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Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden

Filmkritik

Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden

| Alexandra Seitz |

Dichterische Freiheit im Umgang mit dem Leben eines Dichters – Georg Trakl dreht sich im Grab um.

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Um das vorab klar zu stellen: Dass Georg Trakl und seine Schwester Margarethe eine inzestuöse Beziehung miteinander unterhielten, ist historisch nicht belegt. Christoph Starks Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden, in dem eine solche Beziehung als stürmische Amour fou gestaltet wird, die die Geschwister schließlich ins Unglück stürzt, ist mithin reine Fiktion. Sie stützt sich auf mehr oder minder unverholene Andeutungen in Trakls lyrischem Werk, sowie den tragischen Umstand, dass sowohl Georg als auch Margarethe in noch jungen Jahren den Drogen zum Opfer fielen.

Georg Trakl (1887–1914), einer der bedeutendsten Dichter des Expressionismus, führte ein atemlos-getriebenes, von Verzweiflung und Schmerz geprägtes Leben, das zugleich Ausdruck des Zeitgeistes war; Reflex einer von philosophischen, ästhetischen, politischen Kontroversen aufgewühlten Gesellschaft um die Jahrhundertwende und an der Schwelle des Ersten Weltkrieges. Es mag dies – die Unruhe und die Leidenschaft einer Zeit, die sich in Trakl verkörpern – der Grund dafür gewesen sein, dass Drehbuchautorin Ursula Mauder den zerquält-vergrübelten Dichter und seine musikalisch begabte, strahlende Schwester zu Protagonisten einer Geschichte wählte, die an derart vielen Stellen von den historischen Fakten abweicht, dass sich die Frage aufdrängt, warum sie sie nicht gleich zur Gänze frei erfunden hat?

Selbstzerstörerischer Drogenwahn und die hysterische Exaltiertheit der damaligen Avantgarde eignen sich recht gut als Hintergrund einer Liebesbeziehung, der keine romantische Erfüllung gegönnt ist, weil sie dem Inzesttabu unterliegt. An diesem Tabu wird hier nun deutlich gerüttelt. Aber eben innerhalb einer sich Freiheiten herausnehmenden „Künstlerbiografie“ – und damit letztlich feige um das dem Inzesttabu zugrunde liegende Problem des inner-familiären Machtmissbrauchs in Relation zur Geschlechterspannung herum lavierend. Die sehenswerten schauspielerischen Leistungen von Drama-King Lars Eidinger und Newcomerin Peri Baumeister in den Rollen von Georg und Margarethe ändern an diesem fundamentalen Desiderat nichts. Zumal Tabu mit seiner ans Karikaturistische grenzenden Darstellung von Leben und Leiden des Wiener Künstlervolks immer wieder an Kolportageromane in der Tradition von Hedwig Courths-Mahler erinnert. Am Ende bleibt der Eindruck eines Films, der sich an seinem Thema überhebt.