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Die Kunst zu gewinnen – Moneyball

Moneyball | DVD

Heldenepos ohne Pathos

| Daniela Sannwald |

Wie viele andere Filme über Baseball war auch Moneyball nicht bei uns im Kino zu sehen – trotz Spitzenbesetzung und sechs Oscar-Nominierungen. Nun aber kann man das Vergnügen mit Hilfe von DVD oder Blu-ray nachholen.

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Wie wenig man doch über das Spiel weiß, das man sein Leben lang spielt“, heißt es im Vorspann zu diesem wunderbaren Sportfilm, der den dadurch gesetzten großen Rahmen mühelos ausfüllt: Es geht um Regeln auf mehreren Ebenen, um wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge, um Anarchie und Autorität, Versuch und Irrtum, System und Chaos. Es geht ums Große und Ganze, für das in diesem Film exemplarisch ein Baseball-Team steht.

Zunächst aber befolgt Moneyball die sportfilmtypische dramaturgische Grundregel, die so geht: Underdog-Team kommt wider alle Erwartungen ganz groß raus. Dass man in diesem Fall allerdings das Gefühl hat, noch nie vorher einen Sportfilm gesehen zu haben, liegt an der erstaunlich eleganten Inszenierung des als Spielfilmregisseur noch wenig erfahrenen Bennett Miller, der das Glück hatte, ein hieb- und stichfestes Drehbuch mit einem perfekt zusammengesetzten Schauspielerensemble realisieren zu können. Das war sicher nur möglich, weil Miller, der eigentlich aus der Fernsehwerbung kommt, gleich mit seinen beiden Erstlingsfilmen Furore machte: Die Dokumentation The Cruise (1998) über einen New Yorker Stadtführer war 1999 einer der Kultfilme auf dem Forum der Berlinale; und sein biografischer Spielfilm Capote 2006 für mehrere Oscars nominiert.

Parallelwelt

Kein Wunder, dass Miller der geeignete Mann schien, um erneut eine biografische Geschichte zu erzählen: die des Baseball-Spielers Billy Beane, der nach der High School eine Profi-Karriere begann, anstatt ein Stipendium an der Universität von Stanford anzunehmen. Beane erfüllte als Spieler die Erwartungen nicht, die man in ihn gesetzt hatte, war aber erfolgreich als Manager einer Mannschaft, der Oakland A’s, die er nach einem neuen System zusammenstellte und für die er immer noch arbeitet.

Der Mythisierung und Mystifizierung des Sportlers zu Lebzeiten durch den Film wären also Tür und Tor geöffnet gewesen, aber Bennett Miller hat darauf verzichtet. Er zeigt vielmehr eine ausschließlich von Männern bevölkerte Parallelwelt, in der es um Geld, sehr viel Geld, geht. Und dabei erzählt Miller ausschließlich von der offiziellen Seite des Geschäfts. Man möchte über die inoffizielle, die es ja überall dort gibt, wo sehr viel Geld zu verdienen ist, lieber gar nicht erst nachdenken. Aber man muss – auch das ist ein Verdienst dieser klugen Inszenierung.

Brad Pitt spielt den Manager Billy Beane. Wie in vielen seiner Rollen futtert er dauernd ungesundes Zeug in sich rein, wobei er schmatzt und sich die Finger leckt – eine triebhaft-kindliche Attitüde seiner inzwischen sehr erwachsenen Figuren. Pitt verkörpert Beane als nicht besonders sympathischen Macher, dessen Scheitern als Spieler ihn unter starken inneren Druck setzt, zu dem der äußere sich addiert: Seine Mannschaft sei nur „Organspender“ für die reichen Clubs, sagt Beane; immer wieder werden seine guten Spieler abgeworben. Jedes Jahr zu Saisonbeginn steht Beane vor dem Problem, neue Spieler einkaufen zu müssen. Er versammelt seine Scouts zu einem Treffen, Männer, die nichts anderes tun als durch die Lande reisen und Spieler beurteilen – und nicht schlecht davon leben.

Mit protokollarischer Genauigkeit hat Bennett Miller die Zusammenkunft als Bastion eines unangefochten selbstherrlichen Männertypus’ inszeniert: sexistisch, machtgeil, verschwörerisch, überheblich. Die Männer, die als Experten gelten, sprechen über Spieler wie über Waren, deren Qualitätskriterien allerdings fragwürdig und nicht konsensfähig sind, nicht einmal zwischen ihnen. Man denkt an die großen Sportturniere (wie aktuell die Fußball-EM) und daran, wie die Auswahl der Spielstätten und Spieler wohl zustande kommen mag. Man denkt an alte, gierige, korrupte Manager und die Institutionen, die sie beherbergen. Man denkt an Milliardengeschäfte – auch diese Seiten des Profisports lässt Moneyball anklingen.

Kultureller Mythos

Billy Beane möchte die Kriterien objektivieren. Er hat einen jungen Mathematiker – überzeugend in seinem Nerdtum: Jonah Hill – angestellt, der Statistiken über Spiele und deren Verläufe, über die einzelnen Aktionen, die jeder Spieler ausgeführt hat, anfertigt und auswertet, das Spiel also praktisch in lauter Einzelteile zerlegt. Dabei ist er zu dem erstaunlichen Ergebnis gekommen, dass die Spieler in der Regel nicht nur eine Fähigkeit haben, sondern mehrere – aber nur für den Einsatz auf einer einzigen Position eingekauft werden. Er rät dem verzweifelten Billy, nach Spielern zu suchen, die aus dem System gefallen sind, weil sie die Erwartungen nicht erfüllten. Gemeinsam und gegen Widerstände des gesamten Club-Establishments bilden sie eine Mannschaft aus verletzten, älteren oder unangepassten Profis, die für vergleichsweise wenig Geld arbeiten, weil sie froh sind, dass sie überhaupt noch einer will.

Baseball gehört zu den wichtigsten kulturellen Mythen Amerikas, und es ist offenbar nicht exportfähig – jedenfalls nach Europa. Denn seine Regeln, die in den USA jedes Kind beherrscht, verstehen hierzulande immer noch die Wenigsten, und Moneyball erklärt sie natürlich nicht. Man begreift jedoch, dass es wie bei jeder professionell betriebenen Sportart um ein zugrundeliegendes System von Herrschaft und Privilegien geht; dass immer diejenigen bestimmen, die davon profitieren; und, was noch viel schöner ist, dass so ein System nicht unumstößlich ist. So ist Moneyball eigentlich ein Film über eine Revolte, klug und unterhaltsam deshalb, weil ganz nebenbei auch deren Mechanismen deutlich werden. Inszeniert hat Bennett Miller atemlos montierte Sequenzen von Trainingseinheiten, Spielerfrust und Spielerlust, in denen die Schwierigkeiten und Widerstände, gegen die sich der Manager behaupten muss, angerissen statt auserzählt werden. Dokumentarisches Archivmaterial aus realen Spielen mit Billy Beane verleiht dem Spielfilm Authentizität und erinnert daran, dass die wahre Geschichte sicher weniger gradlinig ist als der Spielfilm suggeriert.

Ein bisschen ist Moneyball natürlich auch Americana in dem Sinne, dass die Geschichte des Einzelnen, der sich gegen das Establishment behauptet und damit sein Glück macht, zu den uramerikanischen Mythen gehört. So gesehen erzählt der Film natürlich doch ein Heldenepos, wenig pathetisch allerdings. Noch wenn er Billy Beane im Auto durch die Gegend fahren lässt, während seine Mannschaft sich auf dem Spielfeld behaupten muss, erliegt Bennett Miller nicht der Versuchung, ihn zu heroisieren. Vielmehr wirkt er in seiner Nervosität und seinem augenscheinlichen Desinteresse ignorant, genauso wie im Umgang mit seinen Spielern, den er jedoch, wenn irgend möglich, vermeidet. Wie diese trotzdem zum Team werden, wie die um ihre Pfründe gebrachten Scouts und der in seiner Autorität angegriffene Trainer – wunderbar: Philip Seymour Hoffman – gegen die einsamen Entscheidungen Beanes wüten, wie sie in lauter saure Äpfel beißen müssen, weil es keine Alternativen gibt, das erzählt dieser Film und erzeugt dabei Hochspannung auch für Baseball-Laien. Es geht um eine mögliche Interpretation von Realität. Und das ist Kunst.