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Jeremy Thomas

Der Mann im Hintergrund

| Oliver Stangl |

Die Viennale widmet dem Ausnahmeproduzenten Jeremy Thomas ein Tribute mit bekannten Meisterwerken und selten gezeigten Preziosen.

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Welcher Regisseur sieht schon gern den Produzenten am Set?“ hat Jeremy Thomas einmal sinngemäß gesagt. Und tatsächlich soll sich der 1949 in England geborene Filmbesessene nur (relativ) selten am Drehort zeigen. Der Satz ist jedenfalls symptomatisch: einerseits für Thomas’ Kunstverständnis, andererseits für das Vertrauen, das zwischen ihm und den Filmemachern herrscht. Film wurde ihm quasi in die Wiege gelegt: Sein Vater Ralph inszenierte routiniert eine Vielzahl an Dramen und sein Onkel Gerald war Stammregisseur der berühmt-berüchtigten Carry On-Klamaukreihe. Thomas begann zunächst als Cutter, ehe er 1976 mit dem australischen Western Mad Dog Morgan (den titelgebenden Outlaw verkörperte Dennis Hopper) sein Debüt als Produzent gab. Der diesjährige Viennale-Tribute versammelt Thomas-Produktionen aus gut 25 Jahren: eine eindrucksvolle Werkschau mit enormer Bandbreite, die von „kleinen“ Projekten bis zu oscargekrönten Kassenhits reicht.

Sprechende insekten und messianische Gangster

Zu den großen Filmemachern, die Thomas und seiner Produktionsfirma Recorded Picture Company vertrauen, gehört beispielsweise David Cronenberg: Das heuer in Venedig gelobte Period Piece A Dangerous Method, das sich der spannungsreichen Freundschaft Sigmund Freuds (Viggo Mortensen) mit C.G. Jung (Michael Fassbender) widmet, ist die jüngste Zusammenarbeit der beiden und feiert auf der Viennale Österreich-Premiere. Die skandalumwitterte J.-G.-Ballard-Adaption Crash, in der sich Menschen an Autounfällen aufgeilen, brachte Cronenberg 1996 in Cannes den Spezialpreis der Jury ein, steht beim Tribute aber leider nicht auf dem Programm. Gezeigt wird dagegen die künstlerisch vielleicht kühnste Zusammenarbeit von Thomas/Cronenberg: Naked Lunch (1992), nach dem Roman des legendären US-Schriftstellers William S. Burroughs. Der Film ist keine Literaturverfilmung im konventionellen Sinn, sondern ein Auszug aus der Biografie des Schriftstellers, dessen Leben zwischen New Orleans und Tanger von Drogenexperimenten, Kleinkriminalität und einer Vorliebe für Strichjungen geprägt war – allerdings sind die biografischen Elemente angereichert mit Figuren aus der Burroughs’schen Romanwelt, sprechenden Fantasiewesen, zu Käfern mutierenden Schreibmaschinen, grotesken Doppelagenten, bedrohlichen Frauenfiguren und Telepathie. Ein intelligenter Film, der zahlreiche Bezüge aus Burroughs Werk aufgreift und die Frage stellt, ob der Autor nur durch den von ihm verschuldeten Tod seiner Frau – der eigentlich homosexuelle Burroughs erschoss sie auf einer Party beim Versuch, ein Glas zu treffen, das sie auf dem Kopf balancierte – zum Schriftsteller wurde. Mit grandios künstlichem Production Design, einem fahrigen Soundtrack von Howard Shore und Ornette Coleman, Szenen, die an surreales Kino gemahnen, und einer hervorragenden Besetzung (Peter Weller, Judy Davis, Roy Scheider) ist Naked Lunch ein großer künstlerischer Triumph geworden. „When David discussed it with me, I could see in a flash this was going to be an incredible film“, erinnert sich Thomas im Making-of. Und er hatte Recht. Nicht viele Produzenten hätten sich auf ein solch wagemutiges und kompromissloses Werk, das keinerlei Zugeständnisse an den Mainstream macht, eingelassen.

Vor avancierten Projekten schreckte Thomas, der 2006 mit dem Europäischen Filmpreis für herausragende Leistungen um den Europäischen Film ausgezeichnet wurde, jedenfalls nie zurück; immer wieder interessierte er sich auch für Crime und Noir. Am Viennale-Programm steht etwa Stephen Frears selten gezeigter Kultfilm The Hit (1984), ein existenzialistisches Roadmovie, bei dem Quentin Tarantino wohl einiges gelernt hat: Terence Stamp spielt den Kriminellen Willie Parker, der als Kronzeuge gegen seine ehemaligen „Kollegen“ aussagt und im Gegenzug ein schönes Leben in Spanien verbringen darf. Doch nach zehn Jahren wird er gefunden: Ein Killerduo (John Hurt als Miesepeter und der 22-jährige Tim Roth als junger Punk) soll ihn per Auto außer Landes bringen. Doch die Reise wird aufgrund unvorhersehbarer Umstände zusehends komplizierter für die Killer, die auch darüber erstaunt sind, dass der ganz in weiß gekleidete Parker seinen nahenden Tod scheinbar akzeptiert, sich nicht aus der Ruhe bringen lässt und zusehends wie eine Art Messias wirkt. Als dann noch eine weibliche Geisel (Laura del Sol) dazukommt, stellt sich die Frage nach dem Ausgang der Reise immer dringlicher. The Hit war stilprägend für nachfolgende Crime Fiction und vereint Gangsterfilm mit Roadmovie, lakonischen Humor mit existenzialistischen Fragen. Ein Genuss, nicht zuletzt wegen der wunderbar eingefangenen spanischen Landschaft und dem Soundtrack von Gitarrenlegende Paco de Lucia.

Auch in Sexy Beast (2000) hat es sich ein ehemaliger Krimineller, der Safeknacker Gary Dove (Ray Winstone) in Spanien gemütlich gemacht. Doch der brutale Gangster Don Logan (Ben Kingsley) wird von Doves ehemaligen Auftraggebern losgeschickt, um ihn zu einem letzten Coup zu „überreden“. Und wie heißt es so schön in der Tagline: „Sometimes it’s hard to say no.“ Auch wenn der Film ein wenig zu gelackt wirkt (Regisseur Jonathan Glazer kommt aus der Werbung), schauspielerisch überzeugt er auf ganzer Linie. Während Winstone eine sensible, zurückgenommene Performance abliefert, tobt sich ein ebenso furchteinflößender wie amüsanter Kingsley mit großer Lust an einem für nicht-britische Ohren so gut wie unverständlichen Cockney-Akzent aus. Die Fluchkaskaden, die der Prollgangster Logan auf den bedauernswerten Dove loslässt, haben der Rolle Kultstatus und Kingsley eine verdiente Oscarnominierung eingebracht.

Thomas, der einmal anmerkte, dass man als Produzent eine Art Rüstung benötige, die vor den zahlreichen Rückschlägen im Filmbusiness schütze, produzierte auch Blood and Wine (1996), den dritten Teil einer losen Trilogie um zerrüttete Familien, die Bob Rafelson mit Jack Nicholson drehte (nach The King of Marvin Gardens und Five Easy Pieces, beide aus den siebziger Jahren). Blood and Wine dreht sich um den bankrotten Weinhändler Alex Gates (Nicholson), der gemeinsam mit einem lungenkranken Safeknacker (Michael Caine) eine wertvolle Kette stiehlt. Doch auch die Geliebte Gates’ sowie seine entfremdete Frau und sein Stiefsohn haben Interesse an der Beute. Der schwelende Konflikt bricht zur Gänze aus, die Folge ist gegenseitige Zerfleischung. Der Film versucht, das Thema Gier seriös anzugehen und hat stellenweise pointierte Dialoge, wirkt aber letztlich mehr wie ein TV-Film. Die Rolle von Gates’ Frau Suzanne (Judy Davis) hätte sich mehr Tiefe verdient, und Nicholson agiert gänzlich auf Autopilot. Das Highlight des Films ist ein brillanter Michael Caine, dessen todgeweihter Safeknacker alles tut, um seinen kurzen Lebensabend nicht in Armut verbringen zu müssen. Bei All the Little Animals (1998) brach Thomas seine Regel und tauchte täglich am Set auf. Das verwundert nicht, war das moderne Märchen, das Anleihen bei Charles Laughtons Meisterwerk The Night of the Hunter (1955) nimmt, doch sein Regiedebüt (und der bisher einzige Film, den er selbst inszenierte). Die Handlung dreht sich um den nach einem Unfall geistig leicht eingeschränkten Tierfreund Bobby (Christian Bale), der nach dem Tod seiner Mutter ein großes Geschäft erbt. Sein Stiefvater will das Geschäft für sich und droht ihm mit Einweisung in eine psychiatrische Anstalt. Bobby flieht und lernt den seltsamen Mr. Summers (John Hurt) kennen, der das Begraben von überfahrenen Tieren als seinen Job ansieht. Gemeinsam verbringen die beiden eine idyllische Zeit in der wunderschön gefilmten Landschaft Cornwalls, doch Mr. Summers dunkle Vergangenheit und der Stiefvater bedrohen die Zweisamkeit der beiden gemeinsam Einsamen. Der Film bietet schöne Leistungen von Bale und Hurt, die aber neben kleinen inszenatorischen Unsicherheiten nicht vergessen machen können, dass die Märchengeschichte letztlich zu direkt daherkommt.

Kreative Freiheit

Für Österreicher besonders interessant ist Nicolas Roegs Bad Timing (1980): Art Garfunkel (!) spielt den in Wien lebenden US-Psychiater Alex Linden, der sich in die manisch-depressive Milena (Theresa Russell) verliebt. Als diese tot aufgefunden wird, übernimmt Hauptmann (Inspektor gibt’s auch bei Roeg kan) Netusil (Harvey Keitel!) die Ermittlungen. In Flashbacks ergibt sich allmählich das Bild einer zerstörerischen Beziehung. Roeg spielt virtuos mit Kameraeinstellungen und Schnitten, die die Seelenlandschaft der Protagonisten illustrieren, als Schauplätze kommen unter anderem das Belvedere, das Café Landtmann und die Schönbrunnerstraße (in der man noch das legendäre Schloß-Kino sehen kann) zum Einsatz. Dass der Sozialstaat noch gut in Schuss war, daran erinnern Wahlplakate mit Bruno Kreisky.

Weiters zeigt die Viennale Oshima Nagisas packende Macht- und Mentalitätsstudie Merry Christmas, Mr. Lawrence (1983), in dem David Bowie, Sakamoto Ryuichi und Kitano Takeshi während des Zweiten Weltkriegs in einem japanischen Internierungslager aneinander geraten, Bertoluccis neunfach Oscar-prämiertes Historiendrama The Last Emperor (1987), der Thomas eine Statuette für den Besten Film einbrachte, die Sechziger-Jahre-Reminiszenz The Dreamers (2003, ebenfalls von Bertolucci), Fast Food Nation (2006), Richard Linklaters semi-dokumentarische Abrechnung mit der US-Lebensmittelindustrie, David Mackenzies wunderbaren Noir Young Adam (2003) mit Tilda Swinton und Ewan McGregor sowie Jerzy Skolimowskis in Cannes mit dem Großen Preis der Jury bedachten Psycho-Horrorfilm The Shout (1978) mit Alan Bates, Susannah York und Thomas-Stammgast John Hurt.

Jeremy Thomas hat vielen Filmemachern ermöglicht, ihre Visionen mit einem großen Maß an kreativer Freiheit zu verwirklichen. Dass darunter viele fordernde, künstlerisch radikale und auch unbequeme Werke sind, macht den Mann sympathisch. Ein schon bisher beachtliches Lebenswerk also, zu dem hoffentlich noch viele Filme hinzukommen werden.