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TV-Special

Keine Eintagsfliege

| Roman Scheiber |

„Serielle Formen“ heißt das Ergebnis einer filmwissenschaftlichen Tagung über „Qualitätsserien“ – ein auch für Nichtwissenschafter gewinnbringender Sammelband.

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Mehrere der hier umrissenen theoretischen Ansätze lassen sich umstandslos auf eine Serie übertragen, die zum Zeitpunkt der Entstehung des Buchs erst eine zarte Season alt war und wohl nur aus diesem Grund kein eigenes Kapitel bekommen hat: Sowohl was den Genre-Crossover-Aspekt betrifft (Black Social Comedy, Familiendrama, Drogenthriller), als auch in ihrer überaus realistischen Schilderung eines aus Verzweiflung ins Drogenbusiness vorstoßenden Durchschnittsbürgers (und natürlich in der Ambivalenz dieser Hauptfigur), in ihrer elliptischen Struktur oder auch in ihrem „cineastischen Stil“ darf die AMC-Show Breaking Bad als jüngeres Beispiel einer Produktion gelten, die für den markanten Wandel der US-Serienlandschaft der vergangenen Jahre typisch ist.

Dieser Wandel ist das Hauptthema des im Rahmen der Zürcher Filmstudien bei Schüren erschienenen Bandes „Serielle Formen – Von den frühen Film-Serials zu aktuellen Quality-TV- und Online-Serien“, der die überarbeiteten Vorträge einer filmwissenschaftlichen Tagung an der Universität Zürich im Juni 2009 versammelt und noch einige Aufsätze hinzufügt. Laut Mitheraus­geberin Kristina Köhler versteht sich das Buch in erster Linie als Dokumentation dieser Zusammenkunft, aber darüber hinaus auch als Anregung zu einem „Nach-Denken über Serien und Serialität“, wobei die Schreibweise mit Bindestrich auch ausdrücken soll, dass hierbei an Annahmen und Konzepte älterer Serientheorien angeknüpft werden sollte.

Die meisten Beiträge des Bandes sind auch für Nichtwissenschafter verständlich. Einen guten Überblick über das in Rede stehende, neuere US-amerikanische Serienschaffen liefert Mitherausgeber Robert Blanchet in einer journalistisch informativen Einführung. Darin unterzieht Blanchet die Thesen aus Robert J. Thompsons Buch „Television’s Second Golden Age: From Hill Street Blues to ER“ einem Praxistest, indem er sie auf Serien anwendet, die in den 15 Jahren seit Erscheinen des diskursprägenden Werks entstanden sind. Blanchet kommt zum Schluss, dass Thompsons zwölf typische Merkmale einer „Qualitätsserie“ (der Begriff wird im Buch mehrmals diskutiert) sich im Wesentlichen noch immer sehr gut dazu eignen, das Phänomen zu erfassen – obwohl sich dessen Intensität und Reichweite wie auch die Rahmenbedingungen (zum Beispiel der Pay-TV-Sektor) verändert haben. „Darüber, wie lange der Trend noch anhalten wird, kann man nur spekulieren. Mit Sicherheit ist Quality-TV aber keine medienhistorische oder akademische Eintagsfliege“, schließt Blanchet und hat damit ganz ohne Zweifel recht.

So manche offenkundig obsolete Theorie hätten die Autorinnen und Autoren hingegen getrost als Ausgangspunkt fallen lassen können, aber das scheint im Wissenschaftsbetrieb schwer wegzudenken. Einer der originellsten Beiträge stammt von Margarethe Bruun Vage, die der Frage nachgeht, warum die Figur Omar Little aus der mittlerweile kultisch verehrten HBO-Crime-Cop-Serie The Wire so beliebt ist, und die „dynamische Sympathiestruktur“ neuer Serien beschreibt, die sich viel Zeit für Varianzen der Charaktere nehmen können.

Weitere Fallstudien betreffen u.a. Mad Men, Dexter und Six Feet Under, drei Aufsätze beschäftigen sich löblicherweise und durchaus fruchtbar mit Filmserien im postklassischen Kino, der Praxis des Remakings und Online-Serien. Die allesamt interessanten Beiträge im ersten Teil des Buchs vermitteln auch philosophische und kulturtheoretische Perspektiven. Herausgehoben sei hier Jason Mittels Aufsatz, der sich dem Aufkommen der Fernseh-DVD-Box widmet, und u.a. erklärt, wie diese Art der Verwertung auf die Kreativität der Serienmacher zurückwirkt.

Abgerundet wird der Band mit einem Interview, das Mitheraus­geberin Julia Zutavern mit Michel Bodmer, dem Leiter der Redaktion Film und Serien beim Schweizer Fernsehen, geführt hat. Titelzitat: „Der Sport ist der natürliche Feind der Serie.“ Man könnte allerdings im Gegenteil behaupten: Der Sport ist der natürliche Ausgleich zur Serie. Vor allem, wenn man von dieser anders nicht lassen kann.