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Cary Fukunaga

Jane Eyre

Ganz nah am Text

| Pamela Jahn |

Cary Fukunaga, Jahrgang 1977, gelang mit seinem Regiedebüt „Sin Nombre“, einem harten Drama über mexikanische Jugendgangs, der Durchbruch. Nun wagte er sich an einen historischen Stoff. ray sprach mit dem gebürtigen Kalifornier über seine erste Begegnung mit Charlotte Brontës Roman „Jane Eyre“, die Schwierigkeiten mit Genrewechseln im Kino und warum der zweite Film nicht immer der schwerste sein muss.

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In Kino und Fernsehen gehört „Jane Eyre“ zu den meist verfilmten Romanen überhaupt. Es gibt Jane Eyre als Comic, Musical und Oper. Was hat Sie daran gereizt, dem eine weitere Leinwand-Adaption hinzuzufügen?

Cary Fukunaga: Ich muss gestehen, ich habe nur wenige der früheren Verfilmungen gesehen. Am besten vertraut bin ich mit Robert Stevensons Kinofassung aus den vierziger Jahren mit Orson Welles und Joan Fontaine in den Hauptrollen, damit bin ich quasi aufgewachsen. Und was mich daran immer am meisten interessiert hat, war die Tatsache, dass der Film ganz bewusst auch die düsteren Elemente des Romans zum Vorschein bringt. Was meinen eigenen Ansatz angeht, ging es mir jetzt keineswegs darum, „Jane Eyre“ plötzlich ganz neu zu erfinden oder zu modernisieren. Ganz im Gegenteil, ich wollte einfach so nah wie möglich am Text bleiben. Ich versuchte mir vorzustellen, wie Charlotte Brontës Roman auf jemanden wirkt, der das Buch abends allein vor dem Schlafengehen liest, der sich einfangen lässt von der Stimmung und der Atmosphäre, die die Figuren umgibt. In der Geschichte gibt es ja wirklich gruselige Momente.

Die meisten Adaptionen, die ich kenne, tun sich mit diesem Genrewechsel allerdings ziemlich schwer, so dass die schaurigen Szenen entweder gekünstelt oder deplatziert wirken. Oder aber der Roman wird von vornherein lediglich als historischer Schmachtschinken verhandelt. Für mich stellte sich also die Frage: „Wie schaffe ich es, eine durchgängig fesselnde Atmosphäre zu schaffen, ohne dass die Liebesgeschichte darunter leidet?“ Das schien mir die größte Herausforderung, und ich glaube, dass der häufige Stimmungs- und Genrewechsel innerhalb des Romans der Grund dafür ist, weshalb viele der früheren Verfilmungen letztlich gescheitert sind.

Erinnern Sie sich noch daran, als Sie den Roman zum ersten Mal gelesen haben?
Cary Fukunaga: Ja. Ich habe das Buch erst als Erwachsener gelesen und war im ersten Moment total erschlagen von der Sprachgewalt, mit der Charlotte Brontë einem entgegenkommt. Ich meine, sie ist ja keineswegs sparsam mit Worten. Aber es dauerte nicht lang und ich war ganz und gar eingefangen von ihrer Erzählweise und dachte mir: „Wow, das ist einfach so gut geschrieben.“ Ihre Eloquenz und die Genauigkeit der Sprache fand ich persönlich unheimlich inspirierend. Aber ganz ehrlich, es gab auch ein paar Stellen, bei denen ich dachte: „OK, jetzt mal weiter.“ (Lacht.)

Sie haben mit Mia Wasikowska und Michael Fassbender zwei Hauptdarsteller gewählt, die im Vergleich zu früheren Besetzungen jünger sind beziehungsweise um einiges jünger wirken. War das auch eine bewusste Entscheidung, um der Romanvorlage möglichst treu zu bleiben?
Cary Fukunaga: Mia war zwar schon achtzehn, als wir gedreht haben, aber es stimmt: In bestimmten Einstellungen sieht sie tatsächlich aus wie zwölf. Es gibt da die Szene, als Jane zum ersten Mal morgens in Thornfield aufwacht. Die Puppe, die sie dabei im Arm hält, gehört Mia privat, die hat sie seit ihrer Kindheit. Und wie sie da im Bett liegt mit ihrer Puppe an sich gedrückt, ist sie auf einmal wieder ganz die kleine Jane. Wir hatten das im Vorfeld so genau gar nicht einkalkuliert, aber es hat perfekt gepasst.

Beide Schauspieler wirken wie die ideale Besetzung. Zu welchem Zeitpunkt im Entstehungsprozess des Films war Ihnen klar, wer die Hauptrollen übernehmen würde?
Cary Fukunaga: Ich habe Mia und Michael schon sehr früh gecastet, noch während ich am Drehbuch schrieb. Beide kannten den Roman und ich fand die Gespräche, die wir damals über ihre Charaktere führten, unheimlich hilfreich. Ich habe daraufhin etliche Szenen umgeschrieben, vor allem weil Mia unbedingt noch mehr von der „wilden“ Seite Janes zeigen wollte – was mir wie gesagt auch sehr wichtig war. Ich wollte verhindern, dass am Ende doch wieder nur ein steifes Liebesmelodram herauskommen würde.

Der zweite Film ist immer der schwerste, heißt es. Mit Ihrem Debütfilm Sin Nombre, einer Mischung aus authentischem Gangsterdrama, Lovestory und Roadmovie, haben Sie international für Furore gesorgt. Was hat Sie dazu bewogen, für Ihren zweiten Spielfilm ausgerechnet einen historischen Stoff als Grundlage zu wählen?
Cary Fukunaga: Ich habe darüber, ehrlich gesagt, nicht lang nachgedacht. Ich hatte eigentlich schon ein anderes Drehbuch geschrieben, auch wieder ein recht düsteres Realdrama, aber dann kam alles anders. Ich glaube, letztlich war es eine Frage des Timings. Was ich damit sagen will ist, dass ich nach Sin Nombre zunächst keinen festen Plan hatte. Und wenn man grundsätzlich offen ist, passieren die Dinge eben ganz oft einfach von selbst. Als ich „Jane Eyre“ zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich noch, ich würde eigentlich auch ganz gern mal für eine Weile in England leben. Dann bekam ich eines Tages das Drehbuch in die Hand und plötzlich kam eines zum anderen.

Sind Sie dann schon vor dem Drehstart nach England gegangen?
Cary Fukunaga: Ich war damals sowieso schon seit einigen Monaten in Europa unterwegs. Ich hatte beschlossen, ein wenig herumzureisen, um Ideen zu sammeln. Im August 2009 fuhr ich zum ersten Mal nach England und im September kam dann ein Treffen mit der BBC zustande. Danach ging alles ziemlich schnell und im November 2009 haben wir dann bereits gecastet.

Die karge englische Landschaft, in der die Brontë-Schwes­tern aufwuchsen und in der auch ihre Romane spielen, ist allerdings alles andere als einladend.
Cary Fukunaga: Ja, das ist wahr. Die moorigen Hochebenen und endlosen Hügellandschaften nördlich von Derbyshire wirken extrem schroff und quälend. Aber nicht nur die Landschaften, auch die Anwesen, die darin liegen, haben etwas sehr Düsteres, Beängstigendes an sich. Und Charlotte beschreibt im Roman ja auch sehr eindringlich, in was für einer Umgebung Rochester aufgewachsen ist und gelebt hat. Ferndean, zum Bespiel, wo Jane ihn nach Jahren wiederfindet und wo der Roman endet, liegt in einem dichten, dunklen Wald versteckt. Aber auch Thornfield war ja weiß Gott kein freundlicher Ort.

Wie empfanden Sie die Arbeit am Set, die ja sicher auch ganz anders war als in Mexiko, wo Sin Nombre spielt?
Cary Fukunaga: Bei jedem Projekt geht es ja nicht nur um den Film, sondern auch darum, was man dabei lernt, wie man seine Arbeit verbessern kann und am Set eine Atmosphäre schafft, die dem Ganzen förderlich ist. In England zu drehen war natürlich eine ganz andere Erfahrung als zuvor in Mexiko. Es gibt vor allem überall andere Regeln, die nie ausgesprochen werden. In Mexiko zum Beispiel erwartet die Crew an Samstagen, dass du sie mit Alkohol und Snacks versorgst, sonst regen sich alle furchtbar auf und keiner macht was. Aber genau das ist für mich das Spannende daran, an verschiedenen Orten zu drehen, und es ist mir extrem wichtig, durch meine Arbeit mehr über diese vielen kleinen kulturellen Unterschiede zu lernen. In Amerika habe ich bisher nur an Studentenfilmen und Werbespots gearbeitet, das heißt, ich habe im Grunde sehr wenig Erfahrung mit amerikanischen Crews, obwohl ich selbst Amerikaner bin. Aber möglichst international zu arbeiten war eine ganz bewusste Wahl, die ich für mich sehr früh getroffen habe.

Jane Eyre ist zudem auch ein um einiges größeres Projekt gewesen als Sin Nombre.
Cary Fukunaga: Kommt drauf an, wie Sie größer definieren. Mit einem Dollar kommt man in Mexiko einfach viel weiter als in England. Das heißt, dass wir extrem sparsam sein mussten, um im Budget zu bleiben. Dabei hätten wir sicher das doppelte von dem Geld gebrauchen können, das uns zur Verfügung stand. Die komplette Besetzung war extrem gütig, niemand hat horrende Summen verlangt, und dass wir trotz des geringen Budgets ein solches Kaliber an Schauspielern zusammenbringen konnten, war ein echter Coup für die Produktion. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es immer noch ein gewagtes Unterfangen ist, einen Brontë-Roman zu verfilmen.

Wie haben Sie Judi Dench für die Rolle der Mrs. Fairfax, der Haushälterin von Thornfield, gewinnen können? Gab es da ein klassisches Vorsprechen, oder wollte sie den Part gern übernehmen?
Cary Fukunaga: Niemand hat von dem Projekt gehört und sich darum gerissen mitzuspielen. Niemand wollte unbedingt so schlecht bezahlt werden. (Lacht.)