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Dame, König, As, Spion

Dame, König, As, Spion

Spione wie wir

| Jörg Schiffauer |

Mit „Dame, König, As, Spion (Tinker Tailor Soldier Spy)“ gelingt Tomas Alfredson eine schlichtweg grandiose Adaption des Spionage-Klassikers von John le Carré.

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Es ist einsam geworden um den Chef des britischen Geheimdiensts, der nur mit seinem Decknamen „Control“ angesprochen wird. Schon berufsbedingt misstrauisch, hegt Control (John Hurt) den Verdacht, dass ein Mitglied der höchsten Führungsebene als sowjetischer Doppelagent den Geheimdienst unterwandert hat.

„Sie können niemandem mehr trauen“ ist demzufolge auch der Satz, mit dem Control den Agenten Jim Prideaux in der Abgeschiedenheit seiner Privatwohnung empfängt. Prideaux soll sich in Budapest mit einem Informanten treffen, der laut Control die Identität des Verräters aufdecken könnte. Doch die Mission nimmt ein katastrophales Ende, Control und seine rechte Hand George Smiley (Gary Oldman im Interview) werden nach diesem Fehlschlag gezwungen, in den vorzeitigen Ruhestand abzutreten. Doch der Maulwurf ist unentdeckt geblieben, und so wird Smiley inoffiziell aus dem Zwangsruhestand geholt, um den Feind in den eigenen Reihen zu enttarnen.

Glanzloser Alltag

Die Welt der Geheimdienste ist der Dreh- und Angelpunkt von John le Carrés Roman „Tinker Tailor Soldier Spy“. Tomas Alfredsons brillante Verfilmung der Romanvorlage führt den Zuschauer zurück in die siebziger Jahre, als im Zuge des Kalten Krieges die Feindbilder vermeintlich noch deutlich definiert waren. Doch die klaren Fronten sind im Fall von Dame, König, As, Spion (Tinker Tailor Soldier Spy) schon längst auf mehreren Ebenen brüchig. Der im Agentenmilieu vorherrschende Argwohn gegenüber potenziellen Doppelagenten oder den üblichen zwielichtigen Figuren, die fast schon zum Tagesgeschäft gehören, ist dabei beinahe schon zur Routine geworden. Doch es ist ein Zermürbungsprozess anderer Art, resultierend aus einer grauenhaften Arbeitsroutine, der an den Mitgliedern des Secret Service nagt wie ein Krebsgeschwür.

Denn das Szenario, das John le Carré – der selbst einige Jahre für den britischen Geheimdienst gearbeitet hatte – entwirft, ist so etwas wie die Antithese zur abenteuerlichen, prächtigen Welt, die etwa Ian Fleming mit James Bond zeichnete und vor allem mit der spektakulär in Szene gesetzten Bond-Filmreihe ein glanzvolles populärkulturelles Image des Geheimagenten geprägt hatte. Bei Le Carré – und Tinker Tailor Soldier Spy trägt dem auf geradezu kongeniale Weise Rechnung – ist von einem solchen Glanz nichts zu sehen. Der Arbeitsalltag ist von einer geradezu deprimierenden Eintönigkeit, die sich in Alfredsons Inszenierung allein schon in den trostlosen, uniformen Großraumbüros, die sich nicht voneinander unterscheidbar über die Stockwerke der Geheimdienstzentrale ziehen, manifestiert. Als deutlich sichtbares Zeichen für die erdrückende Routine wird ein kleiner Lastenaufzug, der in nicht enden wollender Monotonie abgegriffene Akten zwischen den Stockwerken hin und her befördert, symbolträchtig immer wieder ins Bild gerückt. Die Führungskräfte müssen sich zwischenzeitlich mit so profanen Dingen, wie etwa bestimmte Sondermissionen im jährlichen Etat verbucht werden können, herumschlagen. Und dann sind da noch die betriebsinternen Intrigen, Macht- und Ränkespiele, die die Atmosphäre mitbestimmen und mit der sich die Zentrale des britischen Geheimdiensts in nichts von den Headquarters internationaler Großkonzerne unterscheidet – und dementsprechend auf die Mitarbeiter abfärbt.

Zentrale Figur in Tinker Tailor Soldier Spy ist dabei George Smiley, ein in den Romanen von John le Carré immer wieder auftauchender Protagonist. Smileys äußeres Erscheinungsbild ist dabei schon von der bedrückenden Atmosphäre, die ihn tagtäglich umgibt, geprägt: grau – überhaupt der dominierende Farbton in der Zentrale – sind seine Anzüge ebenso wie seine Haare, und zunehmend grau wird auch seine Gesichtsfarbe. George Smiley ist der perfekte Gegenentwurf zu einer spektakulär auftretenden Heldenfigur vom Typus James Bonds: ein bedächtig agierender, beinahe melancholischer Mann, der, von privaten Rückschlägen gebeutelt – seine Frau hat ihn wieder einmal verlassen – versucht, in dem Gestrüpp geheimdienstlicher Ablenkungs- und Täuschungsmanöver den Überblick zu behalten.

So bieder und von Routine durchsetzt die von John le Carré entworfenen Szenarien für die geheimdienstliche Arbeit auf den ersten Blick erscheinen könnten, der Spannung tut dies keinen Abbruch – ganz im Gegenteil. Denn bei all ihrem Hang zum Bürokratentum gehen die geheimdienstlichen Biedermänner ihrer Arbeit mit einer geradezu beängstigenden Konsequenz nach, die selbst im wahrsten Sinn des Wortes tödliche Folgen auf lästige Aktennotizen reduzieren. Die davon Betroffenen werden von den Schreibtischtätern, die die Fäden ziehen, schon längst nur mehr als Figuren in einem Spiel angesehen. Control etwa macht diese vorherrschende Mentalität deutlich sichtbar, indem er die Fotos von Mitarbeitern und Gegenspielern auf Schachfiguren klebt, die er dann – seinen jeweiligen strategischen Überlegungen entsprechend – verschieben und gruppieren kann. John le Carré entwickelt die Spannungsbögen in der Welt der Agenten dabei weniger aus spektakulärem Aktionismus, sondern aus den psychologischen Spielchen und den Auswirkungen auf die Protagonisten.

Tinker Tailor Soldier Spy trägt diesem Ansatz auf kongeniale Weise Rechnung. Alfredsons Inszenierung – getragen von einem grandios agierenden Schauspielerensemble – nimmt sich die notwendige Zeit, um diese Spannung mit präzisem Timing aufzubauen. Mit dem Protagonisten Smiley  taucht der Zuschauer in diese ebenso abstruse wie brutale Welt der Geheimdienste ein, um nach und nach all jene Mosaiksteine präsentiert zu bekommen, die George Smiley zu einem Gesamtbild formt um den Doppelagenten zu enttarnen. Im Verlauf seiner Ermittlungen wird Smiley in seiner Erfahrung bestärkt, dass es in dem Gemisch aus Karrieristen, Opportunisten und Fanatikern, in dem er sich bewegen muss, Kollegialität und Loyalität nur von der jeweiligen Interessenslage abhängig und dementsprechend begrenzt sind. Und es wird nachvollziehbar, warum ein Mann wie George Smiley schon längst keine Ideale mehr hat, sondern seine Arbeit als eine Art von Kriegsspiel begreift, das sich weitgehend verselbständigt hat.

Entfremdete Agenten

Zu den hervorstechenden Eigenschaften von John le Carrés Romanen zählen neben der realitätsnahen Schilderung des Agentenmilieus vor allem die psychologisch genaue und nuan-cierte Zeichnung seiner Charaktere. Dies hat vermutlich nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass sich oft erstklassige Regisseure der filmischen Adaption seiner Bücher angenommen haben und die Resultate dann konventionelle Genre-Arbeiten auch weit hinter sich ließen. Martin Ritt inszenierte 1965 mit The Spy Who Came In from the Cold jenen Roman, mit dem Le Carré zwei Jahre zuvor der große Durchbruch gelungen war. George Smiley agiert darin nur als Nebenfigur, im Mittelpunkt steht der desillusionierte Agent Alec Leamas (Richard Burton), der einen perfiden Plan umsetzt, um einen wichtigen Agenten des ostdeutschen Geheimdienstes auszuschalten. Als die Täuschungsmanöver letztendlich jedoch seine Geliebte, die Leamas in seine Mission verwickeln musste, das Leben kosten, geht er – angewidert von der Rücksichtslosigkeit und Sinnlosigkeit seines Tuns – freiwillig in den Tod. Die Entfremdung, die Le Carrés Figuren so oft zu schaffen macht, wird bereits hier deutlich sichtbar, Martin Ritt zeichnet die Welt der Geheimdienste und ihren Alltag ähnlich glanzlos und zermürbend wie dies Tomas Alfredson nun mit Tinker Tailor Soldier Spy macht.

Sidney Lumet, ein Meister darin, Charaktere in psychischen Ausnahmesituationen zu analysieren, konzentriert sich in
The Deadly Affair (1966) auf die innere Zerrissenheit der von James Mason gespielten Hauptfigur Charles Dobbs (der aus rechtlichen Gründen umbenannt werden musste, in der Romanvorlage „Call for the Dead“ aber George Smiley ist). Auch hier muss Dobbs/Smiley einem Doppelagenten nachspüren, doch neben den aufkeimenden Zweifeln an der Sinnhaftigkeit seiner Arbeit quälen ihn vor allem die zahlreichen Seitensprünge seiner sexsüchtigen Frau, über die er mit einer geradezu masochistischen Ader immer wieder hinwegzusehen pflegt. John Boorman hingegen schlägt in The Tailor of Panama (2001) einen etwas satirischen Ton an, um die Absurditäten des Agenten-Gewerbes nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Abhandenkommen traditioneller Feindbilder herauszustreichen.

Die Frage nach Feindbildern stellt sich bei Tinker Tailor Soldier Spy zwar nicht, diejenige nach der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns und damit schlussendlich nach der Motivation der Protagonisten sehr wohl. Im Fall von George Smiley sind es auf keinen Fall Idealismus oder Überzeugungen ideologischer Art. Das offenbart sich am deutlichsten, als Smiley erzählt, mit welchen Worten er einen sowjetischen Agenten zum Überlaufen bewegen wollte: „ Bei uns gibt es doch auch nicht viel weniger Gutes als bei euch.“ Selbstredend schlägt dieser Überredungsversuch fehl, doch er ist ein mehr als deutlicher Indikator für die vorherrschende Gemütslage Smileys.

Diese Zweifel an Zielen und Methoden beschränken sich im Fall von Tinker Tailor Soldier Spy keineswegs auf George Smiley, sondern haben auf einen Großteil der Belegschaft in der Zentrale des Secret Service abgefärbt. Und das Geheimdienstwesen steht dabei nur stellvertretend für gescheiterte Lebensentwürfe, zerstörte Selbstbilder und geplatzte Illusionen, die in zunehmender Vereinsamung und Isolation der Protagonisten enden. Am deutlichsten macht Tomas Alfredsons Inszenierung diesen Zustand anhand der alljährlichen Weihnachtsfeier. Im krampfhaften Bemühen, gute Stimmung zu erzwingen – vom Kampftrinken über schlechte Scherze bis hin zum Ausleben ansonsten verdrängter sexueller Wünsche – unterscheiden sich die obersten Geheimdienstler nur wenig von biederen Versicherungsvertretern. Spätestens hier ist der Lack vom vermeintlich glänzenden Dasein als Agent im Dienst ihrer Majestät endgültig ab.

George Smileys Antrieb dennoch weiterzumachen, besteht schlichtweg darin, dass er einfach verdammt gut in seinem Job ist und er offenbar nur eines noch mehr fürchtet als in dieser Welt aus  Winkelzügen, Intrigen und Verschwörungen zu agieren: nämlich diese Welt verlassen zu müssen.