ray Filmmagazin » Drama » Quellen des Lebens

Quellen des Lebens

Quellen des Lebens

| Roman Scheiber |

Von schlechten Eltern: Oskar Roehlers Generationenfilm umspannt drei Jahrzehnte Nachkriegs-BRD als Hintergrundfolie für die Prägung eines Schlüsselkindes.

Werbung

Zu 28,75 Prozent autobiografisch“ nannte er seinen 2011 erschienenen Entwicklungsroman „Herkunft“. Oskar Roehler, 1959 als Sohn des „Gruppe 47“-Schriftstellerpaares Gisela Elsner und Klaus Roehler geboren, erzählt darin von der Vernachlässigung durch egoistische Eltern, von Verwahrlosung, von der Wärme im Haushalt des Nazi-Opas, von der Ehehölle der neureichen mütterlichen Großeltern, von Internatserfahrungen und von seiner ersten Liebe. Er erzählt schonungs- und selbstmitleidlos, ohne Scheu vor Peinlichem, mit einer Neigung zum Grotesken, wie er es in vielen seiner Filme getan hat. In Die Unberührbare (2000) beschrieb er wunderbar die letzten Lebensjahre seiner Mutter, von der er mit drei Jahren verlassen worden war. In Elementarteilchen (2006), seiner geistesverwandten Adaption von Michel Houellebecqs Abrechnung mit 68er-Müttern, galoppierte er durch die Tiefen menschlicher Abgründe, was im Rückspiegel ein wenig wie ein Präludium zu diesem Herkunftsfilm wirkt. Quellen des Lebens, parallel zum Roman entstanden, zielt nun aufs große Ganze.

So hölzern der Film beginnt – mit der späten Rückkehr des Großvaters (Jürgen Vogel) aus der Kriegsgefangenschaft, mit dessen zäher Wiedereingliederung und dem Aufbau einer Gartenzwergfabrik – so flüssig nimmt er an Fahrt und Farbe auf, sobald seine Eltern einander kennen lernen und sich gegenseitig am Schopf aus dem spießigen Sumpf der Nachkriegsjahre ziehen wollen, wobei ihnen bald der kleine Robert, der Ich-Erzähler, unterläuft. Roberts Vater (Moritz Bleibtreu) verliert literarisch allerdings bald an Boden, während die egomanische Mutter (Lavinia Wilson) mit ihrer Debütsatire „Die Riesenzwerge“ aus dem Stand zum Fräuleinwunder avanciert – und abhaut. Statt erzogen wird Robert im Schleuderwaschgang durch die in der Republik verstreute Familie gewirbelt.

Roehlers familienarchäologische Bohrung zeigt sehr schön, wie stark das Pendel zwischen den Generationen ausschlägt, wenn die Uhr plötzlich auf Stunde null steht. Das deutsche Wirtschaftswunder wird als materialistische Verdrängungsleistung sichtbar, die Sehnsucht nach einem Gesellschaftswunder kommt unter die Räder des millionenfach verkauften VW Käfer. Episch breit, mitunter tragikomisch, stilistisch kondensiert, komponiert Roehler in sinnlich-skurrilen Bildern die emotionale Umgebung als tonangebend für Kindheit und Jugend. Sich aus der Dreifachmühle zwischen Ex-Nazis, Neo-Bourgeoisie und Narzissten zu befreien, das ging nicht ohne Schaden – aber zu 71,25 Prozent zum Nutzen der Kunst.