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Michelle Williams – My Week with Marilyn

My Week with Marilyn

Being Marilyn – Michelle Williams im Interview

| Dieter Oßwald |

Für Brokeback Mountain, bei dem ihre Romanze mit dem tragisch verstorbenen Heath Ledger begann, und für Blue Valentine wurde sie für den Oscar nominiert. Sie begeisterte in Scorseses Shutter Island und in den Independent-Filmen Wendy and Lucy und Meek’s Cutoff. Die dritte Oscar-Nominierung folgte für My Week with Marilyn. Michelle Williams im Gespräch.

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Wie sind Sie an die Rolle der Marilyn Monroe gekommen?
Michelle Williams:
Das Skript war in einem Paket mit etlichen anderen Drehbüchern. Ich habe es über Nacht gelesen und wusste, dass ich diese Rolle unbedingt spielen wollte. Dabei war ich mir allerdings gar nicht sicher, ob ich das überhaupt hinbekommen würde. Die Zweifel kamen erst am Morgen danach. (Lacht.) Und mit diesen Zweifeln habe ich dann gut ein Jahr gelebt.

Wie sieht die Vorbereitung auf so eine Figur aus?
Michelle Williams: Ich habe alle ihre Filme mehrfach angeschaut und natürlich alles über sie gelesen. Zudem habe ich auch viel von dem gelesen, was Marilyn selber gerne las. Noch während der Dreharbeiten habe ich mich mit Lektüre über sie beschäftigt. Aber irgendwann kommt eben der Moment, wo du dir sagen musst: Jetzt spiele ich sie einfach.

Haben Sie bei den Recherchen etwas Neues über die Monroe erfahren?
Michelle Williams: Ich habe bei Marilyn einen Sinn für Humor entdeckt, der mich überrascht hat. Sie war ein ausgesprochen witziger und zugleich verspielter Mensch, was für eine ziemlich hohe Intelligenz spricht. Selbst in ganz banalen Notizen und Briefen von ihr schimmert diese Cleverness durch – im Unterschied dazu sind meine Aufzeichnungen ziemlich langweilig

Jeder hat sein Bild der Monroe – welches Image hatten Sie von ihr?
Michelle Williams: Für mich war Marilyn immer ein Sinnbild der Unschuld: Ein Kind im Frauenkörper. In meinem Teenager-Zimmer hing ein Poster von ihr, auf dem sie barfuß auf einer Wiese steht – das trifft mein Bild sehr gut. Später entdeckte ich in ihr diesen unruhigen Geist, einen Menschen, der immer mehr vom Leben wollte – manchmal gewann sie dabei, manchmal hat sie verloren. Arthur Miller hat sie einmal ganz zutreffend als „tapfere Kämpferin“ beschrieben.

Wie erklären Sie sich ihr großes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit?
Michelle Williams: Marilyn hat die Aufmerksamkeit gesucht, die sie als Kind nie bekommen hat. Ihre Mutter war kaum für sie da, weil sie ständig in psychiatrischen Anstalten war. Der Vater hat sich nie zu ihr bekannt, selbst als sie ein Filmstar war. Ihr ganzes Leben hat sie vergeblich nach ihm gesucht. Mit 16 Jahren heiratete sie, nur um dem Waisen-Schicksal zu entkommen. Bei solch einem Leben wird die Suche nach Aufmerksamkeit zu einer Überlebensfrage. Mit 16 hat sie dann die Lösung für sich entdeckt: Zum ersten Mal lief sie im Bikini den Strand entlang und alle Männer haben sich nach ihr umgedreht. Von diesem Moment an wusste sie, wie sie Anerkennung bekommt.

Heute stricken allerlei Marketingleute am Image der Stars. War Marilyn Monroe damals ein Naturtalent?
Michelle Williams: Sie war eine absolute Meisterin darin, diese Figur der Marilyn Monroe zu erschaffen – das tat sie so grandios, dass man zwischen Image und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden konnte. Ihre Schönheit wirkte wie ein Geschenk Gottes, was es jedoch gar nicht war. Natürlich bescherte ihr das Schicksal eine magische Ausstrahlung, aber daraus diese perfekte Figur zu entwickeln, war ihr ganz eigener Verdienst.

Hat Norma Jean Baker das Bild der blonden Traumfrau
Marilyn denn genügt?
Michelle Williams: Als sie einen gewissen Status erreicht hatte, wollte sie mehr. Lediglich für ihr Aussehen verehrt zu werden, reichte ihr nicht mehr, dazu war sie zu intelligent und anspruchsvoll. Sie wollte auch als Schauspielerin anerkannt werden. Die Verwandlung zur Marilyn hatte sie so perfekt im Griff, dass sie ihr Image an- und ablegen konnte wie einen Mantel. Wenn sie wollte, konnte sie in New York spazieren gehen, ohne dass sie jemand erkannte.

Wie einfach konnten Sie Ihre Marilyn bei den Dreharbeiten an- und ablegen?
Michelle Williams: Das tat ich auf dem Weg zur Arbeit. Die dreiviertelstündige Fahrt ins Studio war jedes Mal wie die Zeitreise in einem Raumschiff, bei der ich in die Rolle schlüpfen beziehungsweise sie wieder abschütteln konnte. Meine Freunde hätten es ohnehin kaum geschätzt, wenn ich auch privat in dieser hohen Stimme gesprochen hätte – von meiner Tochter Matilda ganz zu schweigen.

Method Acting spielt eine amüsante Rolle in dem Film – wie stehen Sie zu dieser Schauspieltechnik?
Michelle Williams: Ich finde Method Acting interessant, allerdings habe ich es nie gelernt und nutze es kaum. Standardisierte Schauspieltech-niken sind in Amerika heute nicht mehr besonders verbreitet.  Meine Devise lautet, wie die der meisten meiner Kollegen: Alle Mittel sind recht, wenn sie deiner Rolle nützlich sind.

Wie sind Sie zur Schauspielerei gekommen?
Michelle Williams: Als Kind wollte ich erst Boxerin werden, dann Lastwagenfahrerin und schließlich Schauspielerin – irgendwie muss wohl etwas Masochistisches in mir stecken! (Lacht) Vielleicht hat meine Berufswahl etwas damit zu tun, dass man sich als Schauspieler seinen Unsicherheiten bewusst stellen muss.

Was haben Sie durch die Rolle der Monroe gelernt?
Michelle Williams: Konkret kann ich das gar nicht beschreiben. Sich neuen Herausforderungen zu stellen, gehört zu den entscheidenden Aufgaben in unserem Metier. Das ist ein ständiger Lernprozess, bei dem man Neues von sich selbst entdeckt und seine Fähigkeiten weiterentwickelt. Ohne permanente Neugier könnte ich diesen Beruf gar nicht ausüben.

Von einer Rolle in der Teenie-Serie Dawson’s Creek zur dreifachen Oscar-Kandidatin – wie geht so eine Karriere
?
Michelle Williams: Ich bin selber überrascht, wie das geht. Sehr viel hat mit Glück zu tun. Und dann gab es auf meinem Weg immer kleine Momente, die mich ermutigt haben. Andere haben das gar nicht wahrgenommen, aber für mich waren diese Augenblicke so wichtig, dass ich davon einige Jahre zehren konnte.

Welche Momente waren das?
Wie Marilyn Monroe wollte ich immer als ernsthafte Schauspielerin wahrgenommen und anerkannt werden. Zu Beginn meiner Karriere waren dabei drei Momente ganz entscheidend: Mein erster Bühnenauftritt mit 18 Jahren. Dann mit 21 die Rolle in Land of Plenty, die Wim Wenders extra für mich geschrieben hatte. Und schließlich mein Auftritt als jüdische Intellektuelle Holly in Me Without You [Meine beste Freundin, Regie: Sandra Goldbacher, 2001].

Wie war Ihre Begegnung mit Wim Wenders?
Michelle Williams: Ich habe Wim in seinem Haus in Los Angeles besucht. Schon auf der Fahrt dorthin war ich total nervös. Paris, Texas ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme, und nun sollte ich den Regisseur persönlich treffen. Eigentlich hätte es mir schon genügt, einfach einmal mit ihm nur am Frühstückstisch zu sitzen und zu beobachten, wie Wenders sein Croissant isst. Was ich zuvor gemacht hatte, wusste er überhaupt nicht. Als ihm später einmal ein Foto von  Dawson’s Creek in die Hände fiel, meinte er nur: „Wenn ich dich in diesem Outfit gesehen hätte, hätte ich dich nie besetzt.“ Inzwischen sind wir gute Freunde.