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Meine keine Familie

| Roman Scheiber |

Mutige, kluge und tief bewegende Aufarbeitung einer Kindheit in der Mühl-Kommune am Friedrichshof

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Dem Urheber dieses Films ist Respekt zu bekunden. Für den Mut und für den Willen, sich persönlich in der Öffentlichkeit zu exponieren, obwohl er als Kind zur öffentlichen Selbstdarstellung in einer Großkommune genötigt wurde. Für das Bewerkstelligen des aufwändigen und durchaus therapeutischen Projekts, obwohl seine Kindheit einer ziellosen Zwangstherapie gleichkam. Für die gelungene filmische Umsetzung – in der sich Persönliches und Gesellschaftspolitisches beispielhaft verklammert –, obwohl oder gerade weil das kreative Talent des Regisseurs sich damals ausschließlich malerisch entfalten durfte.
Paul-Julien Robert wurde 1979 in die Kommune des Wiener Aktionisten Otto Mühl hineingeboren. Das Anfang der siebziger Jahre gegründete, in seiner Blütezeit bis zu 600 Menschen starke europäische Netzwerk hatte sein lokales Zentrum am Friedrichshof in der Parndorfer Heide, sein geistiges aber im Kopf eines radikalen Künstlers. Mühl versammelte eine Herde gutgläubiger, deutlich jüngerer Gefolgsleute um sich, um an ihnen ein lebendes Kunst-Exempel zu statuieren. Paul und andere Kommunenkinder, denen er bis heute freundschaftlich verbunden ist, waren von keinen Vätern umgeben. Stattdessen gelenkt von einer allmächtigen Übervaterfigur – von der sie sich, wie Meine keine Familie beweist, Beklemmendes gefallen lassen mussten. Dennoch ist der Film keine einseitige Schuldzuweisung. In seinem klugen Aufbau führt er vielmehr vor Augen, wie ein kollektives Experiment scheitern musste. Die häufig aus autoritären Kleinfamilien stammenden Kommunarden ließen sich blenden vom Charisma eines scheinbaren Freigeistes, dessen Antlitz in den Archivbildern allmählich kenntlich wird: eine offenbar ziemlich beschädigte Person, die andere indoktriniert, Frauen herabwürdigt, Kinder nach Belieben beurteilt und zur Anpassung zwingt, systematisch manipuliert und mitunter züchtigt – im Grunde der größte Patriarch von allen (dabei wird Mühls sexuelle Zurichtung Minderjähriger bewusst nur gestreift). Das Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis einer Sozialutopie wird evident, die Frage nach der Mitverantwortung der an ihr teilnehmenden Menschen gestellt.
Bei seiner Familienforschungsreise stand Robert erstmals freigegebenes Archivmaterial zur Verfügung. Zunächst als Suche nach seinem juristischen Vater angelegt, entwickelt sie sich immer mehr zum Kamera-katalysierten, emotionalen Dialog mit der eigenen Mutter. Meine keine Familie, vom Team der Freibeuter Film um Oliver Neumann kreativ unterstützt, darf als Pflichtlektüre gelten für alle, die Wesentliches über die Folgen bewusster und unbewusster Überbehütung, Deformierung und Vernachlässigung von Kindern durch ihre Eltern erfahren wollen. So manchem könnte ein Licht aufgehen.