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Jane Eyre

Jane Eyre – Jane Unlimited

Jane Unlimited

| Gunnar Landsgesell |

Einer der wichtigsten britischen Romane, Charlotte Brontës „Jane Eyre“, verdiente sich nach oftmals werkfremden Adaptionen noch einen Anlauf. Der slicke junge Kalifornier Cary Fukunaga (Interview mit Cary Fukunaga) bewies Gespür für eine Außenseiterin.

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Als gelte es Excalibur, das magische Schwert, aus dem Fels zu ziehen. So probieren sich Regisseure immer aufs Neue an einem Giganten der britischen Literatur, an Charlotte Brontës „Jane Eyre“. Rund zwei Dutzend Filmemacher adaptierten bislang den Roman, der, 1847 unter einem geschlechtsneutralen Pseudonym veröffentlicht, mit seiner kraftvollen, vom Geist der Aufklärung befeuerten Sprache die Sicht einer verknöcherten, patriarchalen Gesellschaft erneuern wollte.

Seine Protagonistin, Jane Eyre, überzeugt bis heute mit einer Charaktermischung aus ketzerischem Aufbegehren und strikter Selbstdisziplinierung. Auch wenn der Roman ganz auf sie fokussiert ist, tritt sie gegen eine Welt der Bigotterie (die Erziehungsanstalt Lowood), der Niedertracht (ihrer Restfamilie) und Standesdünkel (der Gesellschaft rund um ihren späteren Arbeitgeber und Ehemann Lord Rochester) an. „Jane Eyre“ ist aber auch der bewusste Rückgriff auf eine romantische Form, indem Passion auf beispielhafte Weise mit intellektueller Kühnheit und fast quälender Selbstdisziplinierung verbunden werden.

Wenige Verfilmungen trafen bislang den Geist dieses Romans. Die Produzenten der jüngsten Adaption setzten mit dem jungen Kalifornier Cary Fukunaga und der britischen Drehbuchautorin Moira Buffini auf einen Cross-Culture-Ansatz. Fukunagas Visitenkarte war der grimmige, aber auch sozial bedachte und präzise ausgearbeitete Drogenbandenfilm Sin Nombre. Fukunaga/Buffini zerlegten das Historiengenre, befreiten es von seiner Virilität und sparten populäre Trends wie Gothic zuguns­ten einer Empathie für Brontës Perspektiven aus. Ein ähnlicher Ansatz wie bei Wuthering Heights nach der Vorlage von Charlotte Brontës Schwester Emily, den Andrea Arnold, die Schöpferin der zwei famosen Sozialdramen Fish Tank und Red Road, inszenierte. Fukunagas/Buffinis Verfilmung ist – bis auf jene der BBC – die voll- und dennoch eigenständigste Version von „Jane Eyre“ und markiert, in einer Art Genese, auch den vorläufigen Endpunkt im Verständnis des Romans. Der Zug zur Werktreue in fünf Schlaglichtern:

Jane Eyre – Regie: William Christy Cabanne
Drehbuch: Adele Comandini, USA 1934

Beginnt mit Gewitter-Effekten und der Vorhangszene. Die Vorhangszene kommt, so wie einige andere Standardszenen, in jeder Verfilmung vor. Hier zieht sich die kleine Jane mit einem Buch ihres Cousins auf die Fensterbank zurück. Für den „Diebstahl“ seines Buches wirft der Bub ihr ein Kännchen an den Kopf. Statt aber wie in der literarischen Vorlage in den Red Room gesperrt zu werden, wo Jane Todesängste vor dem Geist ihres toten Onkels erleidet, wird sie von einem Dienstmädchen netterweise gepflegt. Verschiebungen wie diese sind typisch für Cabannes Adaption. Kindlicher Sadismus, durch den Cousin als Ausdruck elterlicher Verachtung weitergegeben, wird hier zur harmlosen Balgerei zweier Kinder umgedeutet.

Die psychischen Grausamkeiten, denen Jane bei Brontë durch ihre Restfamilie als Kind ausgesetzt ist, verflüchtigen sich 1934 ins Märchenhafte. Wie bei The Wizard of Oz halten die Urheber des Films schützend die Hand über ihre Protagonistin und die Zuschauer selbst. Von der Unerbittlichkeit der Standesgesellschaft, an der eine mittellose aber fordernde Frau wie Jane in den 1840er Jahren zerbrechen konnte, bleibt die harmlose Form der Posse. So liefern eine strohblonde Jane (Virginia Bruce) und ein bodenständiger Lord Rochester (Colin Clive), der in der Vorlage aus Standes- und Geschlechtsgründen als schnippisch und unnahbar beschrieben wird, das Ergebnis einer US-amerikanischen Inkulturation. Die unüberbrückbaren viktorianischen Hierarchien machen den Ideen einer flachen Einwanderergemeinschaft Platz. In Lowood, dessen von Armut und bigotter Zucht geprägtes Erziehungs­system Kinder nicht selbstverständlich überleben, wird Jane als Lehrerin gar zur Lichtgestalt und Befreierin stilisiert. Interessant: Mit Adele Comandini lieferte eine Frau die Drehbuchvorlage.

Jane Eyre – Regie: Robert Stevenson
Drehbuch: Aldous Huxley, John Houseman, USA 1943

Der britische „Brave New World“-Autor als Interpret eines frühen feministischen Werks, das klingt spannend. Doch das emanzipatorische Potenzial einer zu erhoffenden Retro-Utopie hält sich in Grenzen. Die Dialoge sind auf Pathos ausgerichtet und lassen die mutige Direktheit Brontës weitgehend vermissen. Zu allem Übel schlägt der Feudalismus unfreiwillig zurück: als paternalistische Keule namens Orson Welles, der Rochester gnadenlos raumgreifend mimt und dessen Rolle vor allem als Erhöhung der eigenen Person interpretiert. Joan Fontaine hält tapfer dagegen, wird aber von Welles und der Regie von Stevenson in die Zange genommen. Gespräche sehen hier so aus, dass Fontaine, frontal vor der Kamera platziert, schräg an dieser vorbei in den leeren Raum schaut, während ihr Gegenüber versetzt hinter ihr steht.

Dieses brachiale Studiosystem arbeitet mit der Heroisierung der Gesichter, eingebunden in das visuelle Schema einer Art Noir-Expressionismus: mit leicht verzerrten Blickwinkeln und tief gelegter Kamera. Die dunkle Moorlandschaft wird indoor aufgeklappt, der Nebel strömt aus den Düsen und vernebelt die Willenskraft in Janes sozialem Aufstieg. Die (gesellschaftliche) Ungleichheit der beiden, die Brontë als unerhörten Regelbruch in eine Liebesbeziehung setzt, verpufft geradezu als Nebensächlichkeit im Starsystem. Kein Zufall, dass der Film mit der Erzählung Janes über Rochesters ersten Blick endet, als dieser nach zweijähriger Erblindung wieder sieht. Dieser Blick fällt (literarisch falsch) auf seinen erstgeborenen Sohn, erzählt eine stolze Jane, genauer gesagt, auf dessen Augen, die so brillant waren wie einst Rochesters eigene.

Jane Eyre – Regie: Julian Amyes
Drehbuch: Alexander Baron, BBC-Vierteiler, GB 1983

Selbst wenn sexy Timothy Dalton als Rochester stocksteif deklamiert wie auf einer Theaterbühne, ließe sich das als ein Ausdruck von Künstlichkeit, des Falschen gesellschaftlicher Normen interpretieren. Dem Sittenbild, wie es Brontë 140 Jahre zuvor entworfen hat, kommt diese Verfilmung bislang am nächsten. Granitharte Hierarchien, die das (vor allem weibliche) Subjekt aufzureiben vermögen, machen sich in präziser Sprache, produktionstechnischer Detailtreue (beides auch durch das zeitliche Angebot der Mini-Serie ermöglicht) und einer Ästhetik bemerkbar, die die Vorstellung von Repräsentation des Historischen als Zwang zur Patina weitgehend befreit. Diese BBC-Adaption erzählt auch von den Vorzügen des Fernsehens, wie sie in jüngster Zeit Sender wie HBO wieder kultiviert haben. Jane Eyres Kleidung ist grau und sie selbst, im Buch explizit als hässlich beschrieben, eine farblose, uneitle Erscheinung. Zelah Clarke findet den geeigneten Rahmen vor, dieser Jane mit einer Mischung aus Introvertiertheit und Bestimmtheit spürbaren moralischen Nachdruck auf den Weg ihres steinigen sozialen Aufstiegs mitzugeben, der ohne inszenatorisches Blendwerk auskommt.

Erstaunlich, dass Amyes auf die epische Dimension der britischen Landschaft weitgehend verzichtete, die Kammern und Gesellschaftssalons geben hier die Handlungsräume vor. Ein Highlight übrigens auch die (leider stark verknappte) Jugendzeit Janes. Sian Pattenden, deren kurzes Schauspielleben damit schon wieder endete, verkörpert die junge Jane in diesem Haus familiärer Niedertracht mit dem trotzigen Eifer einer Unterdrückten. Die rhetorische und intellektuelle Brillanz der literarischen Vorlage darf sich hier entfalten.

Jane Eyre – Regie: Franco Zeffirelli
Drehbuch: Hugh Whitemore, GB/F/I 1996

Die visuell wohl hellste Adaption aller Zeiten. Scheinwerfer durchfluten Szenerien aus allen Richtungen, werfen Schatten, die die Schauspieler auf reichlich ausgestatteten Wänden begleiten. Charlotte Gainsbourg liefert als äußerst düstere Jane einen bizarren Kontrast. Schwarz gekleidet und Buchpassagen, in denen Jane des Okkultismus verdächtigt wird, strapazierend, wirkt sie eher als Vertreterin eines Todeskults und weit entfernt von Brontës auf Egalität drängende Frauenfigur. Die soziale Distinktion der knöchernen viktorianischen Aristokratie begegnet einem hier in Form von seichten rhetorischen Spitzen, die an den Sprachduktus von TV-Society-Formaten erinnern.

In Anbetracht der spätromantischen Ausläufer der literarischen Vorlage könnte ein tragikomischer William Hurt als Rochester es Jane immerhin leichter machen, ihre verwegenen Ideen von Gleich zu Gleich ins Leben zu hieven. Tatsächlich sind Hurt und Gainsbourg von der Gleichheit im Außenseitertum denkbar weit entfernt. Das schwülstige Ende übernahm der damals 73-jährige Opernspezialist Zeffirelli offenbar von Stevensons Verfilmung. Die Kamera tastet sich am mächtigen Stamm eines Baumes zum Paar, das in der Rasenlandschaft promeniert. Schwelgerisch, aber nicht Brontës Konzept entschiedener Liebe folgend, schließt der Film.

Jane Eyre – Regie: Cary Fukunaga
Drehbuch: Moira Buffini, GB/USA 2011

Buffini/Fukunaga setzen auf  Reenactment, sie versuchen der literarischen Vorlage im Sinn einer gesellschaftlichen Realität näher zu kommen und sind damit erfolgreich wie kaum eine Adaption zuvor. Sie verbinden historische Präzision von Orten und Ausstattung mit einer von nüchterner Kraft geprägten Hauptfigur. Mia Wasikowska positioniert Jane zwischen Zurückhaltung und Entschiedenheit. Das Drehbuch verzichtet zumeist auf melodramatische Töne, arbeitet die wackelige soziale und psychische Verfasstheit seiner Protagonistin heraus. Das Ringen um Autonomie wie um gesellschaftlichen Anschluss, der Argwohn gegenüber glücklichen Wendungen, selbst auferlegte hohe ethische Standards … Jene charakterlichen Eigenschaften also, die Jane Eyre als zwiespältiges Produkt ihrer Zeit ausweisen, finden sich bei Wasikowskas Jane fast überdeutlich formuliert wieder.

Das ist vielleicht auch die größte Schwäche des Films: Er umschreibt die Verhältnisse mehr als sie wirksam werden zu lassen. So scheint die Handlung selbst getrieben von ihrer eigenen Pflichtversessenheit, dem Buch gerecht zu werden. In knapp zwei Stunden werden alle neuralgischen Punkte des Romans, vom Red Room über das Strafstehen auf einem Sessel in Lowood bis zur (genüsslich ausgewalzten) ersten Begegnung mit dem vom Pferd stürzenden Rochester als dramaturgische Highlights abgehandelt.

Die Frage stellt sich, ob die Intensität dieser Verfilmung auch anders erzielt hätte werden können. In Michael Fassbender wurde ein Rochester gefunden, der den Sarkasmus seiner Figur mit seiner schnippischen Zuneigung zu Jane zu verbinden weiß. Spielereien im Landschaftsgarten lässt Fukunaga nicht zu, er führt seine Schauspieler mit kühler, distanzierter Note. Diese Direktheit macht sich auch in der Anlage der Nebenfiguren, den Settings und den Kostümen bemerkbar. Diese Welt erscheint plausibel, ohne einem Naturalismus zu verfallen. Kameramann Goldman nannte Terrence Malicks Days of Heaven als Vorbild. Das schließt landschaftliche Effekte zur Psychologisierung der Figuren eher aus. Bei der durch das fast nachtschwarze, episch breite Hochmoor irrenden Jane tritt nicht Verzweiflung, sondern schlicht ihre Einsamkeit ins Bild. „Sight and Sound“ kreierte treffenderweise das Label „Neoklassischer Realismus“.

Eine sozial marginalisierte Figur muss nicht dramaturgisch überhöht werden, um Bedeutung zu erlangen. Jane Eyre entstand aus dem Unbehagen einer Autorin, die die kommenden Revolutionen bereits gespürt haben muss. Aus diesen Unruhen bezieht auch Fukunagas Film genügend Spannung, um das falsche Pathos vieler historischer Inszenierungen weitgehend auszusparen.