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Michelle Yeoh – The Lady

The Lady

Die Geschichte einer großen Liebe

| Ralph Umard |

Michelle Yeoh im Interview über die Herausforderungen bei der Darstellung der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in Luc Bessons „The Lady“.

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Als die „Rolle meines Lebens“ bezeichnet die aus Malaysia stammende Chinesin Michelle Yeoh Chu Kheng ihre Darstellung der burmesischen Oppositionsführerin und Freiheitskämpferin Aung San Suu Kyi in Luc Bessons neuem Film The Lady. Tatsächlich beeindruckt Michelle Yeoh nach jahrelanger Vorbereitungszeit, während der sie Aung San Suu Kyis Schriften, ihre Lieblingsbücher sowie 200 Stunden Filmaufnahmen studierte, mit einer eindringlichen schauspielerischen Leistung, die äußerliche Ähnlichkeit der beiden Frauen ist frappierend. Monatelang paukte Yeoh Burmesisch, bis sie Reden und Dialogzeilen im Film mit akzeptabler Aussprache auswendig konnte.

Das ursprüngliche Drehbuch der politisch und sozial engagierten britischen Schriftstellerin und TV-Filmemacherin Rebecca Frayn (ihr Ehemann Andy Harries ist Koproduzent von The Lady) erschien Regisseur Luc Besson zu dokumentarisch, bei seiner Inszenierung betont er menschlich anrührende Momente und Melodramatik. Für Schockmomente sorgen Bilder von den unmenschlichen Haftbedingungen in Myanmar, von brutalen Attentaten und der grausamen Ermordung von Gefangenen, die in ein Minenfeld getrieben und dort zerfetzt werden. Zentral geht es jedoch um die Familientragödie der burmesischen Volksheldin und ihrem englischen Ehemann Michael Aris (gefühlvoll dargestellt von David Thewlis, er spielt auch Michaels Zwillingsbruder), der bis zu seinem Krebstod 1999 alles in seiner Macht Stehende tat, um seine viele Jahre lang unter Hausarrest stehende Gattin freizubekommen.

Bevor Michelle Yeoh 1997 an der Seite von Pierce Brosnan im Bond-Film Tomorrow Never Dies zum Weltstar wurde, war sie als „Queen of Martial Arts Movies“ die höchstbezahlte Schauspielerin im Hongkong-Kino. Unvergessen ihr erster Kampfeinsatz 1985 als ebenso reizende wie schlagkräftige Kripo-Beamtin in Yes, Madam, wo sie gemeinsam mit der amerikanischen Karate-Lady Cynthia Rothrock reihenweise großmäulige Macho-Männer niedermacht, wahlweise mit Säbel, Schusswaffen oder Kung Fu. Selbst gefährliche Stunts macht sie selber, man könnte sie als weibliches Pendant zu Jackie Chan bezeichnen. Stets spielt sie starke Frauen, mit Mabel Cheungs Historien-Epos The Soong Sisters profilierte sich Michelle Yeoh in der Rolle einer geschäftstüchtigen  Bankiersgattin, die zeitweilig als reichste Frau Chinas galt, auch als Charakterdarstellerin.

Wie kamen Sie dazu, die burmesische Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi zu spielen?
Als sie 1991 den Friedensnobelpreis bekam, war ich sofort eingenommen für diese Frau, vor allem auch, weil sie Asiatin ist. Und vor zwei, drei Jahren las ich dann, dass jemand einen Film über sie machen will. Ich rief sofort meinen Manager in Los Angeles an und sagte ihm, er solle alles stehen und liegen lassen und diese Leute ausfindig machen. Ich dachte gleich an mich – das ist mein Film. Sie schickten mir einen Drehbuchentwurf, und mich beeindruckte besonders, dass es nicht nur die Geschichte von Aung San Suu Kyi war, sondern auch die dieser großen Liebe, dieses hingebungsvollen Ehemannes Michael Aris. Ich wusste nicht einmal, dass sie mit einem Engländer verheiratet war. Man sieht immer diese ikonenhafte Frau, all die schrecklichen Geschehnisse in Burma, aber nicht, was ihre Familie durchgemacht hat. Die persönliche Geschichte der Familie – ich dachte sofort, das ist eine Story, die erzählt werden muss. Und ich wusste einfach, dass ich das machen musste. Das ist eine so inspirierende Geschichte, nicht nur über eine außergewöhnliche Frau, sondern über ein Ehepaar, eine Familie, und über Selbstlosigkeit, die den Bedürfnissen anderer Vorrang vor den eigenen einräumt.

Welchen Eindruck hatten Sie beim Treffen mit Aung San Suu Kyi?
Sie ist außerordentlich und zugleich sehr normal. Man spürt einen starken mütterlichen Instinkt bei ihr, sie ist sehr fürsorglich. Sie ist sehr schlank, aber man spürt Stärke. Um ihr äußerlich ähnlicher zu sehen, habe ich zehn Kilo abgenommen. Und jeder, der schon mal eine Abmagerungskur gemacht hat, weiß, dass nicht nur das Abnehmen schwer ist, sondern auch, das Gewicht dann für längere Zeit zu halten. Obwohl diese Frau so fragil aussieht, hat man nicht einen Moment lang das Gefühl, jemand könne sie einschüchtern. Denn sie besitzt Weisheit, sie ist sehr geistesgegenwärtig, sehr smart. Woher kommt diese innere Stärke? Das hat mich sehr interessiert.

Sie ist Buddhistin.
Ich bin auch Buddhistin. Das ist eine Philosophie, keine Religion. Ein Weg zur Erleuchtung, zur Befreiung des Geistes. Ich befragte sie über Meditation, etwas, wozu ich selber nie komme. Sie kam dazu, als sie unter Hausarrest isoliert lebte, und sie sagte, im Laufe der Zeit gewinne man dann allmählich an Stärke.

Können Sie sich mit Charakterzügen dieser Frau identifizieren? Im Filmgeschäft gelten Sie ja auch als entschlossene, willensstarke Frau. Auch als furchtlos, man denke nur an Ihren halsbrecherischen Motorrad-Stunt in Police Story 3.
Oh Gott! Ich bin so froh, dass ich den zu jener Zeit gemacht habe, heute bin ich vernünftiger. (Lacht.) Aber tatsächlich konnte ich mich mit ihrem Sinn für Disziplin identifizieren. Mit Disziplin kann man lernen, sich einer Sache ganz zu widmen. Doch ihre Art der Stärke übertrifft meine bei weitem. Indem ich mich für den Film in sie hineinversetzte, habe ich eine Lektion fürs Leben gelernt. Wie konnte sie ihre Familie verlassen und nicht zu ihren Kindern nach England zurückkehren? Als echter Buddhist erkennt man, dass Familie nichts mit Blutsverwandtschaft zu tun hat. Sie begriff das. Sie war die Mutter zweier Söhne, und dann ging sie nach Burma und wurde auch noch die Mutter einer Nation.

Luc Besson und Sie sind mit Actionfilmen berühmt geworden. Warum haben sie beide nun ausgerechnet ein Familiendrama zusammen gedreht?
Ja, richtig, ich habe mir Ruhm erworben mit Actionfilmen. Aber im Laufe der Jahre habe ich auch eine Menge dramatischer Rollen gespielt …

… etwa im Falle von The Soong Sisters, Ihrem ersten Bio-Picture …
Ja, und Memoirs of a Geisha und Sunshine. Aber ich trainiere noch immer jeden Tag. Das Training ist Teil meines Lebens. Sobald ich aufwache, mache ich meine Dehnübungen und mein Standardprogramm. Das im Pass angegebene Alter sagt nichts darüber aus, wie fit man ist. Wie man sich fit hält, darauf kommt es an. Und zwar nicht nur in physischer, auch in mentaler Hinsicht; es bedarf großer Disziplin. Und natürlich drehe ich immer noch Actionfilme. Auch in Actionfilmen geht es um menschliche Dramen. Man kann ja alle möglichen Explosionen und physische Stunts zeigen, aber ohne Charaktere, die einen emotional berühren, ist einem der Film gleichgültig. Letztendlich geht es also auch hier um menschliche Dramen, nicht vorrangig nur um Action. Und Luc Besson hat viele Filme über starke Frauen gemacht. Stärke muss nicht physische Gewalt bedeuten. Es ist viel schwieriger, innere Stärke auszudrücken, wie hier im Falle von The Lady. Ihre Rüstung ist ihr Glaube und Furchtlosigkeit ihre Waffe. Drama und Action bieten ganz unterschiedliche Herausforderungen. Nur in Actionfilmen kann man all diese unglaublichen Stunts machen. Ich kann Arschtritte austeilen und fünf Kerle zusammenschlagen und gehe dabei immer als Siegerin hervor – ja gut, warum nicht? (Lacht.)  Das bringt einem nicht nur vom physischen Level her etwas, sondern auch von der mentalen Kapazität. Denn man muss sich selber immer wieder antreiben, muss trainieren, um in Bestform zu bleiben, muss sich anstrengen, um beim Dreh das Beste herauszuholen. Es kann sein, dass man das achtmal hintereinander machen muss. Denn es handelt sich ja nicht um eine Solo-Performance, eine Action-Sequenz gleicht buchstäblich einem Tanz mit anderen Akteuren, die ihren Part auch richtig spielen müssen. Wenn man das dann gut hinkriegt und auf der großen Leinwand sieht, empfindet man große Genugtuung, wenn die Leute „Yesss!“ rufen.
Macht man Filme, die einen gefühlsmäßig sehr ansprechen, ist es sehr befriedigend, wenn es gelingt, die Zuschauer in eine andere Welt zu versetzen, in eine andere Kultur, in eine andere Zeit, so dass sie ihr eigenes Leben vergessen und man sie innerlich anrührt. Nicht durch Schauspielerei, man muss nuanciert Emotionen aus dem eigenen Inneren rüberbringen. Wenn man schauspielert, ist das ganz offensichtlich. Man darf nicht nachdenken, wenn man eine Szene spielt, man sollte wissen, wer man in diesem Moment ist, die Worte müssen vom Herzen kommen, nicht aus dem Kopf, so als sagte man sie auf. Wenn man zu denken aufhört, kommt es aus dem Bauch heraus. So bieten Drama und Action große Herausforderungen, und ich bin in der glücklichen Lage, beides machen zu können. Interessant ist, dass ich immer, wenn ich eine dramatische Rolle spiele, gefragt werde: „Machen Sie jetzt keine Actionfilme mehr?“ Und wenn ich einen Actionfilm mache: „Möchten Sie nicht mal eine dramatische Rolle übernehmen?“ Aber das ist gut so, so kann mein Publikum mutmaßen, was als nächstes kommt.

Was kommt als nächstes?
Nun, ich weiß, dass meine Leute mit dieser koreanisch-amerikanischen Drehbuchautorin und Regisseurin namens Gina Kim arbeiten. Momentan hat das Projekt den Namen „Cooktales“, und im April/Mai fangen wir vielleicht mit dem Filmen an. Wenn ich mich für einen Film entscheide, kommt es darauf an, dass ich mich gut mit den Leuten in den Schlüsselfunktionen verstehe, schließlich verbringe ich sechs Monate meines Lebens oder mehr mit der Arbeit für sie. Wenn ich das Gefühl habe, dass ein Regisseur nicht das Beste aus mir herausholen kann, hat es keinen Zweck, soviel Zeit damit zu verbringen.

Wie beurteilen Sie die Zukunft der zu Beginn Ihrer Karriere einst blühenden Filmindustrie in Hongkong?
Es waren ja Überlebende, Flüchtlinge aus Festland-China, die Hongkong zu dem gemacht haben, was es heute ist. Solche Leute werden weiterhin voran streben, es werden weiter Filme gemacht und Geschäfte getätigt. Es kommen immer wieder neue Gesichter, neue Sachen. Die Krise in der Filmindustrie wurde auch nicht durch die Machtübernahme Chinas bewirkt, sie hing mit der wirtschaftlichen Situation in der Region zusammen.

Früher hat man in Hongkong Hollywood nachgeahmt, heute nutzen die Amerikaner ihrerseits chinesische Martial Arts, Motive und sogar Drehbücher für ihre Produktionen.
Stimmt, aber das passierte nicht über Nacht. Die Saat war schon eine ganze Weile gesät. Meine Freunde John Woo und Terence Chang sind schon zehn Jahre in Amerika gewesen. Und nun kann man uns dort häufiger im Kino sehen, Chow Yun-fat, Jackie Chan und mich. Das hat auch mit der Globalisierung des Medienmarktes zu tun, China rückt mehr und mehr in den Blick der internationalen Öffentlichkeit. Da steigt die Akzeptanz für chinesische Gesichter. Als ich mit Actionfilmen anfing, gab es nur ganz wenige Frauen, die so etwas machten. Und wenn man dann sieht, wie viele Frauen später auch damit angefangen haben, dann macht einen das stolz.

Was ist für Sie das Wichtigste im Leben?
Glücklich zu sein. Meine Familie, meine Freunde. Diese Bindung zur Familie, sei es der Lebenspartner, die Eltern, nahe Verwandte. Sie sorgen für Bodenhaftung, durch sie behält man den Draht zur Realität, bei all dem Starrummel und der Arbeit in der Filmindustrie, die ja eine Welt für sich ist. Und natürlich Gesundheit, ohne Gesundheit, denke ich, ist alles andere nichts wert.

Sie avancierten erst in Asien, dann weltweit zum Topstar, Sie habe Filme produziert, viele Preise erhalten und jede Menge Geld verdient. Haben Sie noch Ambitionen, gibt es etwas, was Sie noch erreichen möchten?
Das klingt, als sollte ich mich zur Ruhe setzen. Doch ich kann immer noch etwas lernen, nicht nur von den großen Regisseuren, sogar von den Nachwuchsstars, den jungen Schauspielern, mit denen ich zusammen arbeite. Ich halte mich nicht für ehrgeizig, aber mein Einsatzwille ist sehr, sehr groß. Ich kann mich einer Sache mit Leib und Seele widmen. Ich gehöre nicht zu den Multitasking-Leuten, ich muss vollkommen fokussiert sein auf das, was ich tue. Mich reizt die persönliche Herausforderung. Wenn ich über ein Projekt rede, visualisiere ich es gleich, sehe die Bilder vor mir. Und wenn ich einsteige, lass ich auch nicht mehr locker und tue alles, um es erfolgreich zu realisieren. Das ist die Herausforderung. Dabei lernt man ständig und verbessert seine Fähigkeiten. Ich denke, wenn man irgendwann alles besser weiß und alles kennt, dann ist der Tag gekommen, sich zurückzuziehen. Vielleicht ist das der Tag, an dem man stirbt.