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To The Wonder – Ein Bett im Kornfeld

Ein Bett im Kornfeld

| Daniela Sannwald |

In „To the Wonder“ zieht Terrence Malick alle Register der großen Kitschorgel.

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Es gab Hinweise, schon vor 35 Jahren, wohin es mit Terrence Malick einmal führen würde, aber weil er ausgerechnet dann das Filmemachen für zwei Dekaden einstellte, hat eine ganze Generation von Cinephilen darüber gerätselt, warum das so war und ob er vielleicht doch noch einmal – und dann mit Aplomb – aus der Versenkung auftauchen würde. Man traute Terrence Malick nichts Geringeres als ein Jahrhundertwerk zu und war dann fast unisono bereit, den Kriegsfilm The Thin Red Line (1998), mit dem er nach 20 Jahren wieder als Regisseur in Erscheinung trat, wenigstens als wichtigsten Film der Neunziger anzuerkennen.

Aber davor gab es Days of Heaven (1978). Und auch wenn der Film als Meisterwerk gefeiert wurde, zeigte er doch ziemlich deutlich, was den 1943 geborenen, öffentlichkeitsscheuen und schon deshalb mythisch verklärten Regisseur bis heute umtreibt: Grashalme und Getreide, Detailaufnahmen von Blüten und Ähren, Insekten, Fischen, Vögeln. Da wogte es im Kornfeld, das dann und wann zum Liebeslager wurde, da rasten Wolken unterm blauen Himmelszelt entlang, da plätscherte der Bach und knackte das Holz, da wurden die dominierenden Naturaufnahmen zur Metapher für die Leidenschaften der drei Protagonisten. Und der schwülstige deutsche Verleihtitel In der Glut des Südens wurde dem Sujet und seiner audiovisuellen Zurichtung sogar eher gerecht als der auch nicht gerade nüchterne Originaltitel.

Die große Liebe

Seither kribbelt und krabbelt, stürmt und tost, weht und wabert es in Malicks Filmen, und wenn es in The Thin Red Line nicht so viel Blut, in The New World (2005) nicht so viele Native Americans und in Tree of Life (2011) nicht so viel Brad Pitt gegeben hätte, dann wären die Malick-Fans sicher früher darauf aufmerksam geworden, dass allein mit naturmystischem Raunen noch keine Geschichte erzählt ist. Das merken aber wohl selbst die hartgesottensten Proselyten des mythischen Filmemachers jetzt. Es geht um die Liebe in To the Wonder, um die einzige, geheimnisvolle, große Liebe zwischen Mann und Frau, um die Liebe zu Gott und die Liebe Gottes, womöglich um interkulturelle Unterschiede, um die Schwierigkeiten europäischer Einwanderer, sich in der US-amerikanischen Provinz zurechtzufinden, aber vielleicht ist das bereits eine Überinterpretation. Die handelnden Personen sind Neil, der Mann; Marina, die französische Frau; Jane, die amerikanische Frau, und Pater Quintana, der Hispano-Priester, der den dreien gelegentlich in der Kirche begegnet, ansonsten aber seiner eigenen Wege durch die Armenviertel der Kleinstadt geht.

Terrence Malicks Film ist dialogarm; gemurmelte Voice-over-Monologe der vier Protagonisten offenbaren, was sich in ihrem Inneren abspielt, während die fast durchwegs mit der Steadycam gefilmten Bilder sich mal verwischt, mal grobkörnig, mal in Zeitlupe, mal gekippt präsentieren. In linearer Form beschrieben, geht die Handlung etwa so: Marina, die eine Tochter hat, und Neil leben die große Liebe, zuerst in ihrer Heimat Frankreich, dann in den USA, wo er zu Hause ist. Dort holt sie der Alltag ein. Marina und Kind gehen nach Frankreich zurück, während Neil sich seiner Schulfreundin Jane zuwendet, ohne sie jedoch so zu lieben, wie sie es gern hätte. Nachdem Marina in Paris gescheitert ist und ihr Kind bei dessen Vater abgegeben hat, gibt es einen Neuanfang mit Neil. Die beiden heiraten und leben wieder in den USA zusammen. Aber das große Glück stellt sich nicht noch einmal ein; Marina sucht Trost bei Pater Quintano, der allerdings auch nicht so richtig weiß, wie er ihr oder überhaupt irgendjemandem helfen soll. Ihm gehört der lange Schlussmonolog. Er endet mit der Feststellung, dass die Menschen geschaffen seien, um Christus zu erkennen.

Wenn es etwas zu bewundern gibt an To the Wonder, dann die Tatsache, dass es Malick gelungen ist, in jeder einzelnen Szene mindestens ein visuelles Klischee unterzubringen. Entstanden ist eine Art filmische Enzyklopädie des Liebeskitschs. Und als ihm schließlich die Motive ausgingen, hat er sie einfach variiert. Das geht dann so: Dunkelhaarige Frau tanzt auf Frühlings-, Sommer- oder Herbstwiese und am winterlichen Strand. Blonde Frau hüpft über Felder oder Äcker oder Pferdekoppel. Kleines Mädchen hüpft auf dem Schulhof, im Zimmer oder im Park. Weibliche Wesen hüpfen und tanzen überhaupt immer. Es sei denn, sie sind alt oder krank oder arm, dann strecken sie einem Priester die Hände entgegen. Leichtigkeit und Hingabe, Flüchtiges und Schweres. Man muss annehmen, dass der Regisseur hier stellvertretend für die Männer, ob sie das andere Geschlecht lieben oder Gott, auf die Frauen schaut: so zarte, entzückende Wesen, so zerbrechlich und doch – auch stark!

Ausgestreckte Hände

Entsprechend hat Malick seine Schauspielerinnen ausgewählt: Olga Kurylenko als Marina und Rachel McAdams als Jane, die sich abwechselnd um den männlichen Helden bemühen, verfügen über langgliedrige, biegsame Körper, elegante Bewegungen und kindlich-hübsche Gesichter mit aufgeworfenen Lippen, Stupsnäschen und großen, schimmernden Augen. Beide tragen die Haare lang und offen, damit der Wind damit spielen und ihnen die Strähnen ins Gesicht wehen kann, oder gar allerlei Flechtwerk rund um den Kopf. Klar, dass die etwa zehnjährige Tatiana Chiline, die Marinas Tochter spielt, diesen Frauentyp en miniature repräsentiert.

Gekleidet sind alle drei überwiegend in Blau-Grau-Weiß-Beige-Kombinationen, wie sie in teuren Badeorten mit Vorliebe getragen werden; bei der Farmerin Jane kommen noch Erdtöne dazu. Marinas Garderobe wird durch eine Unmenge von Chiffontüchern ergänzt, die um sie herum wehen, sie trägt Ballerinas oder läuft barfuß, und sie umarmt sich gern selbst, sogar beim Zähneputzen. Ständig ist sie dabei, etwas zu berühren, stellvertretend für den Mann, an dessen Herz sie nicht herankommt, und man denkt, wenn sie stattdessen endlich einmal den Inhalt der Kisten im amerikanischen Haus in die Hand nähme und die Zimmer einrichtete, wäre der Liebe womöglich mehr gedient als mit Versteckspiel hinter dünnen Gardinen. „Wenn du mich liebst, brauche ich nichts anderes“, lässt Malick sie wider alle Empfehlungen aus jedem beliebigen Beziehungsratgeber barmen, und dann streckt sie schon wieder die Arme nach dem Sommerhimmel aus.

Da die Protagonisten kaum miteinander sprechen, agieren sie stärker physisch, und man kann darüber nachdenken, welche Regieanweisungen Malick seinen Darstellerinnen wohl gegeben haben mag. Hat er sie tatsächlich gebeten, unablässig die weiten Röcke zu schürzen und sich drehend und springend, tänzelnd und mit Tüchern tändelnd, über Wiesen zu bewegen? Oder hat er ihnen nahegelegt, sich in die große Liebe hineinzufühlen und das zu tun, was ihnen dann einfällt? Man mag weder das eine noch das andere glauben, denn erwachsene Menschen müssen doch, so denkt man, andere Ausdrucksmöglichkeiten haben, als mit Blättern zu spielen, Vögeln hinterherzulaufen und den Morgentau von knospenden Zweigen zu lecken? Oder, wie in einer Innenszene, sich vor lauter Ausgelassenheit Lampenschirme auf den Kopf zu setzen und auf der Matratze Trampolin zu springen? Und dabei sind sie schön, so schön! Und das könnte immerhin ein Grund sein, sich für ein solches Projekt zur Verfügung zu stellen. Das Frauenbild aber, das von Malick als Autor und Regisseur präsentiert wird, ist die Projektion eines 70-Jährigen, der den Anschluss an die Gegenwart verloren hat.

Leere

Die Männer, die in To the Wonder ähnlich ziellos wie die Frauen umhertaumeln, werden von den äußerst respektablen Schauspielern Ben Affleck und Javier Bardem gespielt. Ersterer ein Ingenieur, der Gewässerproben entnimmt, um die Bodenqualität zu testen – in wessen Auftrag und zu welchem finalen Behufe bleibt ungeklärt, letzterer der Priester, der den Armen und Geschlagenen in seiner kleinen amerikanischen Gemeinde Trost spendet. Auch sie aber haben hauptsächlich gut auszusehen: Ben Affleck stapft in Gummistiefeln durch Bachläufe und Flussbetten, er reckt den Hals nach in den Himmel ragenden Kränen und allerhand Maschinen mit vertikaler Ausrichtung; er lässt die Kiefermuskeln spielen, er streift sich das Hemd vom wohl definierten Torso. „Es ist schwierig, derjenige zu sein, der weniger liebt“, sinniert er. Und einmal, als Jane es fast geschafft hätte, ihn an sich zu binden, hat er ein Lasso um den Hals. Ben Affleck wirkt unglücklich in dieser Inszenierung, ungeschickt hineingestellt in immer neue Liebesposen oder ins Zentrum kreisförmiger Kamerabewegungen, von denen es um beide Paarkombinationen herum unzählige gibt.

Schließlich Javier Bardem: In Einstellungen aus leichter Untersicht erscheint sein massives Profil wie gemeißelt, traurig die Augen, in die hineinzusehen uns die Großaufnahmen immer wieder zwingen. Das schwarze Priesterhabit steht ihm gut, es hebt ihn umso mehr heraus aus dem Pulk der Freaks, die offenbar seine Klientel darstellen: ausgemergelte Menschen mit verwitterten Gesichtern und langen, fettigen Haaren, mit faltigen Armen, auf denen ausgebleichte Tattoos prangen. Sonderlinge, die Weisheiten sprechen, so der alte Schwarze, der in der Kirche die Fenster putzt. Man könne, so lehrt er den Priester, das Licht berühren. Und so be-greifen sie gemeinsam das bunte Glas, immer näher rückt die Hand des Priesters an die des alten Mannes. Das von Malick zusammengestellte Skurrilitätenkabinett wird erweitert um die Insassen einer Haftanstalt, wo der Pater Dienst tut; wieder sind es durch Essensklappen gestreckte, tätowierte Arme, die er streichelt, Köpfe mit wirrer Haartracht, die sich ihm in Demut zuneigen – es gibt in Malicks Wunder-Universum keinerlei normale Menschen, sein Personal hält sich an den beiden entgegengesetzten Rändern einer Schön-Hässlich-Skala auf; dazwischen ist Leere.

Leer ist der ganze Film, der Abgesang eines womöglich schon immer überschätzten Regisseurs, der für zwanzig Jahre vom Inszenieren Abstand nahm. Man kann darüber spekulieren, was ihn bewogen hat, wieder damit anzufangen. Wahrscheinlich ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte.