ray Filmmagazin » Interview » Schreckliche Schönheit
Die Haut, in der ich wohne – Pedro Almodóvar

Pedro Almodóvar

Schreckliche Schönheit

| Thomas Abeltshauser |

21 Jahre nach dem letzten gemeinsamen Film Fessle mich! holte Pedro Almodóvar für sein aktuelles Werk „Die Haut, in der ich wohne“ erneut Antonio Banderas vor die Kamera. Das queere Horrormelodram über einen Schönheitschirurgen und sein attraktives Versuchsopfer war das Warten allemal wert.

Werbung

Pedro Almodóvars achtzehnter Spielfilm ist eine Art Rückkehr zu seinen Anfängen, als er zu Beginn der achtziger Jahre inmitten der Post-Franco-Ära in Madrid schrille Melodramen und Farcen drehte, die er mit Dragqueens und Außenseitern bevölkerte. So wurde er zunächst Undergroundstar, später wichtigster Regisseur Spaniens seit Buñuel. In einer brillanten Hommage an James Whales Frankenstein, Alfred Hitchcocks Vertigo und Georges Franjus Augen ohne Gesicht (Les Yeux sans visage) lässt er Antonio Banderas als Schönheitschirurg Genmaterial von Schweinen und Menschen mischen, um eine künstliche Haut zu erschaffen. Als Versuchsopfer dient ihm eine junge Frau, die er in seiner pompösen Villa mit integriertem Frankenstein-Labor gefangen hält und die seiner vor Jahren bei einem Autounfall verbrannten Frau sehr ähnlich sieht. Damit nicht genug, sinnt der verrückte Professor auf Rache am vermeintlichen Vergewaltiger seiner Tochter und schreckt dabei vor keiner noch so furchtbaren Operation zurück.

So bizarr und Haken schlagend der Plot ist, so souverän und messerscharf sezierend inszeniert ihn Almodóvar – und das ist der große Unterschied nicht nur zu schrillen Trash-Frühwerken wie Kloster zum heiligen Wahnsinn (Entre tinieblas), sondern auch zu den späteren Meisterwerken wie Alles über meine Mutter (Todo sobre mi madre) oder Schlechte Erziehung (La mala educación). Die Haut, in der ich wohne ist ein eiskaltes Thrillermelodram, das ganz ohne Blut und Schockeffekte auskommt, psychologisch jedoch umso grausamer ist – und gerade deshalb für Gänsehaut sorgt. Ästhetisch ist es wie gewohnt ein Hochgenuss, den Volten der Handlung bis zur letzten grandiosen Pointe (wie sie nur Almodóvar hinbekommt) zu folgen. Wie seine Frankenstein-Figur bastelt er sich aus Versatzstücken der Kinogeschichte ein bizarres Filmmonster zusammen – mit dem Unterschied, dass Almodóvar seine Kreatur auch beherrscht. Mit „ray“ sprach der gefeierte Filmemacher, der im September 62 Jahre alt wurde, über Transgender, Frankenstein und die Katholische Kirche.

 


Interview mit Pedro Almodóvar

Antonio Banderas spielt einen Schönheitschirurgen, der sich für seine Experimente mit genmanipulierter Haut eine junge Frau als Versuchskaninchen hält. Ist er ein moderner Frankenstein?

Pedro Almodóvar: Ich hatte das beim Schreiben nicht im Kopf, aber ich glaube der Frankenstein-Mythos passt ganz selbstverständlich in den Kontext meines Films. Vera mit diesen schrecklichen Narben am Körper ist wie ein neues Frankenstein-Monster. Am Anfang träumte ich sogar davon, einen Stummfilm in Schwarzweiß zu drehen, aber dann dachte ich, das ist zu riskant. Ich bekam ein bisschen Angst. Wenn ich einen Film drehe, gehe ich gerne Risiken ein, aber man muss eine Ahnung davon haben, wie weit man gehen kann. Dieser Film ist so schon riskant genug.

Es ist das erste Mal seit vielen Jahren, dass Sie wieder mit Antonio Banderas zusammenarbeiten. Warum haben Sie ihn so lange nicht besetzt?

Ich fühle mich Antonio sehr nahe. Er war in den Achtzigern Teil meiner Familie, wie ein jüngerer Bruder. Und er verkörperte am besten, was ich damals tat. Er war perfekt, mit dem Feuer in seinen Augen, der Leidenschaft und dem Verlangen, die ich für die Figuren brauchte, die ich damals schrieb. Uns verband eine tiefe Freundschaft, aber dann zog er in die Vereinigten Staaten, um eine Familie zu gründen und dort eine neue Filmkarriere zu beginnen, und so sah ich ihn nur noch alle zwei Jahre, wenn ich mal nach Los Angeles kam. Aber man kann auch jemanden lieben und eine Verbindung haben, ohne sich jeden Tag zu sehen und miteinander zu reden. Wir haben eine gemeinsame, emotionale Basis, die Teil unserer Leben ist.

Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit Antonio Banderas?

Natürlich erinnere ich mich! Das war 1981 in einem Theaterstück, wo er nur Komparse war, aber er gefiel mir sofort – physisch. Ich war auf der Suche nach gut aussehenden dunkelhaarigen Jungs, was in Spanien nicht allzu schwierig ist. Das Vorsprechen mit ihm war dann sehr kurz. Er musste für mich nur eine Straße entlang gehen und einem anderen Typen voller Leidenschaft hinterher schauen. Und das hat er perfekt hingekriegt. So bekam er die Rolle in Labyrinth der Leidenschaften (Laberinto de pasiones). Jetzt ist er natürlich reifer und hat sich auch körperlich verändert, aber im Innersten ist er noch immer so verspielt. Und er wollte den Film genauso machen, wie ich ihn haben wollte. Er sagte: „Pedito, sag mir einfach, was ich tun soll.“ Wie Sie wissen, inszeniert er inzwischen auch selbst Filme, aber er vertraut mir noch immer völlig. Zwei Regisseure am Set wären zuviel. Manchmal ist schon einer zuviel.

Der Film handelt von Gender und Transsexualität. Was fasziniert Sie daran so?

Davon abgesehen, dass es ein wenig der Traum vieler Leute ist, sich selbst als das andere Geschlecht zu sehen, glaube ich, dass es auch etwas ist, das Gott in Frage stellt. Wenn du transsexuell bist, forderst du Gott heraus, weil er dich mit dem falschen Körper erschaffen hat. Eines der wichtigsten Themen des Films ist Identität. Ich meine nicht die sexuelle, sondern Identität als solche. Die Operationen des Arztes im Film führen zu den furchtbarsten Veränderungen am Körper, aber er berührt damit nie das, was wir die Seele oder den Geist nennen könnten, das, was uns wirklich menschlich macht. Ich stelle Transsexualität also völlig anders dar als in meinen früheren Filmen. Hier ist sie eine schreckliche Bestrafung, während ich sie früher als Art gezeigt habe, sich der eigenen Identität zu vergewissern.

Der Film verbindet Elemente aus Horrorfilm, Thriller und Melodram …

Ich weiß wirklich nicht, wie ich den Film definieren soll. Es wäre falsch, ihn einfach einen Horrorfilm zu nennen, weil man enttäuscht wäre, würde man mit dieser Erwartung ins Kino gehen. Ich will niemanden erschrecken oder schocken, sondern lieber ein Bild im Geist freisetzen, das einen viel unterbewusster verstört. Es ist ein Film über sexuelle Identität, Überleben und Machtmissbrauch. Es kann eine Metapher für vieles sein. Übrigens benutzen wir im Spanischen dasselbe Wort für Genre und Gender. Wenn wir über Geschlechter sprechen, sagen wir ebenso genero wie wenn wir über Thriller oder Komödien reden. Da kommen sogar manche Kritiker durcheinander.

Ist der Film auch eine Reflexion über die Möglichkeiten und den Missbrauch von Schönheitsoperationen?

Wenn Sie gerade versuchen, mich als Moralisten zu präsentieren, muss ich sagen, dass ich beim Schreiben eines Drehbuchs alles bin, nur das nicht. Ich will nur meine Charaktere zum Leben erwecken, ich möchte, dass sie reale und glaubwürdige Figuren sind. Davon abgesehen halte ich kosmetische Chirurgie für ein Zeichen der Zeit, und wenn es Missbrauch gibt, dann geht er eher von den Behandelten selbst aus – von Leuten, die auf der Suche nach Schönheit in einem Teufelskreis enden, der oft zu grotesken Ergebnissen führt. Aber ich finde auch, dass es absolut legitim ist, wenn nicht ewige Jugend anzustreben, dann zumindest die Verlängerung der Jugend. Als Regisseur ziehe ich allerdings Schauspieler vor, die nicht durch Schönheitsoperationen verändert sind. Die einzige Ausnahme würde ich bei einem Film über die Frauen in Elvis Presleys Leben machen, seine Frau, seine Tochter und seine Enkelin. Weil sie alle genau gleich alt aussehen! Ich erinnere mich an ein Foto auf dem Cover von „Vanity Fair“: Priscilla Presley sah jünger aus als ihre eigene Enkelin! Die drei wären ein toller Stoff für eine Komödie – und ich würde nur operierte Schauspielerinnen besetzen.

Erzählen Sie uns etwas über die wissenschaftlichen Aspekte in Die Haut, in der ich wohne.

Als ich vor elf Jahren mit dem Drehbuch begann, war es fast Science-Fiction, aber nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms hat sich alles rasend schnell verändert. Jetzt ist es möglich, genetische Informationen einer nichtmenschlichen Zelle in eine menschliche zu übertragen und zum Beispiel menschliche Haut so robust wie Schweinehaut zu machen. Aber dieser Fortschritt ist riskant, und die Wissenschaft ist auf die Bremse getreten, zumindest offiziell. Das Problem ist, dass wir nicht genau wissen, was die Zukunft bringt. Die Wissenschaft könnte Krankheiten wie Krebs und HIV besiegen, aber man kann damit vielleicht auch die Identität eines Ungeborenen kontrollieren und genau bestimmen, wie diese Person sein soll. Das wird die Menschheit verändern. Und es wird auch die Bedeutung der Schöpfung verändern. Was wird aus all den Religionen, die einen Gott anbeten, der den Menschen erschaffen hat?

Wird das Ihr erster Film sein, den die Katholische Kirche gutheißt?

Das glaube ich kaum. Sie haben Angst vor allem, was mit Sex zu tun hat. Sie wollen nicht, dass man über Sex redet, stattdessen praktizieren sie ihn lieber heimlich. Verschwiegenheit ist einer der Grundpfeiler der Katholischen Kirche. Ich wurde im Spanien der fünfziger und sechziger Jahre von Priestern erzogen, aber ich habe versucht, all das aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Mich verfolgt da nichts mehr, ich muss gegen nichts ankämpfen, weil es keinen Einfluss mehr auf mein Leben hat. Ich spreche nicht von Spiritualität – das ist etwas völlig anderes und hat für jeden Menschen eine ganz individuelle Bedeutung. Ich bin ein sehr spiritueller Mensch, aber nicht im religiösen Sinn. Und ich glaube auch nicht, dass die Seele viel mit Religion und Kirche zu tun hat. Spiritualität ist nichts, was in dogmatischen Kategorien verstanden werden kann.

Sie begannen Ihre Karriere Ende der siebziger Jahre mit recht schrillen Melodramen und Farcen wie Das Kloster zum heiligen Wahnsinn

Die Presse fand meine ersten Filme ziemlich skandalös, aber das hat mich nie gestört. Ich war immer absolut spontan, damals wie heute. Und manchmal kam dabei etwas raus, über das sich die Leute aufgeregt haben. Aber genau das lieben sie ja auch, sie wollen geschockt werden. Ich habe mich jedoch nie als Enfant terrible gesehen, auch wenn mir dieser Titel mein ganzes Leben lang angeheftet wurde.

Interessieren Sie sich für dieselben Themen wir vor zwanzig, dreißig Jahren?

Das müssen eher Sie beurteilen. Ich versuche immer, meine Filme unbewusst anzugehen. Auch wenn ich meinem Filmteam gegenüber sehr klar formulieren muss, was ich will, versuche ich bei den Themen und wie ich mich ihnen nähere, nicht komplett rational zu sein. Mir war immer die moralische Unabhängigkeit meiner Figuren wichtig. Ich habe mit dem Filmemachen nach Francos Tod begonnen. Diese neue Freiheit wurde zu meinem Lebensmotto und ist noch immer ein Hauptelement meiner Filme. Ich glaube also nicht, dass ich mich so sehr verändert habe, aber ich erkenne in meinen Filmen der letzten zehn Jahre, dass ich mich mehr mit dem Tod und dem Lauf der Zeit auseinandersetze. Ich glaube, das ist normal, wenn man älter wird.