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Filmkritik

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| Günter Pscheider |

Dokumentation über die Unterrichtsmethoden an einer ganz besonderen Volksschule

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Das Thema Schule ist nicht erst seit dem Bildungsvolksbegehren gesellschaftlich und politisch äußert präsent. Die einen wollen regelmäßig nach den Pisa-Testergebnissen durch mehr Effizienz die schulischen Leistungen erhöhen, andere fordern überhaupt eine gänzlich neue Schule, in der der Erwerb sozialer Kompetenzen gleichwertig neben dem Erlernen der Kulturtechniken stehen sollte.

Doris Kittler hat ein Jahr lang mit den Schülern und Lehrern einer mehrstufigen Integrationsklasse am Stadtrand von Wien verbracht und einen Film darüber gedreht, wie die Schule der Zukunft ausschauen könnte, wenn der politische Wille es nur zuließe. Hier werden Kinder von sechs bis zehn Jahren gemeinsam unterrichtet, der Lernstoff wird vor allem einmal sinnlich erarbeitet, sei es beim Backen von Brotbuchstaben oder beim Einkaufen am Naschmarkt, wo neben Rechenübungen auch gleich die Sprachkenntnisse der Kinder, deren Eltern oft einen Migrationshintergrund haben, gefördert werden und gefordert sind.

Vor allem lernen die Kinder mit Hilfe von vorbereitetem (Montessori-)Material und in vielen Projekten, selbstständig zu arbeiten, sich selber zu spüren und dadurch ein natürliches Selbstbewusstsein zu entwickeln. Das läuft nicht ohne Konflikte ab und verlangt ein genaues Wissen um die Stärken und Schwächen jedes einzelnen Schülers. Die emotional berührendsten Szenen erzählen auch von Auseinandersetzungen, sei es in äußerst eloquent geführten philosophischen Streitgesprächen über artgerechte Tierhaltung, Umweltschutz oder den Zustand der Welt im Allgemeinen oder im offensichtlichen Ringen eines schwierigen Kindes, sein inneres, seelisches Gleichgewicht zu finden. Viele notwendige Informationen über das pädagogische Konzept erfahren die Zuschauer über im Off eingespielte Interviews mit den Lehrerinnen, während im Bild die jeweilige Umsetzung der Theorie zu sehen ist. Die Kinder sind hauptsächlich äußerst quirliges Anschauungsmaterial, in wenigen Sequenzen stehen ihre grundverschiedenen Charaktere selbst im Mittelpunkt des Interesses. Sie wirken austauschbar, und es ist ein wenig schade, dass sich die Regisseurin doch mehr auf die pädagogischen Implikationen dieses spannenden Schulversuchs eingelassen hat als auf die mindestens ebenso spannenden Geschichten einiger Schüler. Trotz mancher formaler Schwächen ist dieser mit geringem Budget und umso größerem Einsatz hergestellte Film ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Bildungsdebatte, denn durch die offensichtliche Freude der Kinder, am Leben zu lernen, wirkt der herkömmliche Frontalunterricht tatsächlich so veraltet, wie er wirklich ist.