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We need to talk about Kevin

| Alexandra Seitz |

Unsichere Gratwanderung zwischen Psychodrama und Horrorfilm

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Kevin ist ein schwieriges Kind. Er war nicht geplant und eine schwere Geburt. Als Baby schreit er wie am Spieß. Dann wird er unergründlich, mutwillig, boshaft gar, destruktiv und verletzend. Eva, Kevins Mutter, schaut ihn an und sieht einen Fremden. Schon regt sich das schlechte Gewissen: Sollten Kind und Mutter einander nicht lieben? Was stimmt hier nicht? Und warum? Liegt es an ihr?

Eva, eine weltgewandte Reisejournalistin, hat ihren Beruf und ihr aufregendes Leben für die Kleinfamilie in der Vorstadt aufgegeben. Am Abend kommt der Mann, Franklin, nachhause und will nichts wissen vom schwierigen Verhältnis zwischen seiner Frau und seinem Sohn, die er doch beide liebt. Zumal Kevin ihm gegenüber ein freundlicheres Gesicht zeigt, gerade so, als wolle er Eva damit verhöhnen.

Mit We Need to Talk About Kevin – ihrem nach Ratcatcher (1999) und Morvern Callar (2002) erst dritten Spielfilm – verfilmt die schottische Regisseurin Lynne Ramsay den gleichnamigen, 2003 erschienenen Roman der gebürtigen US-Amerikanerin Lionel Shriver. Ramsay adaptiert Shrivers in Briefform verfassten Roman als filmischen Stream-of-Consciousness; das heißt, sie montiert Evas Gegenwart und ihre Erinnerungen zu einem Fluss visueller Eindrücke, der das Bewusstsein dieser Frau spiegelt, ihr unmittelbar nahe bleibt und keine wohlfeilen Erklärungen liefert für das, was geschieht und geschehen ist.

Denn Kevin, so stellt sich allmählich heraus, ist nicht einfach nur ein schwieriges Kind gewesen. Er ist zu einem pubertierenden Albtraum herangewachsen und hat eine monströse Tat begangen, für die sich kein Grund finden lassen will. Man sollte als Zuschauer auch nicht dem Trugschluss verfallen, sich Kevins Charakter mit mangelnder Mutterliebe zu erklären. Allenfalls das gemeinschaftliche Augenverschließen aller mag die Katastrophe heraufbeschworen haben. Und ohnehin sind im Kontext von verbrecherischem Kind einerseits und fassungslos ahnungslosen Eltern andererseits Schuldzuweisungen eher selten hilfreich.

Auch erweist sich Ramsays Entscheidung, dicht an ihrer Hauptfigur zu bleiben, als glücklich und richtig. Zumal Eva von Tilda Swinton gespielt wird, die als Totalschaden, den ein Sohn an seiner Mutter angerichtet hat, We Need to Talk About Kevin nicht nur trägt, sie rettet den Film über so manche dramaturgische Unebenheit hinweg und hält ihn in seinem Innersten zusammen.