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Alexander Mackendrick

Alexander Mackendrick

Erbarmungslose Leichtfertigkeit

| Gerhard Midding |

Mit der Retrospektive der Filme Alexander Mackendricks erinnert das Filmmuseum an einen Solitär der anglo-amerikanischen Filmgeschichte.

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Bei manchen Regisseuren überrascht es immer wieder aufs Neue, zu erfahren, dass sie gar keine Briten sind. Die nachsichtige Nostalgie etwa, mit der James Ivory Glanz und Abendröte des Empire wiederaufleben lässt, täuscht regelmäßig über seine Herkunft. Auch Richard Lester mag man zunächst für einen Landsmann halten, der die Aufbruchsstimmung der Swinging Sixties mit burlesker Komplizenschaft begleitete. Aber war sein Blick nicht doch eher der eines staunenden Ethnologen?

Wie Ivory und Lester wurde auch Alexander Mackendrick in den USA geboren (in Boston, Massachusetts, um genau zu sein; vor bald einem Jahrhundert). Das transatlantische Schillern ist in seinem Fall indes komplizierter. Er wuchs in Glasgow auf und rühmte sich, von Geblüt und Temperament ein Schotte zu sein, sich ansonsten aber hundertprozentig als Amerikaner zu fühlen. Seine berühmtesten Filme drehte er für das englischste aller Studios: Der Name „Ealing“ ist zum Synonym geworden für einen auf den ersten Blick unverfänglichen Komödienstil, der nationale Eigenheiten mit milder Ironie verspottet. Die klassischen Ealing-Komödien entwerfen ein gleichsam staatstragendes Bild. Ihr England ist von stolzer, idyllischer Provinzialität, dort herrscht ein Geist maßvoller Unabhängigkeit, der Traditionsgläubigkeit und Patriotismus mit einer sachten Lust an der Anarchie vermählt. Nach dem Krieg waren sie Labsal für ein Land, das den Verlust seiner Kolonien und seines weltumspannenden Empire verkraften musste.

Mackendrick hatte den Vorzug, Außenseiter zu sein. Das mag in seinem Leben nicht immer ein Vorteil gewesen sein, aber seine Filme bereicherte es ungemein. Sein Regiedebüt Whisky Galore! (der US-Titel ist sogar noch hübscher: Tight Little Island) sowie sein vierter Film The Maggie sind entschieden schottische Filme. Ihnen eignet ein sarkastischer, grausamer Zug, der sich in der fortdauernden Demütigung des britischen Heimatschutz-Offiziers in Whisky Galore! oder des amerikanischen Industriellen in The Maggie zeigt. Im Kern drehte er, das fiel nicht mal aus dem Rahmen der Studioproduktion, Komödien der Stammeszugehörigkeit. Die Umbrüche der Nachkriegszeit erschließen sie ihrem Publikum als ein Erzählterrain von überschaubarer sozialer und moralischer Reichweite. Im Zentrum steht meist eine eigensinnige, verschworene Gemeinschaft, die ihre Identität misstrauisch gegen äußere Einflüsse behaupten will. Dennoch unterlaufen Mackendricks Filme das Gesetz eherner Behaglichkeit, das Studiochef Michael Balcon über seine Produktionen verhängt hatte. In ihnen verwandelt sich die Vision des Nachkriegs-England in einen Albtraum. Das Lachen über Alec Guinness’ explosive Experimente (zur Erfindung einer unzerstörbaren Kunstfaser, die katastrophale Folgen für die Textilindustrie hätte) und die wie Luftschutzbunker befestigten Labors in The Man in the White Suit wird den Zuschauern nur wenige Jahre nach Kriegsende im Halse stecken geblieben sein. Das expressive Helldunkel lässt die Komödie zeitweilig wie einen Film noir erscheinen. Die harten Konturen, die das Licht den Gesichtern in Mackendricks schwarzweißen Filmen gibt, gemahnen daran, dass er von einer zerrissenen, repressiven Gesellschaft erzählt.

Komödienspezialist wurde er absichtslos. Er hatte als Werbe­grafiker angefangen, schloss sich sodann der Dokumentarfilmbewegung an (am Zweiten Weltkrieg nahm er in einer Einheit für psychologische Kriegsführung teil), um schließlich als Drehbuchautor und Storyboardzeichner bei Ealing anzuheuern. Nur neun Filme konnte er in gut 20 Jahren drehen. Die Schattenfilmografie der Projekte, die er nicht realisieren konnte oder bei denen ihm die Regie entzogen wurde, ist lang. Dennoch schuf dieser Regisseur, der es nie lernte, dazuzugehören, ein immenses Werk. Den Besuch der ihm gewidmeten Retrospektive lohnen nicht nur seine anerkannten Klassiker – Ladykilllers, sein sarkastischer Abschied von England, und sein erster Hollywoodfilm Sweet Smell of Success. Sein Œuvre ist reich an verkannten Meisterstücken. Die Linien, die zu dieser kurzen Regiekarriere und aus ihr heraus führen, sind bezeichnend. Seine Arbeit in der Werbung lehrte ihn, dem Anschein zu misstrauen. Seine Erfahrungen als Dokumentarist schärften sein Gespür für Schauplätze und deren Atmosphäre – man schaue sich nur sein ganz eigensinniges Bild von New York in Sweet Smell of Success an oder das terrain vague auf der Hofseite des Elternhauses in Mandy, das noch erzählt von den Verheerungen des Krieges. Seine Storyboards wiederum nehmen seine Inszenierung, die meisterlich Spannungen in die Tiefe des Raums verlängert, oft erstaunlich präzise vorweg. Seine Drehbucharbeit schließlich bahnte dem dramaturgischen Geschick und psychologischen Feingefühl den Weg, mit dem er Szenen konstruiert.

Nach Ende seiner Regiekarriere unterrichtete er Filmstudenten. Es verwundert nicht, dass er sich dabei als ein enthusiastischer, neugieriger und strenger Mentor erwies. Außer Carol Reed hat sich kein anderer britischer Regisseur so wie er in Kinder und Heranwachsende eingefühlt. Mackendrick zeichnet sie ohne jede Sentimentalität. Zwar zwingen sie die Erwachsenen, ihre Beziehungen neu zu definieren, sind aber mehr als nur Katalysatoren. Sie dürfen Subjekte der Erzählung sein. Er inszeniert sie als Kraftfelder, die Aufmerksamkeit fordern und schenken können. Die taube Titelheldin von Mandy hat ein reiches, heftiges Innenleben (ihr Schmerz und ihre Wut werden später in ihre Therapie eingebunden), regelmäßig macht der Film sich ihre Perspektive zu eigen, indem er den Ton fortblendet. Auch in A High Wind in Jamaica bleiben die Welten der Kinder und der Erwachsenen inkompatibel. 15 Jahre lang hegte Mackendrick das Projekt: ein ganz aus der Art geschlagener Abenteuerfilm, der ohne Gegner und Bedrohung auskommt (und darin zum Vorbild von John Milius’ magistralem The Wind and the Lion werden sollte). Erschüttert über den Gleichmut, mit dem ihre Kinder den Gefahren und der Fremdheit des Lebens in der Karibik trotzen („They’re not like English children at all, they’re savages!“), schicken ein Plantagenbesitzer und seine Frau sie zurück nach England. Eher versehentlich werden sie von Piraten entführt und erobern sich deren Schiff als großartigen Spielplatz. Ihr Leichtsinn ist unbestechlich, ihre Furchtlosigkeit ohne Gnade. Ihre Amoral ist Mackendrick heilig; auch wenn sie am Ende für die Erwachsenen verhängnisvoll sein wird. Unschuld und Erfahrung sind für ihn keine Gegensätze, sondern Bündnispartner.