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Mildred Pierce

History-Serien

Ein eigenes Auto

| Christina Tilmann |

Von der Haus- zur Geschäftsfrau: Die historische HBO-Miniserie „Mildred Pierce“ von Todd Haynes zeigt Kate Winslet auf der Höhe ihrer Kunst.

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Ein eigenes Zimmer ist für Virginia Woolf die Grundlage weiblicher Selbständigkeit. Das, und ein eigenes Einkommen von mindestens 1500 Pfund im Jahr. Für Mildred Pierce ist es 1931, zwei Jahre nach Erscheinen von „A Room of One’s Own“, vor allem: ein eigenes Auto. „Er hat das Auto mitgenommen“, ist ihr erster Satz, als sie der Freundin und Nachbarin Lucy (Melissa Leo) gesteht, dass ihr Mann sie verlassen hat. Und das Auto wiederzugewinnen ist ihr erster Akt der Emanzipation. „Wenn ich recht darüber nachdenke, habe ich den Schlüssel an mich genommen“, gesteht sie ihm bei einem seiner seltenen Hausbesuche. „Ich brauche das Auto mehr als du: Ich bin jetzt berufstätig“. Dass sie ihn dann noch persönlich zurück zu seiner Geliebten fährt, ist die Besiegelung der Selbstständigkeit.

Es geht viel um Tempo, um Bewegung, um Fortbewegung und Fortkommen in diesen ersten Folgen der fünfteiligen HBO-Miniserie Mildred Pierce, die, mit viel Vorschuss-Lorbeeren und Emmy-Glanz versehen, im März nun von TNT Serie ausgestrahlt wird. Der blasse Bert Pierce, Mitbetreiber der Immobilienfirma „Pierce Homes“, verliert in der Depressionszeit Geld und Mut und tröstet sich beim Rummy mit der Sekretärin. Mildred, seine junge Frau, bald frisch verlassene „Graswitwe“, ohne Mittel, ohne Ausbildung, ohne Möglichkeiten, die beiden Töchter zu ernähren, läuft sich die Hacken wund auf der Suche nach einer Arbeit. Steht abends müde in der Straßenbahn, gedrängt mit vielen anderen Verzweifelten. Hockt im billigen Café, vor sich ein trockenes Sandwich. Nutzt das frisch zurückgewonnene Auto, um eine Arbeitskollegin zur Zusammenarbeit am gemeinsamen Projekt zu überreden. Und sitzt irgendwann, mit Kopftuch und Sonnenbrille, im Cabriolet – da ist sie frei.

Es ist ein langsames Erwachen. Kate Winslet, die in fast jeder Szene des vorlagengetreuen 340-Minüters zu sehen ist, lässt sich Zeit, bis sie diese Mildred zum Leuchten erweckt. In vielerlei Hinsicht scheint sie eine Wiedergängerin der April Wheeler, ihrer denkwürdigen Rolle in Zeiten des Aufruhrs von 2008. Die gleiche Vororthölle, der amerikanische Eigenheimtraum, die gleiche unglückliche Ehefrau, der gleiche nachlässig-absente Ehemann. Diese Mildred, die in Glendale, California, mechanisch den Kuchenteig knetet, während ihr Bert draußen den Rasen mäht, die einen kleinlichen Ehezwist beginnt über Rasenmähen und Rasensprengen, ist in Schürze und Lockenfrisur denkbar unscheinbar. Auch später, in bravem Blümchenkleid und dunkelbraunem Hut, ist sie nur eine Ameise in der großen Armee der Arbeitssuchenden, und muss sich in Vorstellungsgesprächen immer wieder sagen lassen, dass sie nichts kann und deshalb nichts ist. Und als sie – „belly or pride“, „Bauch oder Stolz“ ist die Alternative, die ihr die wohlmeinende Arbeitsagentin nahelegt – schließlich eine Stelle als Servierkraft im Café annimmt, schleicht sie zunächst wie eine lahme Ente durch den Gastraum, langsam, ungeschickt und plump.

Doch dann, mit einem Mal, bekommt der Film, bekommt die Figur plötzlich Tempo, Rhythmus, Schwung und Farbe. Nach ihrem ersten, ermüdenden Tag als Kellnerin will Mildred abends noch üben, wie man mehrere Teller auf dem ausgestreckten Arm balanciert, mit Steinchen und Murmeln auf Kuchenformen – und verfällt, nach kurzem Stolpern, in einen Walzerschritt: Pause, Beschleunigung, Ausbalancieren, Pause, Schwung, und wieder los. Sie hat ihr Gleichgewicht gefunden. Dieser Solo-Teller-Tanz im Schlafzimmer, das sind die ersten Schritte von Mildred Pierce in ihr neues, selbständiges Leben. Vorbei die Zeit der blassen Braun- und Grautöne, des gedämpften Lichts, der zugezogenen Gardinen. Erst kommt ein Liebhaber, dann eine gute Geschäftsidee. Bald steht Mildred vor ihrem eigenen Restaurant „Mildred’s“ und leuchtet mit der Neon-Reklame um die Wette.

Die Geschichte einer Emanzipation durch Berufstätigkeit ist es, die Regisseur Todd Haynes an der Buchvorlage von 1941 interessiert. Nicht die elegante Film-Noir-Mord-Geschichte, die Michael Curtiz’ recht freie Verfilmung des Romans von James M. Cain im Jahr 1945 bot. Nicht die glamouröse Performance, die für Joan Crawford damals das Comeback bedeutete und ihr einen Oscar einbrachte. Und nicht die Rolle der Übermutter, die aus Liebe zu ihrer verwöhnten Tochter zu allem fähig ist, zu Lüge, Betrug, vielleicht sogar Mord. Kate Winslets Mildred ist Zentrum des Films, erst Opfer, dann Siegerin, eine kleine Hausfrau, die in dem Versuch, ihr Leben zu meistern, über sich hinauswächst. Und ihre Tochter Veda (in jungen Jahren Morgan Turner, als junge Frau Evan Rachel Wood), Dreh- und Angelpunkt des älteren Films, ist in der TV-Verfilmung lange Zeit nur Projektionsfläche, in der die Mutter ihre eigene Willenskraft, ihren Ehrgeiz wiedererkennt.

Lob der Frauensolidarität

Es ist der amerikanische Traum der Selfmade-Woman, den diese Mildred verkörpert. Sie kann gut backen? Warum nicht den Diner, in dem sie arbeitet, mit selbst gemachten Pies beliefern? Das Essen, das sie serviert, schmeckt den Gästen nicht? Warum nicht ein eigenes Restaurant aufmachen, und dann gleich noch eins, und noch ein drittes? Die Szene, in der die vier Ex-Kellnerinnen abends beim Drink zusammensitzen und auf den gewagten Schritt in die Selbständigkeit anstoßen, hat etwas Triumphierendes. „Die große amerikanische Institution, die niemals am 4. Juli eine Tapferkeitsmedaille bekommt“, nennen sie sich halb ironisch, halb kämpferisch. Es ist ein Lob der Frauensolidarität, unter Kolleginnen und Nachbarinnen, die sich gegenseitig trösten, wenn sie ent- oder verlassen werden, die raten, zu Liebhaber, Likör und Lebensmut.

Auch aus der grauen Maus Mildred ist eine erfolgreiche Unternehmerin geworden. Eine, die auch die eigene Sexualität als Befreiung entdeckt. Der bankrotte Lebemann Monty Beragon (großartig in seiner schmalen Eleganz: Guy Pearce), der sie im Café anspricht, mit dem sie auf ein Wochenende nach Santa Barbara entflieht, bringt sie zum Leuchten, zum Glühen – selten hat man Liebesszenen so frei, so elektrisierend gesehen, als Akt der Selbstentdeckung und -befreiung. Dass sie bald das Geld hat, den Liebhaber auszuhalten, trägt dazu bei: „Er liebt nicht meine Beine, er liebt mein Geld“, eröffnet sie Veda recht selbstbewusst. Auch über die langen Passagen von Schuld und Unglück, die der Stoff von 1941 seiner Hauptfigur noch moralisierend auferlegt, trägt diese neu gewonnene Freiheit sie am Ende hinweg. Dass Mildred mit ihrem gesunden Egoismus auch mit eigener Villa, Samt und Seide, Luxus und Liebhaber nie ganz die feine Dame wird, die Tochter Veda sich wünscht, sondern immer Aufsteigerin bleibt in einer Welt, in der noch immer nach Herkunft und Wohnort gemessen wird, verdammte sie in den Vierzigern zum Außenseitertum. Für heute ist sie ein Vorbild.