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Melancholia

Melancholia

Der Untergang der Welt und andere Probleme

| Pamela Jahn |

Manchmal sind die Stärken eines Regisseurs nicht ohne seine Depression zu haben: „Melancholia“ ist Lars von Triers bester Film seit langem.

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Dieser Film, um es gleich zu sagen, will nichts Böses. Dass er den Untergang der Welt zelebriert, erweist sich, zumindest für den Zuschauer, bisweilen sogar als Glücksfall. Schon der perfekt inszenierte Prolog macht dies deutlich: In traumhaften, langsam dahinfließenden Szenen, die in ihrer faszinierenden Ausdruckskraft an surrealistische Gemälde erinnern, nimmt Lars von Trier die Grundfesten der eigentlichen Handlung bereits vorweg. Grandios abgestimmt zu den wehmütigen wie berauschenden Klängen aus Wagners „Tristan und Isolde“ irrt eine Braut, gefangen im Wurzelgeflecht der Bäume, die sie umgeben, durch einen Marienbad ähnlichen Garten, während Melancholia, ein gigantischer Planet, unaufhaltsam auf die Erde zusteuert, um einen Augenblick später mit einem Wumms die Menschheit und alles Leben zu vernichten. Einem ungeheuer schönen, bildgewaltigen Wumms, wohlgemerkt, nach dem bei aller Augenweide am Ende doch nichts bleiben kann außer dem Nichts, zumal Melancholia, der Film, so wie alle Von Trierschen Lehrstücke im selben, fatalistischen Universum angesiedelt ist: moralisch zwischen der Gewissheit, dass die Welt grundsätzlich schlecht und der Mensch an sich verdorben ist, formal zwischen der Tradition der großen philosophischen Autorenfilmer und einer so hartnäckigen wie kompromisslosen Obsession für Genrebrüche.

Elegische Apokalypse

Umso mehr überrascht die ungewohnt verhaltene, mitunter herrlich schwarzhumorige Art, mit der sich der 55-jährige, von angeblichen Dauerdepressionen gebeutelte Regisseur diesmal seinem Material nähert, das in seiner kruden Mischung aus Psychokomödie und Semi-Science-Fiction-Plot die Macht der Naturgewalten mit den Dysfunktionen der Familie in Beziehung setzt. Gemeinsam mit Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, Charlotte Rampling und John Hurt ersetzt Lars von Trier die effekthascherischen Attitüden und altvertrauten Typologien des spektakulär cineastischen Katastrophenfilms durch ein elegisches, fast schon wieder unverschämt seelenruhiges Apokalypse-Gefühl. Insgeheim träumt sein Film von der kosmischen Wahrheit hinter der Ausweglosigkeit allen Seins – zugleich ein hoffnungslos romantisches Unterfangen und eine Vorstellung von Kunst, nah genug am Geniewahn, um Lars von Trier zu begeistern.

Tatsächlich ist Melancholia nicht nur sein gefälligster, sondern auch sein bester Film seit langem. Was nicht unbedingt heißen soll, dass er weniger Diskussionsstoff bietet als sein über weite Strecken nur schwer verdaulicher Antichrist vor zwei Jahren, jedoch verzichtet er zugunsten der eingangs erwähnten opulenten, symbolträchtigen Bilderwelten diesmal gänzlich auf sadistische Gewaltakte, Verstümmelung und Folter. Ähnlich wie bei Antichrist braucht er für die Handlung erneut lediglich einen Schauplatz mit relativ geringem Personal. Der erste Teil des Films ist benannt nach Justine, einer der beiden Schwestern, um deren verschiedene Seelenzustände es von Trier in erster Linie geht, während diese sich, jede auf ihre Weise, auf den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang vorbereiten. Justine (Kirsten Dunst), eine erfolgreiche Werbetexterin, und ihr Bräutigam Michael (Alexander Skarsgård) begehen den angeblich schönsten Tag ihres Lebens auf einem pompösen Landsitz am See, der Justines Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) und deren Mann John (Kiefer Sutherland) gehört. Bereits die anfängliche Autopanne, wegen der das Paar mit geraumer Verspätung zu der illustren Hochzeitsgesellschaft stößt, deutet darauf hin, dass die Feierlichkeiten wohl nicht so verlaufen werden, wie minuziös von der fürsorglichen Claire mit Hilfe eines professionellen Hochzeitsplaners (Udo Kier in Höchstform) programmiert. Mit der Handkamera ganz nah an den Personen gefilmt, nimmt das Fest seinen unvermeidlichen Lauf. Das Ganze mag mitunter stark an die desaströse Familienfeier in Thomas Vinterbergs Dogma-Klassiker Festen (1998) erinnern, erhält hier jedoch unter der Mithilfe der von Charlotte Rampling verkörperten Mutter der Braut eine ganz eigene, wunderbar zynische Note. Die Hochzeitsnacht ist noch nicht vorbei, da hat sich das Paar längst getrennt, woraufhin Justine gänzlich ihrer unterdrückten Depression verfällt.

Der zweite Akt rückt schließlich Justines Schwester Claire in den Mittelpunkt. Doch auch Justine ist nicht weit, denn nach der geplatzten Hochzeit nimmt Claire ihre lethargische, kranke Schwester bei sich und ihrer Familie auf. Gemeinsam beobachten sie, wie der Planet Melancholia unaufhaltsam auf die Erde zusteuert, an der er angeblich in wenigen Tagen problemlos vorbeiziehen soll. Claires Ehemann, Hobbywissenschaftler John, und ihr Sohn Leo sind voller Begeisterung hinsichtlich des bevorstehenden Naturspektakels, obgleich John – ohne Claires Wissen – ebenso dafür sorgt, dass alle nötigen Vorkehrungen für den Notfall getroffen sind. Denn Claire selbst steht den beruhigenden Prophezeiungen der Wissenschaftler skeptisch gegenüber. Ihre Unsicherheit und Angst korrelieren mit der zunehmenden Genesung ihrer Schwester, denn je näher Melancholia der Erde kommt, desto mehr findet Justine überraschenderweise ihren inneren Frieden. Das Wissen um das Ende der Welt scheint sie zu beflügeln, als habe sie einen faustischen Pakt geschlossen und ihre Seele für die ganzheitliche Wahrheit verkauft.

Innere Abgründe

Melancholia ist, wie bereits eingangs erwähnt, ein Film, der sich trotz klarer Genre-Elemente schwer einordnen lässt. Er ist Melodram, Komödie, Endzeitszenario zugleich und nicht zuletzt eine fantastische Erzählung, die mitunter beklemmend real wirkt. Doch ebenso wie der dürftige Sci-Fi-Plot lediglich eine bildliche Veräußerlichung von Justines innerer Katastrophe und Katharsis darzustellen scheint, liefert Melancholia im Grunde den filmischen Beweis dafür, dass auch der Regisseur sich mit einem Kraftakt aus dem persönlichen Abgrund der Depression befreit hat, und man darf gespannt sein, wohin ihn die Wogen der Melancholie zukünftig treiben lassen. Was den kreativen Schaffensprozess angeht, meint von Trier, er habe beim Schreiben des Drehbuchs die eigene Persönlichkeit auf die verschiedenen Charaktere aufzuteilen versucht, mit erstaunlichem Ergebnis: „Ich fühle mich Justine ebenso nahe, wie mir Charlotte Gainsbourgs Charakter in Antichrist unheimlich nah stand. Wenn ich ein Drehbuch schreibe, schreibe ich über mich, und es kann sein, dass ich mich dabei in zwei verschiedene Männerfiguren aufteile und dann etwas schrecklich Weiblich-Klischeehaftes dabei herauskommt. Da kann es passieren, dass die Figuren als totale Idioten oder Idealisten rüberkommen, oder beides. Dann kurz vor dem Drehstart vertausche ich die Geschlechter. Was ich damit sagen will ist, dass ich es nicht etwa darauf anlege, die Figuren weiblich zu machen, es passiert einfach. Ich strenge mich nicht sonderlich an, dass es passiert, ich gebe ihnen lediglich eine Konzeptidee vor, wer und was sie sein könnten, mehr nicht. Weil das ein Konzept ist, das ich für mich selbst entwickelt habe, und ich denke, das macht die ganze Sache glaubhafter.“

Es braucht schon einen Regisseur wie von Trier, damit der emotionale Transfer solcher Konzeptarbeit funktioniert – und eine Schauspielerin wie Kirsten Dunst. Bei von Trier darf die 29-Jährige nun endlich einmal zeigen, was sie wirklich kann. Dafür wurde sie in Cannes dann auch gleich verdient zur besten Schauspielerin gekürt, wohingegen sich von Trier wegen Fehlverhaltens bei der Pressekonferenz lediglich einen Platzverweis einhandelte. Dunsts Justine ist mehr als das Alter Ego des Regisseurs, sie ist das wahre Herzstück des Films, während Charlotte Gainsbourg souverän die angstverklemmte ältere Schwester gibt. Vielleicht ist das alles aber auch nur Lars von Trier zu verdanken, der zumindest in der filmischen Auseinandersetzung mit dem Ende der Welt so sehr bei sich ist wie seit Jahren nicht mehr. Es gelingt ihm, den beiden Schwestern, dem Planeten Melancholia sowie dem inneren Zustand Justines eine Ausdruckskraft und Intimität zu verleihen, die nur entstehen kann, weil ihr auch der nötige Raum zugestanden wird. Dabei versucht er natürlich wie immer, nicht nur seine Depression selbst zu verarbeiten, er versucht, wenn auch mit weniger drastischen Mitteln als in Antichrist, sie einmal mehr dem Zuschauer spürbar zu machen. Das funktioniert insoweit, als man sich dem Sog dieser perfektionistisch inszenierten, elegischen Bilder zumindest am Anfang nur schwer entziehen kann. Mag sich diese magische Anziehungskraft mit fortschreitender Handlung auch leicht erschöpfen, ein suggestiv-poetisches Filmerlebnis bleibt Melancholia allemal.

Von Trier will immer beides: große Provokation und unbestechliche Selbstreflexion. Den Diskurs der Bilder und die Nähe zu den desillusionierten, schlechten Menschen, die sie bevölkern. Eine Bildgewalt, die sich in artifizielle Höhen erhebt, und eine Kamera, die den Figuren direkt über die Schulter und in die Herzkammern blickt. Er will alles, er will manchmal zu viel, und er bezahlt dafür. Aber das Schöne ist, dass er sich immer wieder an dieser Quadratur des Kreises, die ja letztlich die Quadratur des Kinos ist, versucht.