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Charles Schreger

Interview | TV-Serien

Wir machen viele mutige Sachen

| Roman Scheiber |

Charles Schreger, Programm-Verkaufschef des weltweit erfolgreichsten Pay-TV-Anbieters HBO, im ausführlichen Gespräch über Lizenzierungspolitik, „Game of Thrones“-Piraten, neue Fernsehshows und seine persönlichen Hit-Serien.

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Seit 22 Jahren arbeitet Charles Schreger für jenes „cable television network“, das viele für das beste der Welt halten. Der heute im Eigentum von Time Warner stehende (aber selbständig operierende) und bis zu einem Viertel des Konzernprofits beitragende Bezahlsender Home Box Office (HBO) begann in den siebziger Jahren mit Kinofilmen und Sportevents. Zur Marke wurde der US-Premium-Sender um die Jahrausendwende mit der Eigenproduktion oft episch angelegter, anspruchsvoller Fernsehserien. Damit läutete HBO nicht weniger als ein neues „goldenes Zeitalter“ des US-Fernsehens ein – von The Sopranos, Six Feet Under und The Wire bis zu Boardwalk Empire (ray 03/12), der Post-Hurrikan-Katrina-Serie Treme oder der jüngst mit Rekordzahlen on air gegangenen zweiten Season des Fantasy-Epos Game of Thrones (ray 11/11). „It’s not TV, it’s HBO“ heißt denn auch der selbstbewusste Werbeslogan des Senders, dessen Programme mittlerweile in mehr als 150 Länder verkauft werden. In über 60 Ländern gibt es HBO-(Partner-)Sender und entsprechende On-Demand-Angebote. Die jüngste HBO-Hitserie, vom Fachpublikum bei den sogenannten May Screenings in Los Angeles bereits heftig akklamiert, heißt The Newsroom, stammt von keinem Geringeren als Aaron Sorkin und ist in Österreich und Deutschland seit 25. Juni jeweils nur einen Tag nach ihrer US-Premiere in Originalfassung für Sky-Kunden zu sehen. Für das Launch-Event des neuen Serienkanals Sky Atlantic HD („The Home of HBO“) am 23. Mai, mit dem die Kooperation des US-Kultsenders mit Sky weiter intensiviert wurde, reiste HBO President Programming Sales Charles Schreger nach Hamburg, wo wir ihn zum Exklusiv-Gespräch im Hotel Atlantic Kempinski trafen.

Sie haben Ihre Karriere als Filmjournalist begonnen. Wie war das damals?
Charles Schreger: Ich war Journalist und arbeitete als freiberuflicher Autor, bevor ich meinen Job bei „Variety“ und später bei der „Los Angeles Times“ bekam. In den frühen Achtzigern schrieb ich für das Business- und das Kunst-Ressort über die Filme dieser Zeit. Ich schrieb eine Kolumne über das Filmbusiness, aber auch Kritiken, teilweise über wirklich wichtige Filme, wie beispielsweise The Deer Hunter.

Sie hatten damals hellseherische Fähigkeiten, denn Sie schrieben, dass dieser Film über Jahrzehnte analysiert werden würde – und behielten Recht.
Charles Schreger: Auch mit einer großen Exklusiv-Geschichte in der „New York Times“ über einen gewissen Film namens Alien erregte ich eine Menge Aufsehen.

Seit über 20 Jahren sind Sie nun bei HBO …
Charles Schreger: 1990 warb mich HBO für die Lizenzierung des eigenen Programms an. HBO ist eine Kombination aus Kinofassungen und Originalprogrammen. Was viele in Europa nicht wissen ist, dass die Kinofassungen, die im Grunde alle Studiofilme sind, rund 70 Prozent des Programms ausmachen. Etwa 30 Prozent sind unser Originalprogramm, das reicht von Serien, für die wir bekannt sind, bis hin zu Boxkämpfen.

Bringt Boxen das meiste Geld rein?
Charles Schreger: Nicht wirklich. Es ist einfach ein Sport, der eine sehr enthusiastische Anhängerschaft hat. Darüber hinaus produzieren wir Magazin-Shows, Comedy-Programme, Sportdokumentationen, drei bis vier HBO-Filme pro Jahr. Im Serienbereich produziert HBO jährlich ein oder zwei Miniserien und dann eben sieben bis zehn Serien. Die Serien sind das, was die Leute kennen. Das ist es, was dem Sender seinen Charakter gibt. Das lässt natürlich den Druck entstehen, dass wir immer ein wenig vor den anderen bleiben müssen. Ich würde behaupten, dass wir auf jeden Fall großartige Sachen gemacht haben, aber es gibt auch andere, die großartige Dinge machen. Ich könnte z.B. erwähnen, dass ich ein wenig besessen bin von Breaking Bad (AMC-Serie, Anm.). Könnte Breaking Bad auf HBO laufen? Ja. Würden wir es auf HBO laufen haben wollen? Ich weiß es nicht. HBO hat jedenfalls einige weit verbreitete Serien produziert und wirklich wichtige Kreative dazu bewegt, zum Fernsehen zu kommen. Martin Scosese beispielweise, David Benioff und Dan Weiss (Game of Thrones), Terence Winter, Aaron Sorkin, David Milch und viele andere. Hätte man all diese Leute nicht, wären diese Serien niemals produziert worden. Wir haben eine Verantwortung, die Dinge ein wenig besser zu machen als die anderen, denn bei uns zahlen die Menschen für das, was sie sehen.

Sie haben sicher von den Berichten gehört, nach denen die zweite Season von „Game of Thrones“ die am häufigsten raubkopierte HBO-Serie 2012 ist …
Charles Schreger: Das ist die Art von Show, die raubkopiert wird, weil die Leute so begeistert davon sind. Es gibt die eine Gruppe, die die Bücher gelesen hat und es kaum erwarten kann, die Serie zu sehen. Und es gibt eine andere, viel größere Gruppe, die nicht einmal zwingend eine Verbindung zu Fantasy hat. Ich bin ein gutes Beispiel. Ich schaue normalerweise keine Fantasy-Filme oder lese Fantasy-Bücher, aber Game of Thrones ist etwas, was einen anzieht. Das ist etwas, was die Leute sofort haben wollen. Sie lesen davon, sie wollen nicht warten, bis es über die normalen Kanäle herauskommt, und daher wollen sie es stehlen.

Wenn man sich die Rekordzahlen beim DVD-Verkauf der ersten „Game of Thrones“-Season ansieht – obwohl es die zweithäufigst raubkopierte Show 2011 war: Müssen Sie sich überhaupt Sorgen über Piraterie machen?
Charles Schreger: Piraten haben ja irgendwie etwas Romantisches an sich. Daher möchte ich klarstellen, dass Internet-Piraterie Diebstahl ist. In den USA kümmern wir uns verstärkt darum, überwachen die Piraterie. Außerhalb der USA ist es so, dass mehr und mehr Rundfunksender beschließen, dass sie unser Programm in einem kürzeren zeitlichen Abstand zu unserem Sendedatum ausstrahlen. Sie planen, uns wirklich nahe zu kommen. Wir haben uns vorbehalten, dass wir bei einer Weltpremiere mindestens fünf Minuten Vorsprung haben. Um mit der Piraterie zurechtzukommen, versuchen viele Sender, die Programme sehr zeitnah oder gleichzeitig mit den USA zu senden. Länder, in denen Englisch nicht die Hauptsprache ist, wollen das Programm synchronisiert senden, beispielsweise Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien. Es dauert aber eine ganze Weile, eine Serie zu synchronisieren. Immer mehr Sender hoffen, dass sie die Sachen sehr schnell synchronisieren können, was oft nicht einfach ist, weil wir die Shows nicht aushändigen. Nun häuft es sich, dass die Sender einfach die Originalversion mit Untertiteln ausstrahlen, um schneller senden zu können. Ich denke, dass es auch hier in Mitteleuropa so sein wird.

Mit Ihrer Geschäftsstrategie als Abosender ist es aber nicht möglich, die Serie in Ländern ohne HBO- oder HBO-Partner-Präsenz zeitgerecht und legal anzuschauen.
Charles Schreger: Das stimmt nicht ganz. Wir haben viele Absatzmärkte, bei denen es keinen HBO- oder Sky-Atlantic-ähnlichen Sender gibt. Viele Sender auf der ganzen Welt haben beispielsweise Game of Thrones, viele davon senden es zeitnah zu unserem Sendetermin – innerhalb von einer oder zwei Wochen. Es gibt HBO-Sender, die wir besitzen oder bedienen in Lateinamerika, Asien und Mitteleuropa. Und dann haben wir Sender wie Sky Atlantic HD – The Home of HBO hier in Deutschland und Österreich, einen in England, Israel, Neuseeland, und einzelne Abmachungen mit anderen Stationen, die Teile unseres Programms nehmen. Game of Thrones läuft z.B auf vier verschiedenen Kanälen in Frankreich.

Hat man angesichts des enormen Publikumserfolgs von „Game of Thrones“ einmal darüber nachgedacht, das strikte Lizenzierungsprinzip ein wenig aufzulockern?
Charles Schreger: Das ist eine lange, gewissermaßen historische Diskussion. HBO ist ein großes Unternehmen und macht sehr viele Milliarden Dollar mit Lizenzen und Programmen – und nicht nur damit, sondern vor allem, dass wir ein Netzwerk in den USA haben. Und wir sind nun mal ein Abo-Service. Wir sind langfristig mit Kabelunternehmen im Geschäft. Plötzlich um diese Kabelunternehmen herumzugehen und unser Programm direkt zu lizenzieren, wäre keine gute Idee. Wir machen es mehr Menschen zugänglich und verdienen mehr Geld, wenn wir es nach traditionellen Methoden verkaufen. Wir denken immer wieder darüber nach, wie es in Zukunft sein wird. Aber im Moment sind wir uns sicher, dass wir ein größeres Publikum für unsere Sendungen bekommen, wenn wir Verträge mit den Rundfunksendern dieser Welt machen.

Provokant gefragt: Wäre es irgendwann vielleicht eine Option, dass man für eine einzelne Serie zahlen kann, ohne HBO zu abonnieren?
Charles Schreger: Das wäre eine Definition von Kannibalismus. Unser Geschäft ist es, die Leute dazu zu bringen, unseren Service zu abonnieren. Nicht alle unserer Zuschauer schauen etwa Game of Thrones. Es gab auch eine Statistik, dass zwei von drei Leuten, die HBO abonniert haben, nie eine Episode der Sopranos gesehen haben. Die Idee, nur eine einzelne Sendung zu vermarkten, statt den ganzen Service anzubieten, wäre wohl für viele Leute nicht zufriedenstellend.

Steigen die Abonnentenzahlen?
Charles Schreger: Wir haben 30 Millionen Abonnenten bei 110 Millionen TV-Haushalten in den USA, also schlagen wir uns recht gut – Tendenz steigend. Einer der Gründe ist, dass wir eben viele qualitätsvolle Sendungen anbieten.

Wie sehen Sie das Potenzial für Sky Deutschland, Sky Österreich und Sky Atlantic HD, die Abonnentenzahl zu erhöhen?
Charles Schreger: HBO ist eine Marke, die bei Experten und Konsumenten bekannt ist, sie steht für Qualität und sagt den Leuten hier etwas. Ich denke also sehr wohl, dass diese verstärkte Kooperation eine Auswirkung haben wird.

Und welche anderen Märkte sind interessant für HBO?
Charles Schreger: Wir haben einen Sender in England, der auch Sky Atlantic heißt, so wie dieser hier. Wir können aber nicht überall alle HBO-Programme im Paket verkaufen, sodass wir HBO als Marke verwenden können, um die Konsumenten zu verlocken, den Service zu abonnieren. Es gibt andere Teile auf der Welt, wo HBO nicht so eine machtvolle Marke ist. Es gibt Fälle, bei denen die Rundfunksender entscheiden, dass sie keinen Zusammenschluss mit HBO kaufen wollen, sondern lieber individuelle Sendungen. Das ist für uns auch okay. Game of Thrones, um wieder dieses Beispiel zu nehmen, ist eine exzellente Serie, aber von uns aus muss sie nicht unbedingt als HBO-Serie angesehen werden.

Wollen Sie etwas über bevorstehende Programme erzählen?
Charles Schreger: Es gibt eine neue Show namens The Newsroom (vom gefeierten Drehbuchautor und The-West-Wing-Schöpfer Aaron Sorkin, in Österreich seit 25. Juni auf Sky), die im Sommer läuft. Es gibt einen Film, der in Cannes vorgestellt wurde, mit Nicole Kidman und Clive Owen – Hemingway & Gellhorn. Eigentlich sind große Teile unseres Programms erneuert worden. Wir haben True Blood, Boardwalk Empire, Game of Thrones, es gibt eine Comedy-Serie namens Girls von der gerade einmal 26-jährigen Lena Dunham. Sie ist ein großes Talent als Autorin, Produzentin, Schauspielerin. Girls wird vielleicht nicht viele Zuschauerinnen in Deutschland und Österreich haben, aber wir haben noch nie etwas gemacht, das wirklich versucht, Frauen zwischen 18 und 33 anzusprechen. Das ist also eine sehr signifikante Serie.

Was ist denn Ihre persönliche Lieblingsserie aus dem eigenen Haus?
Charles Schreger: Es gibt eine absolute Nummer eins auf meiner Liste, und die heißt The Wire. David Simon, das Genie dahinter, hat später Treme gemacht, eine Serie, die in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina spielt – auch das eine HBO-Produktion. The Wire ist eine der größten Serien aller Zeiten, es gab einen Kult rundherum, aber es war nie ein Massenerfolg. Treme ist ähnlich gut. Wird es so groß wie Game of Thrones? Nein. Wird es so groß wie The Wire? Mal sehen. Wir machen viele Serien, die die Menschen überraschen. Wir haben andere Kriterien als nur eine große Zuschauerschaft. Andere Rundfunkanbieter würden bei vielen Serien vielleicht nicht noch die zweite, dritte oder vierte Season zeigen. Wir schon. Wir unterstützen das Talent, die Tatsache, dass die Serien Aufsehen erregen, dass sie kritische Anerkennung bekommen. Wir machen viele mutige Sachen hier. Wir sind nicht an Zuschauerzahlen interessiert, sondern daran, die Kreativen und Begabten zu unterstützen.