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REC 3: Genesis und Sleep Tight

Im Banne des Bösen

| Alexandra Seitz |

Aktuelle Filme des Duo infernal des spanischen Genrekinos: „Sleep Tight (Mientras duermes)“ von Jaume Balagueró und „[Rec]3 Génesis“ von Paco Plaza; eine Gelegenheit, zurückzublicken.

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Sie machen keine Gefangenen. Knappes Entrinnen, Hoffnungsschimmer am Horizont und versöhnliche Enden sind ihre Sache nicht. Stattdessen kommt man aus den Filmen der beiden Spanier Jaume Balagueró und Paco Plaza meist mit dem unguten Gefühl heraus, dass das eigentliche Grauen für die Protagonisten noch gar nicht richtig begonnen hat. Weil diese am Ende ihrer Flucht vor dem Bösen eben nicht von einem Deus ex machina ans Licht gehoben werden, sondern in der Finsternis versinken und dem Teufel anheim fallen. Und der lässt sich bekanntlich Zeit mit seinen Opfern, denn die Hölle ist ewig.

Jaume Balagueró wurde 1968 in Lleida geboren, Paco Plaza 1973 in Valencia. Die erste Zusammenarbeit der beiden ist ein Dokumentarfilm: OT: la película begleitet die Kandidaten der Castingshow „Operación Triunfo“ auf einer mehrwöchigen Tournee, in deren Verlauf der spanische Teilnehmer am Eurovision Song Contest ermittelt wird. Balagueró hat zu diesem Zeitpunkt bereits sein Spielfilmdebüt vorgelegt (Los sin nombre, 1999), Plaza einige Kurzfilme gedreht. Auf die Erfahrungen, die die beiden im Zuge der Dreharbeiten zu OT: la película mit dem Live-Fernsehen machen, werden sie fünf Jahre später, bei ihrem nächsten gemeinsamen Projekt, [Rec], zurückgreifen können. Zunächst aber dreht jeder für sich weitere Filme: Unter der Regie von Balagueró entstehen Darkness (2002) und Frágiles (2005), Plaza zeichnet für El segundo nombre (2002) und Romasanta (2004) verantwortlich.

Die (katholische) Kirche, der (christliche) Glaube, das (absolute) Böse und – allerdings wesentlich seltener – Gnade und Erlösung spielen keine unwesentliche Rolle in diesen Filmen. Religion in Theorie und Praxis dient ihnen als ikonografischer Fundus, motiviert Figuren, determiniert Handlungsstränge. Es darf einen jedoch nicht wundern, dass die beiden Regisseure ihre Geschichten oft und gerne in einem christlich geprägten, manichäischen Weltbild verwurzeln und zwischen Licht und Finsternis keinen Schatten aufkommen lassen. Spanien mit seiner Jahrhunderte alten katholischen Tradition, die sich immer wieder äußerst blutig und grausam ausprägte, ist ein hervorragender Nährboden für beängstigende Bilder und Fabeln – aus deren Fülle wiederum ambitionierte Genre-Filmemacher schöpfen können. So sind denn auch die Fantasien, mit denen Balagueró und Plaza das Publikum ihrer Horrorfilme so effektvoll zu ängstigen verstehen, nicht nur außerordentlich scheußlich. Um nicht zu sagen, grotesk und pervers. Sie sind auch über die Maßen beunruhigend, weil der Kontext der ausgeübten Gewalt nicht weniger wichtig ist als die gezeigte Lust an ihr.

Glaubwürdigkeit, sagt Balagueró, sei eines der Schlüsselelemente für das Gelingen eines Horrorfilms. Darin sei er sich mit dem Kollegen Plaza auch sofort einig gewesen, als sie sich eines Tages über ihre Liebe zum Genre, dessen Stärken und Schwächen sowie die Möglichkeit einer neuerlichen Zusammenarbeit unterhielten. Also habe man nach einer Möglichkeit gesucht, die Glaubwürdigkeit der gemeinsam erdachten Geschichte zu erhöhen, und sei auf den Kunstgriff verfallen, ein Erzählinstanz ins Geschehen einzuführen, der die Zuschauer im Allgemeinen mehr oder minder bedingungslos vertrauen: das Fernsehen.

Die Handlung von [Rec] vollzieht sich also sozusagen live: Im Zuge der Produktion einer Folge des TV-Doku-Formats „Während Sie schlafen“ begleiten die Moderatorin Ángela und ihr Kameramann Pablo die Arbeit einer Feuerwehr-Brigade in Barcelona. Als diese zu einem Mietshaus gerufen wird und dort eine vermeintlich hilfebedürftige, alte Frau hochaggressiv einen der Feuerwehrmänner verletzt, wird die Lage gefährlich. Umso mehr, als sich TV-Team, Feuerwehr und Hausbewohner mit einem Mal eingeschlossen finden, weil die Gesundheitsbehörde das Haus wegen Seuchengefahr unter Quarantäne gestellt und von Polizei und Militär hat abriegeln lassen. Ihr journalistisches Ethos gebietet es Ángela und Pablo, so lange zu filmen, so lange es eben geht, sich investigativ der Aufklärung der rätselhaften und rasant blutiger werdenden Ereignisse zu widmen sowie, nicht zu vergessen, die eklatante Verletzung der Bürgerrechte anzuklagen, die vor ihren Augen von der Staatsmacht begangen wird.

Fertig ist ein formal innovativer Genre-Beitrag, der sich auf geistreiche Weise in der gesellschaftlichen Gegenwart verortet und zudem nicht darauf vergisst, die Erwartungen der Fans von Gore und Gekröse zu befriedigen. [Rec] wurde ein sehr beachtlicher Erfolg, der nicht bloß Balagueró und Plaza international bekannt machte, sondern auch das Interesse an spanischen Horrorfilmen wieder belebte. Während also in den kommenden Jahren Kollegen wie Isidro Ortiz (Eskalofrio, 2008), Juan Antonio Bayona (El orfanato, 2007), Nacho Vigalondo (Los cronocrimenes, 2007), Miguel Ángel Vivas (Secuestrados, 2010) und Antonio Chavarrías (Dictado, 2012) beweisen, dass Balagueró und Plaza nicht isoliert im luftleeren Raum arbeiten, legen die beiden 2009 mit [Rec]2 nach. Dessen Handlung setzt kurzerhand ein, wo [Rec] zwei Jahre zuvor aufhörte: Ein Arzt wird in das unselige Haus geschickt, in Begleitung eines SWAT-Teams, dessen Videokameras nun die Filmbilder liefern. Und freilich blieb auch das [Rec]-Remake für den US-amerikanischen Markt nicht aus: Quarantine, der mit Quarantine 2: Terminal eine eigenständige Fortsetzung erfuhr, die ein Flugzeug als neuen Schauplatz wählte.

Einen neuen Schauplatz wählt auch Paco Plaza, der für [Rec]3 Génesis allein verantwortlich zeichnet, während Jaume Balagueró die Funktion des „creative producer“ übernimmt. [Rec]3 beginnt in gewohnt wackligem und immer ein wenig gewöhnungsbedürftigem Amateurvideo-Stil als Mitschnitt einer Hochzeitsfeier, deren Fröhlichkeit von der Verwandlung der Gäste in blutrünstige Zombies alsbald empfindlich gestört wird. Sodann wechselt Plaza Stil und Register und wählt eine eher konventionelle Form der Inszenierung, während er zugleich den Kampf der frisch gebackenen Eheleute um ihr Glück mit grotesken, tragikomischen und absurden Elementen anreichert, die an die extremen Genrebrüche in Álex de la Iglesias Arbeiten erinnern.

Bitter ernst und bitterböse meint es dagegen Balagueró mit Sleep Tight: Hausmeister César kann kein Glück empfinden. Was noch schlimmer ist, er kann auch das Glück der anderen nicht ertragen. Also drängt er sich unbemerkt und auf schreckliche Weise in das Leben der immer gut gelaunten Mieterin Clara und verwandelt es ganz allmählich in eine Hölle auf Erden. Dass Balagueró diesmal darauf verzichtet, die Geschehnisse in einen wie auch immer gearteten religiösen, spirituellen oder metaphysischen Kontext zu stellen, trägt zur Verstörung bei. Sleep Tight ist ein so profund unangenehmer Film, weil er seine Hauptfigur weder erklärt noch entschuldigt, ja, ihr nicht einmal mildernde Umstände zugesteht. Es scheint, als sei es Balagueró endlich doch noch gelungen, die Wurzel des absoluten Bösen zu lokalisieren. Sie steckt nicht im Jenseits und entstammt auch nicht der Finsternis. Sie liegt im Wesen des Menschen – und dort ganz allein.