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Viennale – Hommage an den Schauspieler Michael Caine

Die Kunst, an einer Säule zu lehnen

| Gerhard Midding |

Die Viennale feiert Michael Caine mit einer Hommage.

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Womöglich ist die Entspannung das kostbarste Gut für einen Filmschauspieler, jener Zustand der Gelassenheit, in dem er sich der Kamera furchtlos preisgeben kann. In dem Buch, das Michael Caine über sein eigenes Metier geschrieben hat („Weniger ist mehr“), hält er für junge Schauspielschüler eine ermutigende Botschaft bereit: Wenn er diesen Grad an Zugänglichkeit erreicht hat, dann könne ein Schauspieler sich darauf verlassen, dass die Kamera ihm einen Sympathievorsprung einräumt. Zeit seiner Karriere hat Caine von diesem Wohlwollen profitiert. Aber in seinem Buch und auf der Leinwand offenbart er uns, wie hart diese Entspannung jedes Mal neu erarbeitet werden muss.

Denn er ist ein Meister des Vorbehalts. Die Nonchalance, die er den unterschiedlichsten Rollen verleiht, ist trügerisch. Seine Augen sind trotz der schweren Lider wachsam. Seine Mimik, der ein Lächeln überraschend selten gelingt, kann sich urplötzlich wandeln. Eine Nuance, eine kleine Abweichung kann einen Abgrund eröffnen. Die Züge verzerren sich, die Nasenflügel zittern, er modelliert sie im Sekundenbruchteil zu einem bedrohlichen Haken. Das zuvor offene Gesicht wirkt nun boshaft und verschlagen.

Auf der Leinwand hat er nie ganz vergessen lassen, dass er als Maurice Micklewhite geboren wurde, wie sein Vater auf dem Fischmarkt arbeitete und wie er den Beruf des Schauspielers ohne Ausbildung zu meistern lernte. Das war in den frühen sechziger Jahren, als das New Cinema mit den von Albert Finney und Terence Stamp verkörperten Arbeiterklasse-Helden eine Alternative entdeckte zu den weihevollen Auftritten von Bühnendarstellern wie Laurence Olivier oder Ralph Richardson, die bis dahin formvollendete britische Schauspielkunst verkörperten.

Dennoch war Caines Starruhm ein unverhofftes Phänomen. Sein Geheimagent Harry Palmer war in The Ipcress File (1965) als Antithese zu James Bond angelegt: einer, der nur mit der eigenen Gewitztheit gewappnet war, der für sich selbst kochen musste (und es auch leidlich konnte) und dessen Gesicht immer etwas Unfertiges besaß, wenn er die Hornbrille abnahm. Aber die herausfordernden Blicke, die er seinen Partnerinnen zuwarf, wurden überraschend oft erwidert. Seine erotische Anziehungskraft bleibt nicht lange nur eine bloße Behauptung. Caines gelassene, kühle Selbstsicherheit machte in den Mittsechzigern seinen Mangel an herkömmlichem Sex Appeal wett. Der selbstgewisse Verführer, den der in Alfie (1966) spielte, war dann schon längst keine Travestie mehr. Der Film entlarvt zwar die verächtlich-bevormundende Art, wie sein Titelheld Frauen verführt, hält am Ende gar eine Moral von verfehlter Geborgenheit und Verbindlichkeit bereit. Aber fortan sollten Caines Figuren regelmäßig schelmisch-satyrhafte Züge besitzen. Als Schwerenöter erfüllte er im britischen Genrekino der ausgehenden Sechziger ebenso zuverlässig Männerfantasien wie einige Jahre später als unbestechlicher Racheengel im Gangsterfilm Get Carter (1971), auch wenn diese ungleich rabiater waren.

Schon früh versuchte Michael Caine, sich aus den Beschränkungen seines Cockney-Images zu befreien. Seine Figuren hegen mondäne Ambition. Im ersten Akt von Sleuth (1972) erscheint er noch als ungeschliffener Parvenü – er ist Sohn italienischer Einwanderer – und somit als willkommenes Opfer für den verächtlichen und bigotten Standesdünkel seines kultivierten Kontrahenten Laurence Olivier. Aber schon den zweiten Akt, seine erbarmungslose Revanche (die womöglich auch mit dem noch frischen Eindruck der Brutalität aus Get Carter kalkulierte), darf man getrost als vieldeutigen Triumph von Figur und Darsteller lesen. Wenn er jedoch, wie später nicht selten im Hollywoodkino, als Inkarnation britischer Weltgewandtheit besetzt wird, dann nie ohne Widerhaken. Seine Rolle als Heiratsschwindler, der in Dirty Rotten Scoundrels (1988) dem amerikanischen Gauner Steve Martin an der Riviera Savoir vivre und distinguiertes Auftreten beibringt, belegt diesen Zwiespalt. Die entscheidende Lektion, die er seinem Schüler erteilt, besteht darin, sich stilvoll an eine Säule zu lehnen.

Die Frage nach der natürlichen Eleganz – die im Falle Cary Grants ja gern dahingehend entschieden wird, dass er sich meist selbst spiele – ist bei Caine heikel. Indes, niemand trägt Strickjacken mit solcher Würde wie er – man schaue sich nur einmal Hannah and Her Sisters (1986) an. Seinen hochgewachsenen Torso hält er meist mit schlaksiger Arroganz gerade. Das kurze Innehalten, die noble Verbeugung erwecken den Anschein anerzogener Würde, sind aber meist nur deren strebsame Imitation. Hinter der Fassade von Weltläufigkeit kann er augenblicklich die schäbige, brutale Seite einer Figur hervorkehren. Kaum einem Schauspieler gelingt so bezwingend darzustellen, was es bedeutet, dass ein Leben nur mehr Abglanz ist – etwa als zynisch gewordener Auslandskorrespondent in The Quiet American (2002), einer großen Studie ausgezehrter Moral.

Insgesamt hat er in mehr als hundert Filmen mitgewirkt. Er war nie besonders wählerisch. Kein Schauspieler seines Rangs hat in derart vielen schlechten Filmen mitgespielt; ohne Reue und ohne dass sein Ruf ernsthaften Schaden nahm. Dieses Übermaß an undankbaren, lukrativen Engagements hat er nicht nur aus Liebe zum kostspieligen Wohlleben angenommen, oder um den Steuergesetzen seiner Inselheimat zu entfliehen. Selbst in missratenen Filmen zeigt sich sein ironischer Handwerkerstolz. Die Oscars, hat er einmal gesagt, würden immer für die falschen Rollen vergeben. Es sei ein Kinderspiel, eine brillant geschriebene Rolle zu spielen. Aber einer Figur in wirklich schlechten Dialogen noch Glaubwürdigkeit zu verleihen – das sei eine Übung, die er jedem Kollegen einmal empfehlen würde.