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Savages – Irgendwo in Mexiko

Irgendwo in Mexiko

| Jörg Schiffauer |

Mit „Savages“ hat Oliver Stone ein hochbrisantes Thema in einen rasanten Thriller verpackt. Die Hochform früherer Arbeiten vermag der Regisseur jedoch wieder einmal nicht zu erreichen.

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Seit mehreren Jahren findet Ciudad Juárez immer wieder Eingang in die Berichterstattung internationaler Medien. Der Grund, warum die sich an der Grenze zu Texas befindende mexikanische Provinzstadt mit 1,3 Millionen Einwohnern Gegenstand globaler Aufmerksamkeit wurde, ist ein erschreckender: Ciudad Juárez weist eine der höchsten Mordraten der Welt auf – allein im Jahr 2010 wurden 3111 Menschen Opfer von Gewaltverbrechen –, die zu einem großen Teil Auswirkung der Auseinandersetzungen der mächtigen Drogenkartelle ist. Die Stadt wurde damit zum Sinnbild für die beispiellose Gewaltspirale, mit der diese Kartelle ganz Mexiko seit geraumer Zeit überzogen haben. Die anwachsende Macht des organisierten Verbrechens, das staatliche Strukturen systematisch unterwandert und zum Erodieren bringt, einhergehend mit einer Verrohung der Gesellschaft – eine
dramatisierte Aufarbeitung eines derartigen Themenkomplexes erscheint für einen Filmemacher wie Oliver Stone geradezu maßgeschneidert zu sein. Kein anderer Regisseur verstand es in den achtziger  und neunziger Jahren dermaßen brillant, brisante Themen aufzugreifen und sie einem breiten Kinopublikum nahe zu bringen. Getrieben von einer nahezu manischen Wut auf gesellschaftliche und politische Missstände und formal oftmals hochgradig innovativ inszeniert, gelangen Stone Filme, die Spannungskino von höchster Qualität garantierten, ohne dabei jedoch ihre Anliegen zu trivialisieren.

In Savages sind die Konfliktlinien rasch etabliert. Im mondänen Laguna Beach betreiben Ben (Aaron Taylor-Johnson) und Chon (Taylor Kitsch) Anbau und Handel von hochwertigem Marihuana. Obwohl die beiden Männer höchst unterschiedliche Charaktere sind – praktizierender Buddhist und sozial engagiert der eine, ein ehemaliger Navy Seal der andere – verbindet sie eine intensive Freundschaft. Sogar die gemeinsame Liebe zu Ophelia (Blake Lively) stellt da kein Problem da, die Ménage-à- trois macht die Beziehung des Trios sogar noch perfekt. Doch das fröhlich-unbeschwerte Leben als Pusher gerät gleichsam über Nacht aus den Fugen, als ein mexikanisches Drogenkartell geschäftliche Kooperationen mit Ben und Chon einfordert. Ein vorab übersandtes Video, das von einer Kettensäge abgetrennte Köpfe zeigt, unterstreicht die Unmissverständlichkeit dieses Angebots. Doch die beiden versuchen zunächst auf Zeit zu spielen, ihre Organisation vorübergehend aufzulösen und sich nach Asien abzusetzen, bis sich die Dinge wieder beruhigt haben. Doch als das Drogenkartell, an dessen Spitze die charismatische Elena (Salma Hayek) und ihr gnadenloser Vollstrecker Lado (Benicio del Toro) stehen, Ophelia entführt, um die geforderte Zusammenarbeit zu erzwingen, wird Ben und Chon schnell klar, dass aus dem spielerischen Dealen nun buchstäblich blutiger Ernst geworden ist. Um ihre gemeinsame Geliebte aus den Händen von Elenas Verbrecherorganisation zu befreien, bedienen sich die beiden der Informationen des auf ihrer Lohnliste stehenden DEA-Agenten Dennis (John Travolta). Damit orchestrieren sie eine Reihe von Täuschungs- und Ablenkungsmanöver um dem Kartell beizukommen, doch die Mechanismen gegenseitiger Drohungen setzen die Spirale der Gewalt immer schneller in Bewegung, die Lage droht völlig außer Kontrolle zu geraten.

Oliver Stone hat Savages als rasanten Thriller in Szene gesetzt, der mit intensivem Colour grading visuell über weite Strecken an erfolgreiche TV-Serien wie CSI erinnert. Mit schnellen Schnitten, parallel entwickelten Handlungsfäden und einem extensiv eingesetzten Off-Kommentar inszeniert Stone einen Film, den man problemlos als gängige, streckenweise durchaus auch als überdurchschnittliche Genre-Arbeit klassifizieren könnte. Ruft man sich Oliver Stones Gesamtwerk jedoch wieder etwas genauer ins Gedächtnis, kann man eine solche Bewertung nicht als befriedigend gelten lassen.

Wütendes Gewissen der USA

Oliver Stone hatte sich Mitte der achtziger Jahre in Hollywood als Drehbuchautor bereits einen prominenten Namen gemacht (so hatte er u.a. die Scripts zu Alan Parkers Midnight Express, Brian De Palmas Scarface und Michael Ciminos Year of the Dragon verfasst), als er sich 1986 mit zwei Regiearbeiten als einer der aufregendsten und kontroversiellsten Filmemacher des US-Kinos dieser Zeit etablierte. In Salvador thematisierte Stone anhand der Erlebnisse des Journalisten Richard Boyle den furchtbaren Bürgerkrieg in El Salvador und kritisiert dabei offen die Politik der Vereinigten Staaten in dieser Region, die im Zug des Kalten Krieges sogar rechtsradikale Milizen stützte. Salvador beinhaltet bereits die wichtigsten Elemente, die Oliver Stones beste Arbeiten auszeichnen: narratives Kino von höchster Qualität und ungemeiner dramatischer Wucht, das sich kontroversieller Themen annimmt, seine Sache mit Leidenschaft vertritt und sich dabei nicht scheut, Position zu beziehen und eine klare Haltung zu zeigen. Salvador nimmt auch in Bezug auf zeitgeschichtliche Fakten manchmal eine subjektive Erzählperspektive ein, doch war es ohnehin nie Oliver Stones Intention ein distanziertes, „neutrales“ Doku-Drama in Szene zu drehen. Der Film erntete zwar jede Menge Kritikerlob, doch vor allem dem US-amerikanischen Kinopublikum war Stones Kritik ein wenig zu drastisch formuliert. Mit seiner Aufarbeitung des Vietnam-Kriegs, ein kollektives Langzeittrauma der Vereinigten Staaten, war der Erfolg jedoch weitgehend einhellig. Platoon ist vermutlich Stones persönlichster Film, er selbst hatte sich freiwillig zum Einsatz in Vietnam gemeldet, die von Charlie Sheen gespielte Hauptfigur Chris Taylor ist unschwer als Oliver Stones Alter Ego zu identifizieren. Platoon präsentiert wiederum keine ausgewogene Rückschau auf den Konflikt in Vietnam, sondern anhand seines Protagonisten, der sich vom naiven Idealisten zum desillusionierten, nur noch ums eigene Überleben kämpfenden Zweifler an der US-Politik entwickelt, jene Wandlung, die auch viele Bürger der USA in den sechziger und siebziger Jahren durchmachte. Es sprach für Oliver Stones Talent als Filmemacher, ein solch brisantes Thema – inklusive des Massakers von My Lai – in einer dramaturgisch populärkulturellen Form in Szene zu setzen ohne dabei in Banalität abzurutschen. Jeweils ein Oscar als Bester Film und für die Beste Regie war der verdiente Lohn und Oliver Stone einer der gefragtesten Regisseure Hollywoods.

Mit Wall Street, einer unverhohlenen Kritik an den zügellosen Auswüchsen der Reaganomics, konnte Stone ein Jahr später nahtlos an den Erfolg anschließen, die von ihm dabei geschaffene Figur des von Michael Douglas gespielten, skrupellosen Milliardenjongleurs Gordon Gekko erscheint angesichts der realen Finanzkrisen der letzten Jahre als geradezu prophetisch. Es erscheint immer noch ein wenig erstaunlich, dass Oliver Stones Filme sich trotz scharfer Kritik an diversen Missständen der US-amerikanischen Gesellschaft auch in den Vereinigten Staaten selbst so großer Popularität erfreuen konnten, Talk Radio (der rechtsradikale Tendenzen thematisierte) und Born on the Fourth of July (mit dem Stone erneut das Vietnam-Trauma aufgriff) bildeten da keine Ausnahme.

All diese Erfolge übertraf Stone jedoch 1991 mit dem Politthriller JFK. Wiederum wählte Stone einen reichlich subjektiven Zugang – im konkreten Fall basierte der Film auf den Ermittlungen des Staatsanwalts Jim Garrison – um sich dem Attentat auf John F. Kennedy, einem weiteren Trauma der USA, anzunähern. In einer formal kongenialen Mischung aus konventioneller Film-erzählung, Archivaufnahmen und Fake Footage bringt Stones Inszenierung die Schwierigkeit bei der Suche nach Wahrheiten ebenso auf den Punkt wie die kollektive Faszination, die von  Verschwörungstheorien ausgehen kann. Der Vorwurf, dass Stone historische Fakten nicht immer penibel eingesetzt hat, erscheint ein wenig merkwürdig, zielt doch JFK vielmehr darauf ab, die Erschütterung und psychologischen Narben, die das Kennedy-Attentat in der US-amerikanischen Gesellschaft hinterlassen hat, aufzuzeigen. Ein Nerv, den Oliver Stone mit seinem Film offenbar punktgenau getroffen hatte, führten doch die heftigen Reaktionen auf JFK schließlich dazu, dass der Kongress ein Gesetz verabschiedete, um die Untersuchungen zum Mord an Präsident Kennedy wieder aufzunehmen und zahlreiche bislang geheime Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Mit JFK war Oliver Stone endgültig zur kritischen Instanz der Vereinigten Staaten geworden. In Natural Born Killers (1994) thematisierte der Regisseur mittels einer hochgradig stilisierten Bildsprache die Faszination und Ambivalenz von medialer Gewaltdarstellung, ehe er mit Nixon (1995) sich wiederum einem Abschnitt der US-Politik zuwandte. Mit der in JFK erprobten formalen Gestaltung wird Richard Nixon, dessen umstrittene Präsidentschaft mit dem Watergate-Skandal höchst unrühmlich endete, in Oliver Stones Porträt zu einem tragischen Charakter von Shakespear’scher Dimension, dessen persönliche Abgründe
direkten Einfluss auf sein politisches Handeln nehmen und schlussendlich auch zu seinem Untergang führen. Nixon war ein weiterer Höhepunkt in Stones Gesamtwerk, doch es hat beinahe den Anschein, als hätte dieser kreative Kraftakt zu viel Energie gekostet. Denn seither versucht Oliver Stone vergeblich solche Höhen erneut zu erreichen. Nach dem noch durchaus gelungenen Thriller U Turn folgten routiniert-mediokre Arbeiten wie Any Given Sunday, World Trade Center oder das späte Sequel Wall Street: Money Never Sleeps, der Ausflug in den Monumentalfilm,
Alexander, geriet hingegen zum veritablen Desaster. Selbst das Porträt seines Lieblingsfeindes George W. Bush, W., war nicht mehr als ein respektables Biopic, bei dem man jedoch die Wucht und Brillanz von Nixon weitgehend vermisst.

Vergebene Chance

Savages hätte also allein aufgrund des brisanten, gesellschaftspolitischen Hintergrunds genügend Potenzial geboten, um Oliver Stone eine Rückkehr zur Hochform der achtziger und neunziger Jahre zu ermöglichen. Das Resultat ist letztendlich nicht mehr als eine handwerklich gediegene Genrearbeit, die jedoch nicht von jener wütenden Kraft durchdrungen ist, die in Stones früheren Filme in beinahe jedem Kader zu spüren war. Dabei kann man sich dem Eindruck nicht verweigern, dass Stone mit Savages durchaus einen großen Wurf beabsichtigt hat.

Denn natürlich wird deutlich, dass die unfreundliche Übernahme des eher idyllischen, regionalen Marihuanahandels durch das grenzübergreifende, brutale Drogenkartell auch als Metapher für das Agieren von nach globalem Einfluss strebendem multinationalen Konzernen gelesen werden kann. Dieser Subtext greift schlussendlich jedoch nicht wirklich, was auch daran liegen mag, dass Stones Inszenierung angesichts des eigentlich hochdramatischen Plots merkwürdig unentschlossen bleibt und zwischen Dramatik und stilisierter Überzeichnung ein wenig hängen bleibt. Das wird insbesondere in den von den Mitgliedern des Drogenkartells begangenen Gewalttaten und Folterungen evident. Durch das in diesen Sequenzen an Quentin Tarantino erinnernde Changieren zwischen Ernsthaftigkeit und Überzeichnung beraubt sich die Inszenierung letztendlich selbst des ansonsten plausibel aufgebauten Bedrohungsszenarios. Nun mag es nicht zwingend Aufgabe fiktionaler Arbeiten sein, gesellschaftliche Realitäten exakt abzubilden, doch der Brutalität, mit der Mexikos Drogenkartelle agieren – als Beleg sei hier nur an Gianfranco Rosis bedrückend-beeindruckende Dokumentation El Sicario, Room 164 erinnert – mit tarantinoesker Überzeichnung zu begegnen, zählt allein aus dramaturgischer Sicht vermutlich nicht zu Stones besten Entscheidungen. Vor allem aber kann man sich bei Savages des Eindrucks nicht erwehren, dass Oliver Stones Wut auf gesellschaftliche Missstände, früher treibende Kraft für seine Filme, einer beinahe routinierten Gelassenheit gewichen ist. Was immer die Ursache dafür sein mag, am gegenwärtigen Zustand der Welt kann es wohl am
allerwenigsten liegen.