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The Descendants

The Descendants

Vorfahren, Nachfahren, zur Hölle fahren

| Alexandra Seitz |

Auch im Paradies ist das Glück mitunter flüchtig – Alexander Paynes „The Descendants“ führt den Beweis.

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Paradise can go fuck itself!“ – „Das Paradies kann scheißen gehen!“ – So lautet einer der ersten Sätze in Alexander Paynes The Descendants. Er entstammt der einleitenden Voice-over eines mittelalten Mannes namens Matt King, dessen tragikkomisches Entlangwanken auf dem schmalen Grat zwischen Hoffnung und Verzweiflung wir in den folgenden knapp zwei Stunden mitfühlend begleiten werden. Mitfühlend, weil Matt King, um im Ton zu bleiben, eine echt arme Sau ist. In gewisser Hinsicht jedenfalls. Als Nachfahre einer hawaiianischen Prinzessin, die ihren weißen Anwalt geheiratet hat, hat King zwar einen Haufen Geld und wird mit George Clooney zudem von einem Günstling des Schicksals verkörpert. Doch Kings Frau Elizabeth liegt nach einem Bootsunfall in einem irreversiblen Koma, seine beiden Töchter Scottie, 10, und Alexandra, 17, tanzen ihm auf der Nase herum, und das ganze Land beobachtet argwöhnisch den geplanten Verkauf eines beträchtlichen Fleckens unberührter Natur, den die King-Sippe ihr Eigen nennt und den sie nun zu Geld machen will. Und als ob das nicht reichen würde, als ob das nicht genug wäre, um einen normalen Mann gedanklich wie emotional auf Trab zu halten, erfährt King von Alexandra, dass Elizabeth zum Zeitpunkt ihres Unfalles eine Affäre hatte und sich mit dem Gedanken an Scheidung trug. Nimm dies! Den meisten Menschen mag Hawaii als Paradies auf Erden erscheinen, für Matt King ist es die Hölle. Siehe oben.
In Paynes About Schmidt (2002) machte sich ein uneitel nuanciert spielender Jack Nicholson als grantiger Witwer holprigen Schrittes auf den Weg in einen neuen Lebensabschnitt in Nebraska. Im zwei Jahre später folgenden Sideways schickte Payne einen gescheiterten Schriftsteller – als der Paul Giamatti eine Meisterleistung lieferte – und dessen in die Jahre gekommenen Playboy-Freund auf eine Verwüstungs-Sauf-Tour-de-Force durch das kalifornische Weinbaugebiet. Unbedeutende Durchschnittsmänner an unspektakulären Scheidewegen. Fehlerbehaftete Niemande, deren Hadern, Zögern und Versagen, deren Hinstürzen und Wiederaufrappeln einem nur allzu bekannt vorkam. Denn der Mensch ist und bleibt ein Stümper im eigenen Leben. Immer entgleist etwas oder läuft aus dem Ruder oder gerät außer Kontrolle. Und es gibt weder den richtigen Moment, noch die richtige Reaktion, nur den hilflosen Versuch, zu retten, was zu retten ist.
Auch Matt King ist ein solch alltäglicher Loser. Er mag als Angehöriger der hawaiianischen Oberschicht zwar kein Niemand sein, aber die Menschen, die ihm am nächsten stehen, hat er aus dem Blick verloren. Nun, in der Krise, spürt er erstmals seine Haltlosigkeit. Er begreift, dass er handeln muss, will er seine Familie nicht endgültig verlieren und damit jede Chance auf gegenseitiges Verständnis, liebevolles Miteinander, kurz: Glück, vertun. Doch das ist leichter gesagt als getan. Wo beginnen? Was machen?
George Clooney spielt diesen Matt King unter völligem Verzicht auf seine natürliche Coolness, und auch seinem angeborenen Charme legt er die Zügel an. Stattdessen gelingt ihm das Kunststück, komisch und tragisch zugleich zu wirken, zwischen Ratlosigkeit und Zuversicht, Elendigkeit und Tatkraft mühelos zu wechseln. Und so das Charakterporträt eines Mannes zu schaffen, der sein Bestes gibt, aber eben auch nur ein schwacher Mensch ist. Doch Clooneys Darbietung wäre nichts ohne das exzellente Ensemble, in dem er agiert, und das nicht weniger komplexe Figuren darzustellen hat. Oder die klug ausgedachten Situationen, in die sie allesamt geraten, und in denen das Groteske und das Diffizile kontinuierlich ineinander fließen.
Zudem gelingt es Payne, einen Eindruck von Hawaii als einem konkreten, von Alltäglichem erfüllten Ort zu vermitteln: Man spürt den feuchtwarmen Dunst nach einem Regen und die diesige Salzluft am Strand, man bestaunt majestätische Wolkenformationen ebenso wie grundhässliche Villensiedlungen, man gerät ins dichte Gedränge einer Kneipe und in den kühlen Staubschatten eines Landhauses – und schließlich wirft man doch noch einen Blick ins Paradies. The Descendants vereint das Melodram mit der Farce, genau so wie das richtige Leben.