich die Wirklichkeit.

Sie setzen einige Metaphern ein. Wie stehen Sie zu solchen Bildern?
Ich liebe metaphorische Bilder, finde aber nicht, dass man sie dem Publikum aufdrängen soll. Mir war wichtig, dass sie von einer gewissen Beiläufigkeit sind, nebenbei erzählen, was sich in diesem Bild, in diesen Szenen ereignet.

Wie verlief die Produktion selbst? Fühlten Sie sich in ihrer ungewohnten Rolle als Regisseur überhaupt wohl auf dem Set?
Sehr gut, ich hätte es mir nicht besser wünschen können. Es war eine Fügung glücklicher Umstände – vom Stab bis zum Ablauf der Dreharbeiten. Dreißig Tage sind vielleicht knapp, aber es war ja auch ein Erstlingsfilm. Man muss da sehr ökonomisch und präzise arbeiten, ohne ein gutes Team wäre man da verloren. Es war sicherlich die schönste Arbeitserfahrung meines Lebens.

Fiel es Ihnen nach dem Oscar-Film Die Fälscher leichter, Ihr Filmprojekt zu realisieren?
Ich hatte ja schon länger das Gefühl: Mir fehlt noch etwas in diesem Beruf als Schauspieler. Es fällt auch mit dem Alter leichter, ein Projekt, das nicht mit einem selbst persönlich zu tun hat, zu verfolgen. Es war keine Sekunde Thema für mich, da mitzuspielen. Ganz im Gegenteil haben wir sehr viel Zeit und Bedacht auf das Casting gelegt. Mit Thomas Schubert fand ich unter mehr als 300 Bewerbern einen 18-Jährigen, der nicht von der Schauspielschule kam, sondern aus dem Leben. Es war mir sehr wichtig, dass hier jemand nicht „professionell“ den Jugendlichen mimt. Ich bin glücklich, dass diese Entscheidung aufgegangen ist.

Ihr Produzent Dieter Pochlatko sprach davon, das Sie mit Atmen ein Herzensprojekt realisiert haben. War es das für Sie, oder warten nun noch ein paar unfertige Drehbücher in der Schublade?
Atmen war mir eine Herzensangelegenheit, aber genau deshalb möchte ich diese Arbeit fortsetzen. Durchaus in der Richtung, die ich mit Atmen eingeschlagen habe – mit einem Film, der auf den Realismus seiner Erzählung nicht vergisst.