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Edward Hopper – „Edward Hopper war kein Realist“ – Gustav Deutsch über seine filmische Annäherung

„Edward Hopper war kein Realist“

| Pamela Jahn |

Gustav Deutsch über seinen „Film Shirley – Visions of Reality″, über die Bilder Edward Hoppers, über Farben und Licht und über eine geplante Ausstellung rund um den Film.

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Shirley – Visions of Reality ist eine Geschichte in Bildern. Genauer gesagt: in 13 Gemälden, die der Wiener Filmemacher Gustav Deutsch aus dem Gesamtwerk des US-amerikanischen Malers Edward Hopper für sich entdeckt und auf der Kinoleinwand in einen eigenen, fiktionalen Zusammenhang gebracht hat. Ausgehend von den Räumen und Situationen, die die Kunstwerke vorgeben, erschließt sich die so geheimnis- wie sehnsuchtsvolle Titelfigur als eine engagierte Schauspielerin (Stephanie Cumming), die versonnen auf die Welt schaut, in der sie lebt. Zusätzlich zu den inneren Monologen, in denen Shirley nicht nur akribisch ihr privates Beziehungsleben analysiert, sondern ebenso aufmerksam über aktuelle politische wie gesellschaftliche Fragen reflektiert, wird jede einzelne Episode mit Ausschnitten von Nachrichtenmeldungen aus dem Radio begonnen, die ihre Gedankenwelt zur amerikanischen Geschichte der dreißiger bis Mitte der sechziger Jahre in Beziehung setzt. Die filmische Komposition, die sich behutsam an den surrealen Licht- und Farbstimmungen der Hopper’schen Ästhetik orientiert, besticht jedoch vor allem durch die Schärfe und Ausdruckskraft der Bilder, die sich mit jeder neuen Einstellung förmlich in die Leinwand einzubrennen scheinen. Der Film wird voraussichtlich im September in die österreichischen Kinos kommen.

Anders als bei Ihren bisherigen Filmen, die zumeist aus gefundenem oder gezielt gesuchtem, filmischem Material entstanden, setzen Sie sich in Shirley – Visions of Reality mit dem malerischen Werk Edward Hoppers auseinander. Man könnte meinen, Sie hätten damit eine ganz neue Richtung in Ihrer Arbeit eingeschlagen. Sehen Sie das auch so?
Was meine bisherigen Filme betrifft, muss ich sagen, dass Shirley für mich eigentlich kein Gegensatz, sondern eine sehr logische Fortsetzung ist, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Ich beschäftige mich nach wie vor mit der Phänomenologie des Films, der Kinematografie. Und ich habe für diesen Film für mich auch nichts anderes als 13 Kader gefunden, das heißt, das war für mich auch eine Art von Footage-Arbeit. Der Unterschied ist, dass das Ausgangsmaterial eben kein filmisches ist, sondern 13 Gemälde. Und aus diesen 13 Kadern, die für mich an sich schon eine Geschichte erzählen, habe ich dann eine längere fiktive Geschichte erfunden. Dabei geht es mir weder um den Maler Edward Hopper, also um seine Person, noch geht es mir um die Gemälde an sich. Sondern es geht mir ganz konkret darum, aus einem vorgefundenen Bild, das mir schon etwas erzählt und in das bestimmte Dinge eingeschrieben sind, das aber auch vieles offen lässt, also daraus eine filmische Interpretation zu machen, umzudeuten, so wie ich das auch in meinen anderen Filmen versucht habe. Film ist. 7-12 zum Beispiel besteht aus 191 verschiedenen Ausschnitten von Filmen, und diese wurden eben umgedeutet. Das heißt, ihr Zusammenhang wurde geändert, und das ist bei Shirley auch der Fall. Mit anderen Worten: Ich habe versucht, aus den Bildern Hoppers etwas herauszulesen, was vielleicht ursprünglich gar nicht so gemeint war.

In diesem Sinne erzählen Sie Ihre Geschichte auch nicht stringent, sondern sehr fragmentarisch. Zusammengehalten werden die Bilder allein von der Chronologie sowie den inneren Monologen der Hauptfigur.
Ja, das stimmt. Im Grunde ist das aber auch etwas, was Hoppers Bildern inhärent ist, denn er lässt seine Protagonisten und Protagonistinnen oftmals etwas beobachten, etwas sehen, was sie mit uns nicht teilen. Sie schauen aus Fenstern oder aus Türen. Sie hören etwas, von dem wir nicht wissen können, was es ist. Und zum Teil liegt darin die Faszination dieser Bilder, glaube ich, weil es eine hohe Identifikationsrate gibt. Denn man kann sich besser mit der Figur identifizieren, wenn man nicht weiß, was sie erlebt oder sieht, als wenn man es selbst sehen würde. Und in dieser Hinsicht ist es mir auch sehr wichtig gewesen, dass die Perioden, die ich aus Shirleys Leben erzähle, nicht vollständig sind. Das wäre in dem Fall auch gar nicht gegangen, denn dann hätte ich wenigstens aus jedem Jahr ein Bild gebraucht, damit man zumindest wüsste, was sie jedes Jahr ungefähr getan hat. Aber es gibt im Film Lücken von bis zu zehn Jahren, die man selbst füllen kann.

Die zeitliche Handlung erstreckt sich von Anfang der dreißiger bis Mitte der sechziger Jahre, allerdings spielen die einzelnen Episoden dann immer am gleichen Tag, am 28. August. Was steckt dahinter?
Die Jahre der Episoden sind immer an die Entstehungsjahre des Bildes angelehnt. Und nachdem die ausgewählten Gemälde alle im Sommer spielen, war es möglich, dass die einzelnen Szenen immer am 28. August spielen. Denn es ist eigentlich immer eine hochsommerliche Situation, die Hopper darstellt, bis auf kleine Details, bei denen man sich fragt, warum da jetzt jemand einen Pelz trägt, obwohl es heiß ist. Das Bild „Sun in an Empty Room“ hat Hopper 1963 gemalt, und am 28. August 1963 fand der Marsch auf Washington statt, die bislang größte Demonstration von African Americans für gleiche Bürgerrechte. Ein Ereignis, das nicht nur Amerika und seine Menschen verändert hat. Darauf wollte ich Bezug nehmen.

Haben Sie sich in Ihrer Recherchearbeit dann auch intensiver mit der Entstehungsgeschichte des jeweiligen Bildes auseinandergesetzt?
Die Entstehungsgeschichte der Bilder lässt sich ganz schwer recherchieren. Man weiß zwar, dass zum Beispiel „Western Motel“ in Erinnerung an eine Aufenthaltszeit in Kalifornien entstand, weshalb der Ort, den ich gewählt habe, auch Pacific Palisades ist, denn das war der Ort, an dem er sich damals mit seiner Frau aufgehalten hat. Also in dem Sinne habe ich schon recherchiert, aber ich habe nicht unbedingt noch intensivere Nachforschungen betrieben, was die konkrete Hintergrundgeschichte für dieses oder jenes Bild angeht. Das lässt sich, wie gesagt, auch sehr schwer nachvollziehen, weil er selbst zu seinen Bildern fast nichts erzählt hat. Er lässt uns eigentlich immer allein. Die einzigen Angaben, die wir haben, stammen eigentlich alle von Josephine Nivison, seiner Frau.

Das Faszinierendste an Shirley ist die Inszenierung der Gemälde auf der Kinoleinwand. Was war für Sie die größte Herausforderung bei der Transformation der Räume, der Farben und des Lichts von der Malerei in den Film?
Für mich war bei diesem Projekt von Anfang an klar, dass die Arbeit nur in einem Team stattfinden kann, in dem jeder und jede Beteiligte sich sehr stark mit diesem Thema auseinandersetzen muss. Ich habe mit Hanna Schimek seit 2005 an diesem Projekt gearbeitet. Sie ist Malerin, und wir haben von Anfang an überlegt, wie wir diese Farbenspiele – dieses Warm-Kalt-Verhältnis, das bei Edward Hopper ja sehr ausgeprägt ist – wie wir das überhaupt übersetzen können. Dazu kommt, was das eigentlich Spannende bei Hopper ist, nämlich dass er keine Wirklichkeit abbildet. Er ist also kein realistischer Maler in dem Sinne, dass man das dann wiedererkennen könnte, was er gemalt hat, sondern es handelt sich um Versatzstücke. Er benutzt beispielsweise zwei, drei Sonnen, die dann in einem Bild zwei Lichtflecken werfen, die realis-tisch überhaupt nicht möglich sind. Das heißt, es gibt da ein Fenster, und dann gibt es am Boden ein Licht und an der Wand ein Licht. Und man akzeptiert das, wenn man hinsieht – man glaubt ihm. Die Schwierigkeit ergibt sich, wenn man versucht, das umzusetzen, also im Studio nachzubauen oder eben auch zu malen. Dann stößt man ganz leicht an Grenzen. Denn wenn Hopper etwa einen gelben Sonnenfleck malt, dann heißt das noch lange nicht, dass die Wand daneben logischerweise dunkelgelb ist, weil Schatten auf sie fällt, sondern sie ist bei Hopper eben grün, auch wenn das nicht der Wirklichkeit entspricht.

Wir haben gemeinsam mit Jerzy Palacz, dem Kameramann, und dem Oberbeleuchter Dominik Danner sehr früh entschieden, dass wir Schatten oder Licht nicht malen, sondern dass wir das Licht inszenieren und akzeptieren, was es mit der Farbe macht. Hanna und ich hatten zunächst sehr viele Kataloge durchgeschaut, mussten dann aber feststellen, dass die Abbildungen völlig unbrauchbar waren. Also alles was reproduziert ist, gedruckt ist – und das betrifft nicht nur Edward Hopper – ist einfach nicht verwendbar, weil man nicht weiß, was davon stimmt. Wir sind nach Amerika gefahren und haben in Museen mit einer Farbfächerkarte die Farben selbst abgenommen. Und Hanna hat dann daraus zum Beispiel für eine Wand – die sich bei Hopper wiederum aus sechs, sieben Farben zusammensetzt – die Farbe gewählt, die dieser Kombination am ehesten entspricht. Und sobald diese Farbe dann am Set aufgetragen war und der erste Scheinwerfer darauf fiel, der wiederum einen Gelbfilter hatte, weil das für die Haut der Schauspieler wichtig war, da sah wieder alles anders aus, und wir mussten innerhalb kürzester Zeit noch einmal alles ummalen. Also wir haben uns mit der Farbgestaltung und -veränderung eigentlich bis zum letzten Moment der Licht- und Farbbestimmung im Studio befasst.

Gab es je einen Moment, wo Sie gezweifelt haben, ob die Realisierung des Projekts nach Ihren Vorstellungen und künstlerischen Maßstäben überhaupt möglich ist? Oder war es ein Lernprozess, der Sie vorangetrieben hat?
Seit ich damals 2004 im Museum Ludwig in Köln die Hopper-Ausstellung gesehen hatte, habe ich mir immer gedacht, falls ich jemals einen Film machen sollte, der sich nicht auf filmische Ausschnitte bezieht, sondern auf etwas anderes Gefundenes, dann habe ich hier meine Vorlage. Hopper war ja selbst sehr vom Film noir beeinflusst. Vor ihm hat eigentlich niemand solche Sujets wie Büros gemalt. Dabei kommt er ja eigentlich von der Illustration. Er hat, bevor er sein erstes Gemälde ausstellte, fast 20 Jahre lang als Illustrator gearbeitet, und das sieht man den Bildern auch an, obwohl er seinen Beruf gehasst hat. Aber man sieht es trotzdem, und man sieht es auch an den Themen. Und diese Themen kommen eben mitunter aus dem Film, so wie auch die Wahl der Ausschnitte, die ganz oft Kamerapositionen einnehmen. Oder die Wahl des Lichts, die harten Schatten, das ist auch etwas, was oft im Film noir verwendet wird. Andersherum hat Hopper durch seine Bilder viele Filmemacher beeinflusst. Und darum ist er für mich auch so interessant und wichtig gewesen als Möglichkeit, einen Film darüber zu machen, weil er in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Rolle gespielt hat. Und ja, es war ein permanenter Lernprozess – für alle Beteiligten, denke ich.

Wie sind Sie, von den Bildern ausgehend, an die Gestaltung der Hauptfigur herangegangen?
Hoppers Protagonisten und Protagonistinnen sind gewissermaßen kommunikationsarm, einsam. Vor allem die Einsamkeit der Großstadt wird bei ihm immer wieder stark thematisiert. Denn seine Hauptwerke sind in einer Zeit entstanden – Zweiter Weltkrieg, Kriegsjahre, Depression –, die nicht nur in Amerika alles auf den Kopf stellte und die nicht nur das Land und die Menschen langfristig verändert hat, sondern die Menschheit an sich. Mir ging es darum, das im Spiegel einer Person zu zeigen. Sobald ich entschieden hatte, dass Shirley von Beruf Schauspielerin sein sollte, war auch klar, in welche Richtung ihre Reflektionen gehen würden. Und dass sie beispielsweise Mitglied des New Yorker Group-Theatre wird, das sich am Anfang sehr politisch entwickelte, bis zu dem Punkt, als einige Mitglieder, von denen viele Kommunisten waren, nach Hollywood abgeworben wurden. Dort hat man sie dann vor Gericht gezerrt und letztlich gezwungen, ihre Kollegen und Kolleginnen zu verraten, um ihre eigene persönliche Karriere zu sichern. Mir war es wichtig, solche Sachen anzusprechen, die damals prägend waren für die Zeit und für die Menschen in Amerika.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Nachrichtenmeldungen ausgewählt, die als Überleitung beziehungsweise Einstimmung auf das jeweils neue Bild dienen?
Die Idee dazu ist entstanden, als ich John Dos Passos’ Amerika-Trilogie gelesen habe. Das ist auch ein Collagen-Roman, der in keiner Weise linear verläuft, sondern mit Versatzstücken arbeitet, so wie bei Edward Hopper. Darin gibt es auch eine Seite mit lauter Tagesnachrichten, oft sind es banale Meldungen, oft aber auch politische Meldungen, und das hat mich sehr inspiriert. Und dann habe ich mich hingesetzt und versucht zu überlegen, was Shirley in der Zeitung lesen würde, was ihr da vielleicht auffallen würde, und das habe ich dann mit Dingen, die mir aufgefallen wären, kombiniert.

Ist für Sie die Auseinandersetzung mit dem Dialog von Malerei und Film nach diesem langjährigen Projekt nun erst einmal abgeschlossen?
Der Film ist zwar jetzt erst mal fertig und muss nun sehen, wie er selbständig weiterkommt, was schwierig genug ist für jemanden, der sieben Jahre daran gearbeitet hat. Aber es geht indirekt auch weiter, weil Hanna Schimek und ich an einer Ausstellung arbeiten. Wir haben alle Sets, alles, was gebaut wurde, für eine eventuelle künstlerische Präsentation im Museum aufgehoben, und wir arbeiten nun gemeinsam an einer möglichen Umsetzung des Themas. Denn es geht ja nicht darum, die Ausstellung als Dokumentation des Films zu zeigen, sondern es geht uns eher zum Beispiel um Fragen wie: Was ist eine Kopie? Wie macht man das, wenn man einen kleinen Ausschnitt aus einem Gemälde nimmt, der ursprünglich 50 x 70 Zentimeter groß ist, und der dann im Film 5 x 6 Meter groß gemalt wird? Was ist eine Replikation, und wie geht man damit um? Das wird ganz sicher ein Thema der Ausstellung.

Was konkret ist Ihre Aufgabe dabei?
Wir erarbeiten die Ausstellung gemeinsam, und es gibt auch die Idee, dass der Film nicht linear, sondern vielleicht in Episoden gezeigt werden kann, oder dass wir drei, vier oder fünf dieser Sets wieder aufbauen und mit Licht und Ton bespielen. Es gibt eine Installationsversion des Films, bei dem einzelne Episoden etwas länger sind. Denn der Film funktioniert natürlich anders, wenn er 90 Minuten lang ist, als wenn man die Episoden für sich nimmt. Man kann da schon noch ein bisschen weitergehen. Es gibt demnach eine weitere Version von Shirley, an der ich arbeite – es bleibt also spannend.