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What Is Love

Ordinary People

Ordinary People

| Günter Pscheider |

Mit „What Is Love“ gelingt Ruth Mader eine produktive Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm. In fünf Episoden stellen Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen Szenen ihres eigenen Lebens dar, die um Fragen nach Sinn, Glück und Liebe kreisen.

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Ganz langsam nähert sich die Regisseurin ihren Hauptdarstellern an. Eine Frau joggt, isst allein am zu großen Esstisch, schminkt sich ab und legt sich im Doppelbett hin. Diese einfachen Einstellungen dauern einige Minuten, doch gerade durch das Vergehen dieser Zeit bekommt man ein gutes Gefühl dafür, was Alleinsein für diese Frau bedeutet. Im Kreis ihrer Familie, wo die Schwester den künftigen Namen ihres zweiten Kindes diskutiert, wird deutlich, dass ihre Einsamkeit nicht frei gewählt ist. Dieser Eindruck verstärkt sich, als sie später das neugeborene Kind festhält und lange streichelt. Ruth Mader findet fassbare und wirkungsvolle visuelle Kompositionen, um offen zu legen, woraus die Lebensrealität ihrer Protagonisten in ihrer Essenz besteht. Bilder wie in der Waschanlage, wo die Frau mit starrem Gesichtsausdruck in ihrem Auto (in ihrem Leben?) wie gefangen wirkt, während draußen bunte Lichter oder Wassertropfen tanzen, die Welt in ständiger Bewegung ist.

Nach langer Suche hat Mader ihre Hauptdarsteller gefunden, jeweils zwei Tage lang rund um die Uhr beobachtet, ein Drehbuch über ihr Leben geschrieben, den Menschen vorgelegt und sie dann gebeten, diese Szenen zu spielen. Das bringt eine große Wahrhaftigkeit mit sich – auch in der zweiten, wesentlich dialoglastigeren Episode. Hier steht eine veritable Ehekrise im Mittelpunkt des Geschehens, mit einem Hauptproblem, das wohl immer noch für viele Paare typisch ist: Der Mann arbeitet zu viel und kümmert sich zu wenig um die Beziehung und um die Kinder. Wie die zwei Eheleute darum ringen, aufrecht zu erhalten, was noch von ihrer Liebe vorhanden sein mag, während gleichzeitig die Kluft in ihrer Wahrnehmung und in ihrem innersten Wesen immer deutlicher wird, ist schmerzhaft gut beobachtet und geschrieben. Diese lange Plansequenz zeigt in aller Deutlichkeit, dass What Is Love ein sehr produktiver Hybrid aus Spiel- und Dokumentarfilm ist. Der Mann fragt die Frau, wie sehr sie ihn noch liebt auf einer Skala zwischen eins und zehn. Gleich darauf kommt er selbst zum Schluss, dass es im Moment wohl nicht mehr als eins oder zwei ist, während sie es gerade traurig findet, dass sie es nicht weiß. Ob die Worte und die in Rede stehenden Emotionen hier zueinander passen, wird gerade durch die besondere, „spieldokumentarische“ Form des Films produktiv in Frage gestellt.

Im dritten Teil geht es um die Liebe zu Gott. Die Kamera begleitet einen sympathischen Priester, wenn er seine Schäfchen besucht, „Liebesbriefe von Jesus“ verteilt oder mit seiner Mutter telefoniert und lächelnd darauf hinweist, dass der Sonntag halt ein geschäftiger Tag sei in seinem Metier. Eine Arbeiterin in einer extrem entschleunigten Fabrik zeigt die vierte – vielleicht verzichtbarste – Episode, bevor in den letzten zwanzig Minuten von What Is Love noch einmal deutlich wird, wie sehr unser Weltbild auch unsere Beziehungen beeinflusst: Ein frommes Großbürgerpaar betet jedes Mal vor dem Schlafengehen mit den drei Söhnen, Ordnung scheint das Wichtigste in ihrem Leben zu sein. Das zeigt sich auch an einem recht eigenwilligen Beziehungsritual, bei dem sie von ihm verlangt, dass er sich schön anzieht, wenn sie zusammen fortgehen. Er wiederholt immer, was sie sagt, und fragt anschließend, ob er alles richtig verstanden hat. Sie bestätigt, dass er sie gut gehört hat und teilt ihm drei Wünsche für die nächsten 14 Tage mit, von denen er sich einen zur Erfüllung aussuchen kann. Spätestens hier wird klar, wie sehr die Prädisposition der Zuschauer die Rezeption des Films beeinflusst: Manche sehen vielleicht ein erstrebenswert rücksichtsvolles Ehepaar, andere nur in Selbstdisziplin erstickende Kontrollfreaks.

Die Kamera bleibt zumeist in der Halbtotalen, selten sind die Gesichter formatfüllend im Bild. Ähnlich wie bei Ulrich Seidl sind die Bilder fast immer statisch und gekonnt gerahmt. Wie Seidl zeigt auch Ruth Mader die Menschen in all ihrer Unzulänglichkeit. Beiden ist ein grundsätzlicher Respekt gegenüber ihren Protagonisten nicht abzusprechen. Doch während Seidls eigenes Weltbild in jedes seiner Bilder eingeschrieben scheint, stellt Mader in ihrem Film auch Fragen, auf die sie offenkundig selbst keine Antwort weiß. Oder auch: gar keine Antwort wissen kann.