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David Cronenberg

Cosmopolis | Interview

Geld macht (nicht) glücklich

| Thomas Abeltshauser |
David Cronenbergs „Cosmopolis“: Der Filmemacher im Gespräch über Weltstars in seinen Filmen, über gewisse Vorteile der Finanzkrise und das „sozialistische“ Kanada.

Als David Cronenbergs Cosmopolis im Mai auf den Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt wurde, gingen die Meinungen über seine Don-DeLillo-Adaption weit auseinander. Vom Goldene-Palme-Anwärter bis zu Pseudotheater reichten die Reaktionen. Und kontrovers ist dieses Roadmovie durch Manhattans Stadtschluchten und abstrakte philosophische Diskurse in der Tat. Cosmopolis erzählt aus einem Tag im Leben eines obszön reichen und jungen Finanzjongleurs namens Eric Packer, gespielt von Twilight-Vampir Robert Pattinson, der sich in seiner weißen, schalldichten Stretchlimousine durch New York fahren lässt, um sich bei seinem Friseur aus Kindertagen die Haare schneiden zu lassen. Auch der Präsident ist unterwegs, ebenso die Prozession für einen toten Rapper und eine Horde Antikapitalismus-Aktivisten. Und ein Attentäter hat es offensichtlich auf ihn abgesehen, wie sein Bodyguard und Chauffeur mehrmals warnt. Davon bekommt Packer aber nur am Rande mit, ihn beschäftigt mehr der nicht vorhergesehene Kursanstieg des chinesischen Yuan, der sein gesamtes Finanzimperium bedroht. Seine Berater ordert er der Reihe nach in den Wagen, lässt sich seine tägliche Arztuntersuchung verpassen (bei der eine asymmetrische Prostata diagnostiziert wird) und schläft mit seiner Geliebten (Juliette Binoche). Und die nicht enden wollenden, fast eins zu eins aus der Vorlage übernommenen Dialoge über die Abstraktion des Geldes, Kunst und Macht. Alles andere als sympathisch ist dieser Eric Packer: egomanisch, soziophob, am Rande des Autistischen. Cronenberg zwingt uns, diesen Mann knappe zwei Stunden lang bei seinem Niedergang zu beobachten – oder ist es ein Freischaufeln aus den Zwängen des selbsterschaffenen Systems? Die Kamera ist immer dicht dran an diesem Über-Kapitalisten. Das Auto wird kaum verlassen, das ist sein Reich und sein Gefängnis. Selbst Szenen, die im Buch außerhalb spielen, wurden nach Innen verlegt, um das Klaustrophobische noch zu verstärken. Es gibt keine Werte mehr in dieser Welt, die DeLillo/Cronenberg hier zeichnen, eine Vorwegnahme der derzeitigen Finanzkrise (das Buch erschien 2003) und der Hybris der Spekulanten. Eine in ihrer Dichte mal überfordernde, mal plakative und banale Odyssee, oft auch von böser Komik.

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In Cosmopolis ist der Handlungsraum des Protagonisten extrem eingeengt, ein Großteil des Films spielt sich in seiner weißen Limousine ab. Welche Rolle spielt da der Körper, der ja in Ihren Filmen immer wieder malträtiert und technisch verändert wird?
David Cronenberg: Ich kann nicht behaupten, dass ich mir beim Drehen darüber Gedanken gemacht habe. Ich gehe bei der Figurenentwicklung ganz traditionell heran: Wer ist diese Figur? Warum trägt er welche Klamotten? Wie sieht seine Frisur aus? Wie spricht er? Hat er einen Akzent? Darüber denke ich nach, ich komme nicht ans Set mit einem abstrakten Körperkonzept. Ich denke auch nicht an meine anderen Filme, wenn ich einen neuen Film drehe, gehe ich immer heran, als hätte ich vorher noch nie einen gemacht.

Und wenn ich Sie jetzt im Nachhinein frage?
Dann würde ich sagen, dass wir hier einen Charakter haben, der extrem abgeschottet von der Außenwelt ist, er hat sich eine schalldichte Limousine bauen lassen, in die kein Ton eindringt. Und auch zu seinem eigenen Körper hat er keinen wirklichen Bezug, jeden Tag muss sein Leibarzt kommen und ihn durchchecken, fast so, als müsse er bestätigt bekommen, überhaupt einen Körper zu haben. Er hat keinen Bezug dazu, genauso wenig, wie er es versteht, eine Bindung zum Körper seiner Frau aufzubauen oder überhaupt mit ihr zu sprechen. Er lebt in dieser abstrakten Welt der Finanzen, der Zahlen und Computer, aber er hat die Verbindung zu seiner eigenen Menschlichkeit verloren. Für mich hießt das auch, keinen Bezug mehr zu seinem eigenen Körper zu haben. In diesem Sinn geht es natürlich wie bei meinen anderen Filmen um Körper, aber ich hatte nichts davon bewusst im Kopf. Ich muss da auch gar nicht bewusst daran denken, weil ich weiß, dass es auf die eine oder andere Weise auftauchen wird.

Vor allem die Andockpunkte zu Ihrem Film eXistenZ sind offensichtlich …
Ja, wenn Sie so wollen, handeln beide Filme von virtuellen Parallelwelten und wie Jude Laws Charakter in eXistenZ spielt Robert Pattinsons Figur darin ein Spiel. Und diesmal geht es um Geld, unfassbar viel Geld. Diese Finanzmenschen sind ja wie Glücksspieler. Aber auch in diesem Fall muss ich betonen: Das war nicht meine Absicht. So gehe ich nicht an Filme heran.

Worüber denken Sie denn nach, von physischen Charakteristika der Hauptfigur einmal abgesehen?
Ganz Konkretes wie: Welches Objektiv benutze ich? Will ich eine Großaufnahme, oder bleibe ich weiter weg? Welchen Einfluss hat das auf den Dialog und dessen Bedeutung? Wie stehen die Figuren zueinander? Solche Dinge. Ganz im Gegensatz zu meinem Protagonisten hilft es mir nichts, in abstrakten Kategorien zu denken. Es hilft mir nichts, an meine anderen Filme zu denken oder daran, was das Publikum von mir erwartet. Oder die Kritiker! Weil Rob in diesen Twilight-Filmen mitspielte, werde ich jetzt dauernd gefragt, ob der Banker, den er hier darstellt, eine Art Vampir ist. Ganz ehrlich: interessiert mich nicht. Paul Giamatti hat in wahrscheinlich 200 Filmen mitgespielt, wenn ich mir über jeden davon Gedanken machte, würde ich ja verrückt werden.

Die Romanvorlage ist von 2003, also Jahre vor der jetzigen Krise. Dennoch haben die Straßenschlachten im Film einen hochaktuellen Bezug …
Wir waren selbst davon überrascht, als wir tagsüber diese Szenen drehten und abends im Fernsehen Bilder von Occupy Wall Street sahen. Die Parallelen waren so bizarr und merkwürdig, es sah fast so aus, als ob wir einen Dokumentarfilm drehten. Aber es war Zufall. Natürlich steckt im Buch viel Kapitalismuskritik, aber ich habe auch keine Ahnung, wie sich die Situation weiterentwickelt. Ich gebe keine Antworten, weil ich selbst keine habe.

Wenn der Film das Ende des Kapitalismus zeigt, was kommt danach?
Ich glaube, es muss immer eine Balance geben zwischen Menschen und Dingen. Geld ist eine Art Technologie, eine Erfindung der Menschen. Aber Technologie ist nicht unmenschlich, wie sie oft in Science-Fiction dargestellt wird. Nein, Technologie ist menschlich und kommt zu uns zurück als wir selbst. Deswegen kann es so etwas wie puren Kapitalismus nicht geben, weil es immer auch rein menschlich wäre, also mit all den Fehlern, die wir haben: Exzess, Gier, Grausamkeit, Brutalität – Dinge, zu denen wir fähig sind, wenn es kein Gegengewicht gibt. Ich muss zugeben, dass ich nicht viel Ahnung von Wirtschaft habe, aber ich lese Zeitung. Erinnern Sie sich an das Buch, das vor einigen Jahren erschien, „The End of History“, wonach es keine Weiterentwicklung mehr geben wird und der Kapitalismus endgültig gesiegt hat. Und schon ein paar Jahre später sehen wir, dass das nicht der Fall ist. Was ich jetzt sage, klingt sehr kanadisch, aber ich denke, es muss einen mitfühlenden Kapitalismus geben. Der reine Kapitalismus, wie er in den USA vorherrscht, ist sehr brutal. Wenn man kein Geld verdienen kann, Pech gehabt! Man muss stark und unabhängig sein, sonst fällt man durchs Gitter. Und in Kanada haben wir immer noch die Einstellung, dass man sich um die Schwachen in der Gesellschaft kümmert und dass es nicht wehtut, wenn man ein paar Steuern zahlt, um anderen zu helfen. Natürlich gibt es Leute, die das ausnutzen, aber das ist normal. Das Gute an der Finanzkrise und der Euro-Krise ist: Man sieht, dass kein Land isoliert ist. Es wird nicht das eine reiche, zufriedene Land geben und alle anderen sind arm und unglücklich. Wir sitzen alle in einem Boot, und es ist klar, dass wir zusammenarbeiten und kooperieren müssen.

Welchen Einfluss hat die Krise auf Sie als Filmemacher?
Meine Filme sind schwieriger zu finanzieren. Als es noch Leute gab, die investieren und spekulieren wollten, war es sehr viel einfacher, einen komplexen Film mit Ecken und Kanten, der nicht Mainstream war, finanziert zu bekommen. Bei A Dangerous Method hatte sich alles geändert. In den USA waren die Independent-Studios verschwunden. Dort kann man keinen Film mehr verkaufen, bevor er fertig ist. Früher konnte man den Film bereits vorab verkaufen, basierend auf dem Drehbuch, den Stars oder dem Regisseur. Das geht heute nicht mehr. Dieser Film ist eine kanadisch-französische Koproduktion, in den USA hätte ich dafür kein Geld bekommen. Dort werden 200-Millionen-Dollar-Filme gedreht, die völlig glatt und ungefährlich und konservativ sind, weil sie ihre immensen Kosten wieder einspielen müssen.

Die Kamera ist immer ganz nah an den Figuren, es gibt viele Großaufnahmen. Warum wollten Sie das so geschlossen halten?
Ich wollte eine klaustrophobische Atmosphäre entstehen lassen. Der Film ist aus Erics Sicht gedreht, und deshalb war es so wichtig, zu spüren, wie es ist, die ganze Zeit in dieser schalldichten Limousine zu verbringen und New York nur durch die Autofenster wahrzunehmen. Wir verlassen die Limousine nur, wenn er sie verlässt. Er sitzt darin wie auf einem Thron, er hat Macht über jeden, der zu ihm ins Auto steigt. Und er zwingt auch jeden, mit dem er zu tun hat, zu ihm zu kommen. Zugleich ist er sehr isoliert, von der Stadt, dem Leben. Er hat eine Mauer um sich gebaut und lebt wie in einem Gefängnis. Das nimmt er aber gar nicht als solches wahr, erst wenn er gegen Mitte des Films auch Freiheit will und das Auto verlässt. Dann öffnet sich auch das Bild, dann gibt es auch Totalen.

Noch einmal zur Besetzung: Haben Sie mit Robert Pattinson einen der international angesagtesten Filmstars besetzt, um die Finanzierung des Films zu erleichtern? Oder ist es auch ein Spiel mit seinem Image, ein Star, der von Paparazzi verfolgt wird und vielleicht ein ebenso isoliertes Leben hat wie Eric?
Ich spiele nie mit dem Image eines Darstellers, das wäre auch ein Fehler. Ich will ja, dass die Leute diesen Film auch noch in 30 Jahren sehen und er eine Bedeutung hat. Das öffentliche Interesse an Pattinson wird da ein ganz anderes sein. Nehmen Sie alte Hollywood-Filme mit Humphrey Bogart zum Beispiel. Wenn heute junge Menschen einen Film mit ihm sehen, wissen sie vielleicht nicht, wer er ist, aber er überzeugt noch immer mit seinem Schauspiel, seiner Stimme. Was das Finanzielle angeht: absolut! Man braucht einen Star. Es ist dasselbe, was mir mit Viggo Mortensen passierte. Bevor er durch Lord of the Rings weltberühmt wurde, hätte ich ihm nie eine Hauptrolle geben können. Ich hätte schlicht kein Geld bekommen. Deswegen bin ich diesen beiden Filmen auch dankbar, weil mir dadurch diese beiden Schauspieler geschenkt wurden. Wer nur ein Fan von Twilight und dem Vampir ist, den wird Cosmopolis nicht interessieren. Wer aber ein Fan von Robert Pattinson ist, muss Cosmopolis sehen, denn er ist in fast jeder Szene.

Der Film spielt in New York, aber man sieht nur wenige ausgewählte Motive der Stadt.
Das Buch spielt auf der 47th Street, also spielt auch der Film dort. Das ist keine besonders interessante Straße, aber das hat Don DeLillo bewusst so gewählt. Eric ist auf dieser Straße, weil er zum Friseur seiner Kindheit will, nichts weiter. Und vom Auto aus sieht man auch mal den Times Square, aber der Roman ist ja auch kein Stadtführer. Und vieles, was DeLillo 2003 beschrieben hat, existiert schon gar nicht mehr.

Was sind die gesellschaftlichen Themen und menschlichen Eigenschaften, die Sie am meisten interessieren? Wenn man sich Filme wie Crash, Eastern Promises und auch diesen ansieht, kann man durchaus Parallelen entdecken.
Jeder Film, den ich drehe, entsteht wirklich intuitiv. Ich habe keine Regeln, noch nicht einmal Storyboards, und auch keine Liste, die ich bei jedem Film abarbeite, auch wenn viele Leute das denken. Es gibt keine Checkliste, auf der „Body Horror“, „Identität“ oder ähnliches steht. Ich weiß nicht, was mich an bestimmten Geschichten interessiert. Bei Cosmopolis kann ich benennen: Es waren die Dialoge. Diese typisch stilisierten, auch komischen DeLillo-Dialoge wollte ich gesprochen hören. Was Sie jetzt im Film sehen, steht fast Wort für Wort so im Buch. Die Dialoge waren so gut, dass ich nur sechs Tage brauchte, um das Drehbuch zu schreiben.

Hätten Sie Interesse, eine klassische Komödie zu drehen?
Nein, das Konzept dieses Genres ist mir viel zu strikt. Ich finde, meine Filme haben Humor. Und damit ist mein Verlangen auf diesem Gebiet auch schon befriedigt.