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Julie Delpy

2 Days in New York / Le Skylab

Denk wie ein Mann!

| Peter Keough |

Julie Delpy über ihre Filme „2 Days in New York“ und „Le Skylab“, die Zusammenarbeit mit großen Regisseuren und ihre Fähigkeit, sich in männliche Charaktere hineinzuversetzen.

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Schauspielerin, Drehbuchautorin, Sängerin, Songwriterin. Julie Delpy zeichnet sich in vielen Bereichen aus, aber was sie bevorzugt, ist Regie zu führen. Ihr ganzes Leben lang wollte sie Filme machen, aber Jahrzehnte lang musste sie sich damit zufrieden geben, nur als Schauspielerin zu arbeiten – beginnend im Alter von 14 Jahren, als sie das weise junge Mädchen in Jean-Luc Godards Détective (1985) spielte. Obwohl sie 1995 an der New York University Regiekurse belegte, wurde ihr Traum erst wahr, als sie eine Oscarnominierung als Ko-Autorin des Drehbuchs für Richard Linklaters Before Sunset (2004) erhielt. Danach spielte sie nicht nur in Autorenfilmen, sie wurde selbst zur Autorin. Es war allerdings nicht leicht. Sie musste schnorren, um sich ihren Durchbruchsfilm 2 Days in Paris (2007) zu finanzieren, aber es war die Probleme wert. 2 Days in Paris erwies sich als Independent-Hit und Delpy bringt nun die Fortsetzung – 2 Days in New York – heraus, in der sie wieder Marion spielt, eine Frau, die Delpy sehr ähnelt, obwohl sie wahrscheinlich ein bisschen neurotischer und definitiv weniger talentiert ist. Marion ist eine alleinerziehende Mutter, die eine Fotografenkarriere anstrebt und daher von Paris nach Manhattan gezogen ist, wo sie sich bei dem perfekten Mann (gespielt von Chris Rock) eingenistet zu haben scheint. Aber dann sieht sich die Beziehung mit dem ultimativen Test konfrontiert: Ein Besuch von Marions Familie.

 

Sie hatten es nicht leicht, als Sie 2007 „2 Days in Paris“ gedreht haben. Ihr Budget war so gering, dass Sie alles machen mussten, inklusive Festkleben der Kabel. War das  jetzt einfacher?
Julie Delpy: Nein, es war genau so hart, ob Sie es glauben oder nicht. Wir hatten andere Probleme. Wir hatten mehr Geld, aber einer der Geldgeber gab seinen Finanzierungsanteil bis zwei Tage vor Drehbeginn einfach nicht frei. Also legten wir den Film für zwei Wochen auf Eis, was verrückt war. Ich musste meine Firma einem Risiko aussetzen, im Grunde genommen steckte all das Geld darin, das ich in 25 Jahren verdient hatte. Der Produzent musste alles an eine neue Firma abtreten, die in letzter Sekunde dazu kam. Es war schlicht ein Alptraum.

Sogar mit Chris Rock im Team …
Julie Delpy: Wir haben das Geld nicht mit seinem Namen beschafft. Ich wollte nur europäisches Geld aufbringen, um die Freiheit zu haben, alles zu tun, was ich will. Freiheit hat einen Preis, in dem Fall war es eine Menge Stress. Ich hatte kein amerikanisches Geld. Daher konnte ich besetzen, wen ich wollte und es genau so machen, wie ich wollte.

Sie haben Ihre Katze Max wieder besetzt.
Julie Delpy: Meine Katze Max, meinen Vater Albert [der Marions Vater spielt; Anm.], meine Freundin Alexia Landeau, meinen Freund Alex Nahon, all die Menschen, die ich kenne. Meine Freundin Emily Wagner, die Besitzerin der Galerie. Ich konnte Leute besetzen, die man normalerweise nie in Filmen sieht – das macht Spaß.

Ich bin froh darüber, dass Max zurück ist.
Julie Delpy: Er ist zurück. Er lebt immer noch. Er ist 17 Jahre alt.

Hat die Geschichte auch etwas mit Ihrem Leben zu tun oder ist sie total fiktiv?
Julie Delpy: Es gibt wahre Elemente. Die Beziehung mit dem Vater spiegelt gewissermaßen die Beziehung zu meinem Vater wieder. Eine wichtige persönliche Sache, die ich in den Film gepackt habe, ist der Tod meiner Mutter. Ich konnte den Film nicht schreiben, ohne das einzubringen, obwohl es verrückt ist, etwas so Persönliches in einen Film zu geben. Sie war auch im ersten Film und ich wollte, dass dieser Film eine Hommage an sie ist. Ich wollte das drin haben, aber auf eine sehr subtile, poetische Weise. Man sieht sie als Puppe im Himmel; und dann spreche ich darüber, als wäre die Seele der Taube vielleicht sie. Sie war eine, die das Leben liebte und sehr fröhlich war, also wollte ich eine lustige Hommage machen.

Das muss für Sie eine schwierige Zeit gewesen sein, als Sie ein Kind bekamen und Ihre Mutter starb …
Julie Delpy: Ja, das ist ein Alptraum.

Aber Sie haben zwei Filme gedreht.
Julie Delpy: Wissen Sie, mir hat es geholfen, diese Filme zu machen. Entweder bringt man sich um, oder man wird depressiv, oder man macht etwas damit.

Der andere Film ist Le Skylab?
Julie Delpy: Le Skylab
, ja. Das ist ein Film, den man wahrscheinlich nie in Amerika sehen wird. Die Reaktionen sind sehr lustig. Das Publikum liebte ihn eigentlich. Ich habe ihn letztens in L.A. gezeigt und den Leuten hat er richtig gefallen. Aber der Verleiher meinte, die Franzosen wären so verrückt in dem Film. Ich meinte, Franzosen sind keine Chanel-Werbung. Die Amerikaner haben diese Vorstellung, dass die Franzosen alle so nobel seien und hassen die Vorstellung, dass Franzosen auch weißer Abschaum sein können.

Gibt es nicht auch eine Darstellung von Kindersexualität, die das amerikanische Publikum ablehnen könnte?
Julie Delpy: Diese Kinder spielen Doktor. Im Grunde genommen ist es unter der Decke und man sieht nichts. Ich meine, nichts! Und das ist irgendwie – schockierend. Es ist verrückt. Wenn ich meine amerikanischen Freunde frage, sagen die auch, dass sie als Kinder Doktor gespielt haben. Es ist ein Tabu, aber es passiert. In meinem Film ist es so unschuldig, so unschmutzig und so unvoyeuristisch. Ich meine, neunjährige Kinder in Frankreich haben den Film gesehen und sie waren in keiner Weise davon beeinflusst. Sie fanden die Szene lustig.

Eine Sache an 2 Days in New York, die kontrovers sein könnte, ist die Romanze zwischen verschiedenen Ethnien.
Julie Delpy: Es ist nicht das Thema des Films, weil ich es nicht zu einem Thema machen wollte. Wir sind nicht im Jahr 1964. Es scheint aber für einige Leute ein Thema zu sein. Es erscheint mir irgendwie komisch – ich kenne so viele Paare verschiedener Ethnien. Die Hälfte aller Menschen, die ich kenne. Asiatisch, schwarz, jede Kombination ist möglich. Nur nicht auf der Leinwand. Das ist ziemlich komisch.

Letztes Jahr sagte jeder, dass Bridesmaids bewiesen hat, dass Frauen auch grobe Komödien machen können, so wie Männer. Sie haben es allerdings bereits ein paar Jahre früher bei 2 Days in Paris gemacht. Sehen Sie sich selbst als Vorreiterin für diesen Trend?
Julie Delpy: Es ist komisch, dass 2 Days in Paris gewissermaßen ein wenig vor seiner Zeit war. Er war allerdings ein Independent-Film, daher hatte er nicht denselben Effekt. Ich mag Bridesmaids, aber ich war nicht so überrascht davon. Viele Studios wollten einen derartigen Film machen und kontaktierten mich deshalb. Sie wollten einen Film wie Hangover machen, aber für Frauen.

War das vor Bridesmaids?
Julie Delpy: Lange davor. Ungefähr vier Jahre davor, gleich nach 2 Days in Paris. Als man mich kontaktierte, hatte ich das Gefühl, dass das ein wenig erzwungen ist. Etwa so, wir versuchen Frauen dreckig, kotzend und scheißend zu machen. Aber Bridesmaids hat funktioniert. Es ist ein toller Film, aber ich wollte das nicht machen. Ich war der Meinung, dass sei eine Art vorgeplante Sache. Ich mag die Tatsache, dass Frauen die gleichen Gefühle wie Männer haben, aber auch, dass sie anders sind als Männer.

Gleichheit bedeutet nicht, ein skrupelloser Mann zu sein. Wenn man eine starke Frau ist, muss man keine Margaret Thatcher sein. Ich denke, die vollkommenen Menschen sind die, die im Leben sind, sind die Frauen, die in Kontakt mit ihrer eher maskulinen Seite sind und die Männer, die in Kontakt mit ihrer femi-ninen Seite sind. Man muss eine Balance zwischen männlich-weiblicher Energie finden. Wenn ich „girly-girl“ wäre, wäre ich nicht gerade glücklich.

Wird es einen dritten Film der Before Sunrise/Before Sunset-Reihe
geben?

Julie Delpy: Möglicherweise.

Richard Linklater ist nur einer der großen Filmemacher, mit denen Sie gearbeitet haben. So wie Krzysztof Kies´lowski, Leos Carax und Jean-Luc Godard. Haben Sie etwas von Ihnen gelernt?
Julie Delpy: Ich habe von ihnen allen gelernt. Kies´lowski hat mich sehr unterstützt, als ich beschlossen hatte, auf die Filmschule in New York zu gehen. Ich habe mich ein Jahr lang regelmäßig mit ihm getroffen und mit ihm über das Schreiben von Drehbüchern und das Filmemachen geredet, und darüber, wie man Filme zu seinen eigenen macht. Das ist lustig, weil alle Leute meine Filme mit denen von Woody Allen vergleichen. Ich habe das wirklich nicht beabsichtigt. Ich bin nur leider auch neurotisch, und ich denke, das kommt in den Filmen raus. Ich liebe Woody Allen. Es ist kein böses Kompliment, aber ich weiß, dass es mir irgendwann einen Gegenschlag verpassen wird.

Und dann ist natürlich Kieslowski der Woody Allen der polnischen Filmemacher.
Julie Delpy: [Lacht] Mit einem sehr anderen Sinn für Humor. Offensichtlich ist mein erster Film anders, aber ich kann Ihnen garantieren, dass er ihn mögen würde. Ich kannte ihn so gut, ich kann versichern, dass er sich kaputtlachen würde, weil er einen sehr ausgeprägten Sinn für Humor hatte. Und er war keineswegs ein prüder Mensch. Er war ein sehr witziger Mann.

Waren Sie schockiert, als er so plötzlich starb?
Julie Delpy: Ich war entsetzt. Noch dazu war die Art, wie ich davon erfuhr, wirklich grauenhaft. Ich war gerade in Kanada und ein italienischer Journalist rief mich um sechs Uhr morgens an und fragte, was ich von Kies´lowski Tod hielte. Es war erst ein paar Wochen her, dass ich noch mit ihm gesprochen hatte, daher war das wirklich schrecklich. Ich war sehr, sehr traurig, dass er gestorben war.

Der erste Regisseur, mit dem Sie gearbeitet haben, war Jean-Luc Godard. Erinnern Sie sich an das erste Treffen mit ihm?
Julie Delpy: Sehr gut sogar. Ich war in der Lobby des Hotels und ging die Stufen rauf, und er traf da gerade ein paar Leute. Ich erzählte ihm, wie sehr ich seine Filme liebte und dass ich weniger daran interessiert wäre, in einem seiner Filme zu spielen, als seine Assistentin zu sein – ihm Kaffee zu bringen, zu sehen, wie er arbeitet – denn ich war wirklich ein Fan. Ich wollte damals wirklich Regie führen. Ich wusste aber, dass mir mit 14 niemand Geld geben würde. Als ich in den achtziger Jahren mein erstes Drehbuch schrieb, war es wirklich schwer, eine 16-jährige Frau zu sein, die einen Film machen will. Es war wie: Vergiss es! Da gibt es keinen Weg. Heutzutage ist es schick, als weibliche Regisseurin und Schauspielerin Filme zu machen, aber damals war es eine Sackgasse.

Es ist jetzt schick?
Julie Delpy: In Europa schon, ja. In Amerika immer noch nicht. In Frankreich ist es sehr in Mode, eine Regisseurin zu sein. Das ist der Grund, warum ich Filme finanziert bekomme.

Sogar, nachdem eine Frau den Oscar gewonnen hat?
Julie Delpy: Ja, aber Kathryn Bigelow hat Eier. Ich liebe sie, und ich finde, sie ist fantastisch und hat wahrscheinlich viele Türen geöffnet, aber es ist immer noch ein Kampf. Die Directors Guild of America drängt wirklich auf weibliche Regisseure, aber ich habe immer noch Treffen mit Studios, die mir die Frage stellen, ob ich weiß, was ein Kran ist.

Manche zweifeln sogar daran, dass Sie die männlichen Dialoge in Ihren Filmen schreiben.
Julie Delpy: So wie die Witze in diesem Film. Die Leute nehmen an, dass Sachen wie der Ku-Klux-Klan-Hase und solche hippen Sachen von Chris, also von einem Mann, kommen. So wie auch gewisse Witze in 2 Days in Paris, oder gewisse Sachen, die Ethan Hawke in Before Sunset sagt. Viele Leute nehmen an, dass es von einem Mann kommt, auch wenn es in Wirklichkeit von mir ist. Es ist lustig, dass es den Leuten schwer fällt, sich vorzustellen, dass eine Frau wie ein Mann denken kann. Ich schreibe gerade ein Drehbuch, in dem die zwei Hauptfiguren Männer sind. Ich schreibe für zwei Männer, habe dabei Spaß und lese meinen Freunden Teile der Dialoge vor. Die sind dann ganz erstaunt und fragen mich, ob ich das wirklich geschrieben habe. Ich habe kein Problem damit, für einen männlichen Charakter zu schreiben und mich komplett mit ihm zu identifizieren. Ich habe ein hundertprozentiges Verständnis dafür, wie Männer denken. Das habe ich einfach dadurch, dass ich sie beobachte, mit ihnen lebe. Es ist so einfach für mich, in meinem Kopf ein Mann zu sein, während ich schreibe.