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TV-Serien – Julia Louis-Dreyfus als VP in „Veep“

Die fast mächtigste Frau der Welt

| Julia Staudinger |

Für ihre launige Interpretation der US-Vizepräsidentin in der achtteiligen HBO-Comedy-Serie „Veep“ erhielt Julia Louis-Dreyfus einen Emmy. Im November auf Sky Atlantic HD.

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Selina Meyer könnte die mächtigste Person des Planeten sein, aber nur in jenem bedauerlichen Fall, dass der Präsident der Vereinigten Staaten das Zeitliche segnet. In jedem anderen Fall ist Selina Meyer US-Vizepräsidentin und somit – wie wir aus vielen Wahlkämpfen und dem politischen Alltag im Weißen Haus wissen – die Witzfigur der amerikanischen Innenpolitik.

Was liegt näher, als aus einer Witzfigur und ihrem Witzfigurenkabinett eine geniale Comedy zu machen? Und wer könnte das besser als ein Brite? So geschehen bei Veep – und das Ergebnis hält, was es verspricht. Armando Iannucci, seines Zeichens Officer of the Order of the British Empire und bereits Mastermind hinter der seriellen Politsatire The Thick of It (BBC seit 2005), hat als Autor und Produzent auch Veep seine unverkennbar britisch-böse Note verliehen. Die an den Stil einer Mockumentary angelehnte Serie fokussiert auf die Hauptfigur Selina Meyer, die mit ihrer plötzlichen staatstragenden Rolle als „Madame Vice President“ völlig überfordert ist und von einem ebenso überforderten Stab an Presseleuten und Beratern umgeben ist. Die ganze Truppe ist ein liebenswerter Haufen Loser, die mit Sicherheit in jedes sich bietende Fettnäpfchen am glatten Washingtoner Politparkett treten.

Selina Meyer (Emmy-gekrönt interpretiert von Julia Louis-Dreyfuss) ist ständig damit konfrontiert, dass sie zwar offiziell das zweithöchste Amt im Staate inne hat, tatsächlich aber von niemandem ernst genommen wird. In diesem Konflikt liegt das humoristische Potenzial der Serie, welches von den Serienmachern so genüsslich wie erbarmungslos ausgeschöpft wird. Selinas verzweifelte Versuche, in der „großen Politik“ mitzumischen, enden zumeist verheerend – aber selbst dann bleibt kein Auge trocken. Wie wenig sogar der Präsident – den man übrigens nie zu Gesicht bekommt – von seinem einstigen „running mate“ zu halten scheint, zeigt sich darin, dass seine Kontaktperson zum Office der Vizepräsidentin der offensichtlich größte Nerd des gesamten West Wings ist. So erntet Selina auf die Frage „Did the President call?“ regelmäßig ein Kopfschütteln ihrer abgebrühten Sekretärin.

Selinas Chief of Staff ist Amy Brookheimer (Anna Chlumsky). Sie ist jung, ehrgeizig und zu jedem Opfer für ihre Chefin bereit, dazu zählt auch das Vortäuschen falscher Schwangerschaften, wenn es die Situation und das Wohl der Nation erfordert. Ihr Rivale ist der supersmarte Dan (Reid Scott), der für seine Karriere und seinen persönlichen Vorteil über Leichen geht. Der blasse Pressechef Mike McLintock (Matt Walsh) versieht seinen Job wenig enthusiastisch, wenn nicht lethargisch. Selinas devoter Assistent Gary (Tony Hale) schließlich trägt ihr als „Body man“ sprichwörtlich alles hinterher, sagt von sich selbst „I am her moon“ und vervollständigt das Panoptikum schräger Vögel im Office der VP auf kongeniale Weise.

Wer hält die längere Rede?

Veep deckt schonungslos, darüber jedoch nicht weniger charmant die eigentliche Triebfeder der Politik auf: persönliche Eitelkeit. Wie schon im alten Rom geht es in erster Linie meist darum, wer wann und wo mit wem spricht. Wer die längere Rede hält, wer über die größere Limousinen-Eskorte gebietet. Und natürlich wer sich die bessere Schlagzeile in der „Washington Post“ ans Revers heften darf. Wie oberflächlich und inhaltsleer die ganze Sache bleibt, offenbaren die wunderbaren Reden und Interviews der VP, die immer mit dem schönen Satz „Politics ist about people …“ beginnen (und selbstverständlich auf der Veep-eigenen Homepage www.selina-meyer-veep.com nachlesbar sind).

Showrunner Armando Iannucci lässt seinem Cast viel Raum zum Improvisieren und nützt dessen komödiantisches Talent. Alle Schauspieler haben Comedy- und Improv-Erfahrung, allen voran Julia Louis-Dreyfus, die bereits für Ihre Rolle in der legendären Sitcom Seinfeld (die Serie gilt in Amerika als die „Mutter aller Comedys“) einen Emmy und einen Golden Globe erhalten hatte. Louis-Dreyfus gelingt es, die tragische Komik ihrer Figur mit der passenden Mischung aus Lächerlichkeit, Liebenswürdigkeit und Skrupellosigkeit auszugestalten. Ihre labile Tochter behandelt Selina alles andere als nett, sie kann auch ein Miststück sein. Doch wenn sie sich wieder einmal herzzerreißend bis auf die Knochen blamiert, ist man geneigt, ihr so manche Gemeinheit nachzusehen. Als der Präsident einmal über plötzliche Schmerzen in der Brust klagt, bekommt sie einen bittersüßen Vorgeschmack, was es heißen würde, wirklich an der Spitze zu stehen. Doch wie immer endet der Moment in einer mittleren Katastrophe.

Auch die völlig überbewertete Rolle der Spin-Doktoren und sonstigen Berater, ohne die im heutigen Politikbusiness scheinbar nix mehr geht, wird von Veep aufs Korn genommen. Es gibt nichts, was Selina nicht mit ihrem Team strategisch diskutiert – bis hin zur Frage, welche Sorte Frozen Yogurt es bei einem PR-Besuch adäquaterweise zu essen gilt. So lächerlich und banal das auch scheinen mag, verdeutlicht es doch das große Dilemma der Politik im Medienzeitalter: Wir wollen zwar echte, authentische Persönlichkeiten an der Spitze des Staates, aber anecken oder eine massenmedial unpassende Meinung zu vertreten oder Maßnahme zu setzen, ist politischer Suizid. Gerade in den USA zeigt sich immer wieder, dass ein falsches Wort, eine falsche Geste, ein paar Tropfen Schweiß oder auch nur die schief sitzende Krawatte bei einem Fernsehduell wahlentscheidend sein kann.

Mit Veep wagt HBO sich auf nicht ungefährliches TV-Terrain, denn die Staatsspitze war den Amerikanern bislang zumindest im Fernsehen sakrosankt. Sich über den Vizepräsidenten oder gar den Präsidenten lustig zu machen, hätte also auch schief gehen können. Doch nach all den staatstragenden und bierernsten White-House-Serien der jüngeren Jahre zeigt Veep einen erfrischend neuen Blick hinter die Kulissen der großen Politik – und kommt damit der Realität vielleicht näher als vermutet. Denn dass auch an den Schalthebeln der Macht oft nur überforderte, gestresste Menschen stehen, die unter Druck verrückte Dinge tun, ist sehr wahrscheinlich.

Zum Schluss sei der genialen Realsatirikerin und Ex-Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin gedankt, ohne deren Vorbildwirkung eine Comedy wie Veep wohl nicht erschaffen hätte werden können.