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Looper

Den Kreislauf durchbrechen

| Roman Scheiber |

In „Looper“ frischt Regietalent Rian Johnson das Science-Fiction-Genre mit einer Mischung aus Zeitreise- und Auftragskiller-Film auf.

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Die Idee klingt, als wäre sie unter dem Einfluss mindestens weicher Drogen entstanden: Was, wenn es in Zukunft wegen ausgefeilter Tracking-Methoden nicht mehr möglich wäre, eine Leiche verschwinden zu lassen? Was, wenn die Verbrecher-Syndikate der Zukunft, zum Beispiel im Jahr 2074, jedoch Zeitmaschinen zur Verfügung hätten, mit denen sie ihre präsumtiven Opfer zu Auftragskillern 30 Jahre in die Vergangenheit befördern, wo diese dann spurlos ihr Werk tun? Und welche persönlichkeitsspaltenden Aspekte ergeben sich daraus, wenn ein Killer am Ende seines Auftragszyklus sein eigenes zukünftiges Selbst zur Erledigung zurückgeschickt bekommt, um selbst den Kreislauf zu schließen? Mit diesen und einigen anderen Fragen beschäftigt sich in visuell anregender Weise Regisseur Rian Johnson in Looper.

Kansas, 2044. Joe arbeitet als Looper, das Honorar ist nicht schwer verdient: Die Mafia-Opfer aus der Zukunft kommen kniend und verschnürt, mit einem Sack über den Kopf, müssen von ihm aus nächster Nähe erschossen, ihre Leichen entsorgt werden. Der Sold, in harter Silber-Währung der Einfachheit halber mit dem Opfer jeweils gleich mitgeschickt, soll Joe in Summe eine 30 Jahre währende Frühpension ermöglichen. Doch als ein mysteriöser, The Rainmaker genannter Boss des Jahres 2074 ziemlich viele Looper auf einmal in Rente schicken will, häufen sich die Komplikationen in der Gegenwart des Films. „Closing the Loop“ nennt man diesen Vorgang, dessen Bebilderung im Zentrum des Setups im ersten Akt des Films steht und der einen erzähllogisch nicht unraffinierten Kniff darstellt. Denn das konstante Kernproblem der Zeitreisemechanik im Erzählkino ist: Niemand kann die Vergangenheit ändern, ohne die Gegenwart zu beeinflussen. Wenn er aber, so wie hier, bloß zum sofortigen Sterben in die Vergangenheit geschickt wird, sollte er am Lauf der Geschichte nichts ändern können. Zumindest dann nicht, wenn der Looper sich an die Regel „Never let your loop run“ hält. Weil nun aber Old Joe (Bruce Willis) nicht einfach so von Young Joe (Joseph Gordon-Levitt in absurder, auf Bruce Willis hingetrimmter Maske) niedergestreckt werden will, wartet auf diesen jene äußere Flucht (im zweiten Akt) und innere Odyssee (im dritten Akt), die im Folgenden die Dynamik des Films ausmacht.

Ingeniöse Bildgestaltung

Seine nicht umkomplizierte Mechanik vermag Looper nicht allein mit Bildern zu manifestieren und im Verlauf auch nicht logisch durchzuhalten. Dennoch ist der Film in seinen drei divergent angelegten Akten so elegant konstruiert wie die Taschenuhr seines jungen Titelhelden, der uns in abgeklärter Coolness aus dem Off im ersten Akt erklärt, wie alles funktioniert. Wie jede gute Science Fiction beschäftigt Looper sich, in einer eigenwilligen Mischung aus „character driven“ und „plot driven“, in überraschendem Tempowechsel und ingeniöser Bildgestaltung, mit überzeitlichen Identitäts- und Gesellschaftsproblemen. Die Gegenwart des Films im Jahr 2044 ist – mit leisen Anklängen an Blade Runner (1982) und ein wenig auch an The Terminator (1984) – wohl eine dystopische, wird aber bewusst nicht wesentlich abweichend vom Heute gezeigt. Drogen verabreicht man sich in Form von Augentropfen, es gibt modische Schusswaffen, Hover Cars und Schwebe-Motorräder, die Kluft zwischen Arm und Reich und darob auch die Kriminalität ist offenbar weiter gestiegen.

Looper ist der dritte Langfilm des 38-jährigen, in Kalifornien aufgewachsenen Writer-Directors Rian Johnson. Mit seinem Langfilmdebüt, dem von Chandler und Hammett beeinflussten „High School Noir“ Brick (2005, mit Joseph Gordon-Levitt als studentischem Detektiv) errang er gleich den Spezialpreis der Jury in Sundance; 2008 drehte er die verrückte Abenteuerkomödie The Brothers Bloom, in der Adrien Brody und Mark Ruffalo zwei Trickbetrüger geben. Obwohl Johnson bislang (und auch bei seinem nächsten Projekt) stets vom Genre ausging, sieht er sich selbst nicht als Genre-Filmer. „Ich genieße die Arbeit im Genre, aber das ist es nicht, was meinen kreativen Prozess vorantreibt oder was ich spannend finde. Es sind die Themen und bestimmte Ideen, die in den Film Eingang finden. Ich könnte mir auch vorstellen, etwas anderes als einen Genre-Film zu machen“, sagt er in einem ausführlichen Interview mit „The Verge“, in dem es auch um die Zukunft des Kinos und um interaktive Web-Phänomene geht. (www.theverge.com/2012/8/30/3245174/rian-johnson-interview-looper-brick-future-of-film)

Do something new!

Die erste Idee zum Film hatte Johnson schon vor zehn Jahren, als er gemeinsam mit Langzeit-Kamera-Kollaborateur Steve Yedlin (der auch Looper fotografierte) einen ebenso billigen wie bizarren Kurzfilm namens The Psychology of Dream Analysis realisierte (http://vimeo.com/1559454). Laut eigener Aussage verschlang er damals alle Bücher von Philip K. Dick, außerdem sei er ein großer Fan von Ray Bradbury. In Interviews hat Johnson schon öfter geklagt, dass mit Ausnahme der Werke von Autoren-Blockbuster-Regisseuren wie Chris Nolan das Mainstream-Kino derzeit in seinen erprobten narrativen Konventionen feststecke. Wenn nun in Looper die Figur des Abe (Jeff Daniels), der Vermittler zwischen den Auftraggebern der Zukunft und den gegenwärtigen Vollstreckern, sich über die Krawatte seines Schützlings Joe mokiert („That’s 20th Century Style“) und Innovation fordert („Do something new“), dann klingt dabei auch Johnsons Credo durch, sich zeitgenössischen erzählerischen Herausforderungen zu stellen. Folglich versucht Looper selbst, den Kreislauf immergleichen Erzählens innerhalb der Genres zu durchbrechen. Er will vieles zugleich sein: Smarte Science Fiction, packender Action-Thriller, Melodrama, Erziehungsgeschichte, gewürzt mit einem Mystery-Element, wonach in der Gegenwart des Films zehn Prozent der Menschen wegen einer so genannten „TK-Mutation“ zur Telekinese fähig sind. Darüber, dass in dieser mutigen Fülle die eine oder andere narrative Schnittstelle wackelig bleiben muss, kann man locker hinwegsehen.

Zu den witzigsten Szenen von Looper zählt die Konfrontation der beiden Joe-Identitäten in einem Diner am Rand eines Kornfelds, wohin der Film sich in der zweiten Hälfte zusehends verlagert. Unweit davon begegnet der auf der Flucht verletzte Joe der allein stehenden Farmerin Sara (toll: Emily Blunt) und sieht sich in die Rolle eines zwischenzeitigen Ersatzvaters für deren kleinen, hochbegabten Sohn Cid (Pierce Gagnon) versetzt. Weder diese Familienerfahrung jedoch, noch die Erkenntnis, dass sein zukünftiges Selbst ein gnadenlos sturer alter Bock geworden ist, geben am Ende den Ausschlag zu seiner abrupten Wandlung. Stattdessen hat er, in einem humanistischen Twist zum Abschluss eines adrenalingesteuerten Finales, plötzlich eine Erleuchtung.

Erstaunlich, wie sich alle mitunter disparat erscheinenden Teile dieser „time travel tale“ am Ende doch zu einem mehr als intelligent unterhaltenden Ganzen fügen. In erfinderisch couragierter und nichtsdestoweniger massentauglicher Science Fiction daran messen lässt sich derzeit nur Duncan Jones (Moon, Source Code) – wie Johnson übrigens ein Twitter-Junkie, dem die Internet-Kommunikation mit Fans ein vergnüglicher, nicht mehr wegzudenkender Faktor des Filmemachens ist.