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Killing Them Softly

Killing Them Softly

| Jörg Schiffauer |

Gangster in der Krise: Andrew Dominiks „Killing Them Softly“ erweist sich als brillanter Noir-Krimi und als soziales Lehrstück.

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Drastischer könnte der Gegensatz kaum noch ins Bild gerückt werden. In der Eingangssequenz von Killing Them Softly tönt eine von Barack Obamas Reden aus dem Präsidentschaftswahlkampf 2008 aus dem Off. Vom viel beschworenen amerikanischen Traum ist da Rede, und vor allem vom immer wieder zitierten Schlagwort „Change“, das die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufrechterhalten soll. Doch zu sehen sind heruntergekommene, verwahrloste Stadtteile von New Orleans, die – die Stadt steht hier nur stellvertretend für andere Metropolen – ein deprimierendes Bild der USA zeichnen. Inmitten dieses von Hoffnungslosigkeit geprägten Umfelds leben – oder, präziser formuliert, hausen – Frankie (Scoot McNairy) und Russell (Ben Mendelsohn), zwei kleine Gauner, die rasch mit dem Attribut „ewige Verlierer“ assoziiert werden. Aufgrund eines Tipps eines befreundeten Ganoven entwickeln sie einen Plan für den ganz großen Coup: Frankie und Russell überfallen eine illegale Pokerrunde, bei der um hohe Einsätze gespielt wird. Die steht zwar unter dem Schutz des organisierten Verbrechens und gilt als tabu, doch man hat mit einem kleinen Gangster namens Markie Trattman (Ray Liotta) einen Sündenbock auserkoren, dem man den Überfall leicht in die Schuhe schieben könnte. Doch der vermeintlich sichere Plan verläuft natürlich nicht ganz so plangemäß. Das Syndikat nimmt den Überfall nicht einfach so hin, sondern beauftragt Jackie Cogan (Brad Pitt), die Täter ausfindig zu machen und, wie das in diesem Milieu üblich ist, die überaus handfesten Sanktionen durchzusetzen. Natürlich braucht Cogan, ein erfahrener „Enforcer“, nicht lange, um sich auf die Spur von Frankie und Russell zu setzen, und das in diesen Kreisen gepflogene Prinzip von Aktion und Reaktion nimmt seinen mörderischen Lauf.

Spiegelbilder

Andrew Dominik hat in Killing Them Softly zahlreiche Motive und Charaktere zum Einsatz gebracht, die einen Gangsterfilm klassischen Zuschnitts auszeichnen. Doch mit einer Klassifizierung als reine Genrearbeit – obwohl der Film auf dieser Ebene außergewöhnlich gut gelungen ist – wird man Killing Them Softly nicht gerecht. Denn Dominiks Inszenierung verwebt von Anfang an den Plot eines typischen Noir Krimis mit einer gesellschaftspolitischen Komponente, ohne dabei die Spannungsbögen auch nur im Geringsten zu beeinträchtigen. Das geschieht zunächst eher beiläufig, indem die 2008 um sich greifende Finanzkrise vor allem über Kommentare politischer Repräsentanten wie George W. Bush sowie die Präsidentschaftskandidaten Obama und John McCain, die aus jedem Fernseher oder Radio dröhnen, manifest wird. Doch nach und nach wird deutlich, dass die Halb- und Unterwelt, in der sich Killing Them Softly ausschließlich abspielt, ein Spiegelbild – wenn auch ein recht drastisch zugespitztes – der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen, die sich in den Vereinigten Staaten (aber auch in Europa) vollzieht, ist. In diesem kriminellen Kosmos stellen kleine Lichter wie Frankie und Russell das Prekariat dieser Halbwelt dar, die so ziemlich allem nachgehen – vom Raubüberfall über kleine Drogendeals bis zum Hundesitten –, um sich irgendwie über Wasser zu halten, jedoch trotzdem immer ganz unten bleiben. Die Mittelschicht in diesem Gefüge wird von Jackie Cogan repräsentiert. Der als tatkräftiger Manager seiner Profession dank seines Organisationstalents und seiner Energie alles scheinbar fest im Griff hat. Doch selbst in Cogans Branche greift die Wirtschaftskrise um sich. Als er etwa zur Unterstützung den Auftragsmörder Mickey (James Gandolfini) aus New York einfliegen lassen will, muss er zuerst mit seinem Auftraggeber um die Reisekosten streiten. Dass dies alles nicht ohne Spuren bleiben kann, wird Cogan anhand von Mickeys Auftreten deutlich vor Augen geführt: Der hat dem Druck seines Jobs schwer Tribut zollen müssen. Aus dem einstmaligen Enforcer vom Kaliber Jackie Cogans ist ein querulierender, nerviger Dampfplauderer mit einem gravierenden Alkoholproblem geworden – so jemand ist natürlich als professioneller Killer nicht mehr zu gebrauchen. Und auch an Cogan selbst beginnt sein Job zu nagen, er bevorzugt, aus der Entfernung zu töten, weil ihm die Schmerzensschreie und das Wehklagen seiner Opfer an die Nieren gehen: „I like to kill ’em softly. From a distance“, merkt er dazu trocken an. Zum oberen Abschnitt dieser sozio-ökonomischen Pyramide gehört der Mittelsmann (Richard Jenkins), der im Namen des Syndikats Cogan beauftragt und mit ihm finanzielle und logistische Details ausverhandeln muss. Doch auch der Mittelsmann steht unter dem Druck, den Spagat zwischen klagloser Erfüllung der Wünsche der stets im Hintergrund bleibenden Auftraggeber und die Lösung der Probleme der damit befassten Angestellten bewerkstelligen zu müssen.

Aufkeimenden Befürchtungen, Killing Them Softly könnte an metaphorischer Überfrachtung leiden, muss an dieser Stelle entschieden entgegengetreten werden. Denn auf der Genre-Ebene erweist sich Andrew Dominiks Inszenierung als höchst effektiv, die sich exzellent komponiert zwischen Milieustudie, Stilisierung und explizit drastischer Härte bewegt. Trotz gut konstruierter Spannungsbögen setzt Dominik jedoch nicht auf eine konventionelle, strikt lineare Dramaturgie, er bedient sich formaler Variationen, wie etwa den Einsatz ikonografischer Songs der Popkultur, die nicht nur Atmosphäre generieren, sondern auch narrative Funktionen übernehmen. Jackie Cogan wird etwa gleich bei seinem ersten Auftritt mehr als hinreichend durch Johnny Cashs „The Man Comes Around“ charakterisiert. Lange Dialogsequenzen hingegen dienen oftmals nicht primär dem Vorantreiben der Handlung, sie erweisen sich vielmehr als ein narratives Mäandern, das sich als Gegensatz zur dramaturgischen Effizienz gängiger Mainstream-Produktionen erweist.

Es muss was geben

Anlässlich der Premiere von Killing Them Softly beim diesjährigen Festival von Cannes meinte Andrew Dominik, dass mit der Verbreitung digitalen Materials das Independent-Kino erleichterte Produktionsbedingungen vorfinden und dies größere Chancen für Film-Auteurs mit sich bringen würde. Dies könnte, Dominik zufolge die Aussicht auf eine kreative Erneuerung des US-amerikanischen Kinos, gleichsam eine Neuauflage New Hollywoods, mit sich bringen. Nun mag man einer solchen Demokratisierung des Mediums aufgrund technischer Verfügbarkeiten durchaus berechtigt ein wenig skeptisch gegenüberstehen, ganz so einfach sollte man Dominiks These jedoch nicht vorschnell vom Tisch wischen.

Zwar ist die Ausgangslage nicht mit jener vergleichbar, die Ende der sechziger Jahre zu einem enormen kreativen Schub durch jene jungen Filmemacher, die als New Hollywood Filmgeschichte geschrieben haben. Doch es lässt sich nicht leugnen, dass sich seit etwa zehn Jahren im US-Kino Strömungen abseits des dominierenden Hollywood-Mainstreams entwickelt haben, die man nicht mehr nur als einzelkämpferische Leistungen klassifizieren kann. Neben der recht speziellen Independent-Variante des Mumblecore haben vor allem die dem Neuen Realismus zugerechneten Filmemacher für deutliche Impulse gesorgt. Auch wenn die Arbeiten von Debra Granik, Kelly Reichardt, Jeff Nichols, Matthew Porterfield oder Ramin Bahrani – um hier nur einige zu erwähnen – inhaltlich und stilistisch durchaus unterschiedlich sind, so eröffnen sie vor allem auch den Blick auf ein anderes Amerika, das sich oft als Schattenseite des propagierten „American Dream“ erweist. Dabei kann man nicht von einer gemeinsamen Bewegung im Stil der Nouvelle Vague sprechen, doch es erscheint plausibel, die Suche nach realistischeren Szenarien und Themen auch als Versuch zu verstehen, einen Ausweg aus der zunehmenden Konzentration der Filmindustrie auf spektakuläre Blockbuster und den damit einhergehenden kreativen Sackgassen zu finden. Diese Versuche beschränken sich mittlerweile nicht mehr auf Festivaleinsätze mit bestenfalls streng limitierten Kinostarts, mit denen sich impressionistische Miniaturen wie Francine oder Beziehungsdramen wie For Ellen – um zwei schöne aktuelle Beispiele für diesen Neuen Realismus zu nennen – leider immer noch begnügen müssen. Jeff Nichols etwa erweiterte mit Take Shelter, seinem Mix aus Paranoiastudie und Verschwörungsthriller, den Publikumskreis doch erheblich.

Realismus und Genrekino

Doch auch im Genrefilm selbst kann man ganz aktuell einen Versuch feststellen, sich um ein höheres Maß an Authentizität zu bemühen. David Ayers Cop-Thriller End of Watch tut dies, indem er aktuellen Seh- und Mediennutzungsgewohnheiten Rechnung trägt. Im Mittelpunkt seines Films stehen zwei junge Streifenpolizisten, die in South Central Los Angeles ihren Dienst versehen und sich dabei täglich einem Spannungsfeld zwischen Bandenkriegen, Drogendeals und Gewalt gegenübersehen. Eine beeindruckend visuelle Unmittelbarkeit erreicht Ayer, indem seine Inszenierung vorgibt, die Geschichte fast ausschließlich über von den Charakteren verwendeten Videokameras – wie etwa eine private Kamera des von Gyllenhaal gespielten Cops oder Überwachungskameras im Polizeiauto – zu vermitteln. Mit einer zwischen Found Footage, Homevideo und YouTube-Clips liegenden Ästhetik generiert End of Watch nicht nur ziemlich authentisch erscheinende Bilder, sondern bricht auch im narrativen Kino bewährte Sehgewohnheiten auf – so verzichtet Ayers Inszenierung mit ihren sehr subjektiven Kameraeinstellungen über weite Strecken auf Orientierung ermöglichende Totaleinstellungen, was dem hektischen Erzählduktus gekonnt Rechnung trägt.

Killing Them Softly hingegen orientiert sich formal enger an modernen Genrevorbildern. Den realen Konnex baut Regisseur Andrew Dominik zielstrebig auf, indem er die Welt des lokalen Gangstertums gleichzeitig als Metapher für real existierende ökonomische Verhältnisse etabliert und dies im Verlauf des Films wie in einem Brennspiegel zugespitzt zunehmend fokussiert. Diese Unterwelt ist dabei stets eine Art ambivalenter Mikrokosmos, der zwar irgendwie in sich geschlossen scheint und in dem jeder jeden zumindest vom Hörensagen kennt, der jedoch – wie eben in der globalisierten Welt – weitgehend äußeren Zwängen und Einflüssen ausgeliefert zu sein scheint. Die Protagonisten in Killing Them Softly sind in dieser Welt so fest eingefügt, dass sie deren Regeln nicht mehr hinterfragen oder gar versuchen auszubrechen. Wie Hamster in einem Laufrad strampeln sie sich mit ihrem brutalen Handwerk ab, obwohl es offensichtlich ist, dass sie sich nicht von der Stelle bewegen werden. Es geht nicht mehr darum vorwärts zu kommen oder ein langfristiges Ziel zu erreichen, sondern nur noch zumindest im Hier und Jetzt nicht ganz unten zu landen. Und man tut vom Zusammenschlagen missliebiger Zeitgenossen bis hin zum eiskalten Auftragsmord alles, um nur ja nicht zu den armen, am Boden liegenden Hunden zu zählen, die es – an Frankie und Russell wird dies demonstriert – immer als erste erwischt. Diese Einstellung, die sämtliche Charaktere teilen, zieht eine pragmatisch motivierte Gnadenlosigkeit nach sich, der jeder, der nicht mehr funktioniert, zum Opfer fällt.

Entsolidarisierung ist in Killing Them Softly zum Lebensprinzip geworden, die immer wieder zu hörenden Politikerreden, die die Gemeinschaft beschwören, verkommen zu sinnentleerten Textbausteinen. Jackie Cogan bringt es da schon treffender auf den Punkt: „I’m living in America, and in America you’re on your own.“