J. Edgar Film

Psychologisches Profil eines Unbekannten. Mutig, mitfühlend, möglich.

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Kein Biopic über eine mythische Ikone der US-amerikanischen Geschichte, sondern die Charakterstudie einer öffentlichen Person, die ein notorischer Geheimniskrämer war. Zugleich ein Film über die Liebe eines Mannes zu seinem Land, zu seiner Mutter und zu einem anderen Mann. J. Edgar, Clint Eastwoods Verfilmung eines Drehbuchs des Milk-Autors Dustin Lance Black, erzählt vom Wesen und Wirken des FBI-Mannes der ersten Stunde nicht im Rahmen einer Institutionengeschichte, in der die Figuren über ihre historisch verbürgte Funktion hinaus kaum Eigenleben entwickeln dürfen. Stattdessen nimmt sie die Innenperspektive des verdienten Chefparanoikers der USA ein und schildert den Werdegang J. Edgar Hoovers und der Behörde, der er jahrzehntelang vorstand, mittels Rückblenden aus einer narrativen Rahmensituation, in der Hoover einem jungen Agenten seine Memoiren diktiert. Im Zuge dieser Arbeit fließen Hoovers Erinnerungen an tatsächliches Geschehen und das, was Hoover als solches überliefert wissen will, so unauffällig wie kontinuierlich ineinander. Eine kluge inszenatorische Vorgehensweise, setzt doch die Hoover’sche subjektive Sichtweise den zahlreichen, von Außen an den Mann herangetragenen Projektionen – die zwischen „Held der Nation“ und „hinterlistiger Schurke“ schwanken – lediglich eine ebenso wenig verlässliche Variante entgegen. Weil es sich eben empfiehlt, einen Pakt mit der Fantasie einzugehen, wenn sich, wie im vorliegenden Fall, weder das Selbstbild noch das Image mit der Wahrheit zur Deckung bringen lassen.

Freilich ließe sich ein psychologischer Kurzschluss herstellen zwischen Hoovers gerüchteweise nie offen gelebter Homosexualität und seiner ans Zwanghafte grenzenden Besessenheit mit dem Klandestinen. Die große Qualität des Drehbuchs aber ist, dass es dem Zuschauer diese Verknüpfung nicht aufdrängt, sondern ihn allenfalls Überlegungen in eine solche Richtung anstellen lässt. Ein übriges tut Eastwoods wie immer höchst gelassene Regie, die zuallererst an den Motiven interessiert ist, die Menschen ihren Handlungen zugrunde legen und auf diese Weise die historisch konkrete Figur ins Allgemeine, Humane, hinüber hebt. Und schließlich ist da Leonardo DiCaprio in der Titelrolle, der die nicht eben leichte Aufgabe, eine Figur über einen Zeitraum von gut 50 Jahren darzustellen, mit einer über jeden Zweifel erhabenen Professionalität und spürbarer Leidenschaft meistert.