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Wiener Festwochen – Die Lust am Dynastischen – Emmanuelle Seigner und Louis Garrel spielen Pinter

Die Lust am Dynastischen

| Gerhard Midding |

Zwei Objekte der Begierde: Louis Garrel und Emmanuelle Seigner in Harold Pinters „Die Heimkehr“.

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Sie haben sich beide ganz schön gemausert. Dass sie einmal solch hohe Weihen erlangen würden, war bei ihren Anfängen noch nicht abzusehen: Unter Luc Bondy spielen sie nun in einem Klassiker von Harold Pinter, und überdies auch noch an der Seite des großen Bruno Ganz! Bei ihrem Festwochen-Gastspiel kann man sehen, welch weiten Weg Emmanuelle Seigner und Louis Garrel jeweils zurückgelegt haben.

Ihr Debüt im Kino stand unter einem unglücklichen Stern; auch wenn es verheißungsvoll zu beginnen schien. Gleich ihren zweiten Filmauftritt hat sie in einer Nebenrolle bei Jean-Luc Godard, der ihr nach der Zusammenarbeit bei Détective eine große Karriere voraussagte: im Pornogeschäft. Ihr eigentlicher Entdecker wurde dann Roman Polanski, dessen Gefährtin sie erst nach einigem Zögern und trotz beträchtlichen Argwohns wurde. Immerhin war sie bei ihrer Begegnung schon volljährig. Man hätte sie leicht für ein durchtriebenes Partygirl halten können. Auf einschlägigen Fotos von gemeinsamen Nachtclubbesuchen ist sie in unbekümmerter Achtziger-Jahre-Freizügigkeit zu bewundern; ihr Dekolleté ist zumeist so tief, dass es ihren Busen eher freilegt als verhüllt. Den Verdacht, sie habe an Polanskis Seite Nastassia Kinskis Nymphenrolle übernommen, konnte ihr Auftritt in Frantic erst einmal nicht ausräumen. Da wirkt sie noch wie ungebändigtes Rohmaterial, eher eine mysteriöse Behauptung als eine echte Schauspielerin. Ihrem Regisseur durfte man allerdings unterstellen, ein begrenztes Talent vorteilhaft zur Geltung gebracht zu haben.

Er hingegen hat seine Berufung schon früh gefunden. Was aus ihm geworden ist, verblüfft deshalb nicht weniger. Er stand bereits im Alter von fünf Jahren zum ersten Mal vor der Kamera, unter der Regie seines Vaters Philippe Garrel. Als er erwachsen wurde, hatte er natürlich immer noch die Wahl, in eine andere Branche zu gehen. Aber warum sollte er?

Im Familienunternehmen

Beider Herkunft verrät die Liebe des französischen Kinos zum Dynastischen. Emmanuelle Seigners Großvater Louis war Alterspräsident der Comédie-Française und begleitete als einer der verlässlichsten Charakterdarsteller fast die gesamte französische Tonfilmgeschichte, er spielte für Clouzot, Ophüls, Guitry, aber auch für Antonioni und Costa-Gavras. Ihre Mutter Françoise, ebenfalls eine bekannte Bühnendarstellerin, ist manchen Kinozuschauern vielleicht noch als Haushälterin in Truffauts Der Wolfsjunge im Gedächtnis. Ihre jüngere Schwester Mathilde ist einige Jahre nach ihr ebenfalls ein Filmstar geworden. Beide haben die hohen Wangenknochen gemeinsam, Mathildes Sinnlichkeit ist freilich robuster. Noch eine weitere Schwester hat Karriere gemacht: Marie-Emilie ist Sängerin und trat auch einmal im Film auf.

Auch Louis Garrels Großvater Maurice war ein gefeierter Schauspieler. Er spielte bei Alain Cavalier, François Truffaut und Claude Sautet sowie, oft gemeinsam mit seinem Enkel, bei seinem Sohn Philippe. Louis’ Mutter ist die Schauspielerin und gelegentliche Regisseurin Brigitte Sy (in Les Amants reguliers spielt sie seine Mutter). Sein Onkel ist der Produzent Thierry Garrel. Seine jüngere Schwester Esther trat 2008 in Louis’ erstem Kurzfilm Mes copains auf und war eine seiner Partnerinnen in La Belle personne von Christoph Honoré.

Es wäre nun ein Leichtes zu sagen, ihre Karrieren seien Louis und Emmanuelle in die Wiegen gelegt worden. Sie bekräftigen offensichtlich den französischen Glauben an die Vererbbarkeit von Talent. Auffallend viele von Louis’ Leinwandpartnerinnen sind schon mindestens in der zweiten Generation im Filmgeschäft: Julie Depardieu, Chiara Mastroianni, Eva Green (die Tochter von Marlène Jobert), Laura Smet (die Tochter von Nathalie Baye und Johnny Halliday) und Léa Seydoux (deren Großvater der Präsident des Konzerns Pathé ist und deren Großonkel die Konkurrenz Gaumont leitet).

Da Wissenschaftler jedoch bislang noch kein Schauspieler-Gen entdeckt haben, steht der Verdacht des Nepotismus im Raum. Haben sie alle nicht einen unverdienten Vorsprung gehabt, um Karriere machen zu können? Die Beziehung Garrels zu seiner Filmschwester Eva Green in Bertoluccis Die Träumer mag man fast als Anspielung auf das inzestuöse französische Filmgeschäft lesen. Die permanente Bildung von Dynastien (sie existieren ja sogar bei Filmkritikern: Jean-Michel-Frodon, der ehemalige Redakteur von „Le Monde“ und den „Cahiers du cinéma“ ist der Sohn des Filmhistorikers Pierre Billard; Michel Ciments Sohn Gilles war einige Zeit Redakteur bei der Zeitschrift „Positif“) ist eine Selbstverständlichkeit, weil sie nahe liegt angesichts eines derart eingebetteten Heranwachsens. Auf einem Filmset oder hinter der Bühne groß zu werden, ist schließlich weit glamouröser und inspirierender, als zuzuschauen, wie die Eltern als Bäcker, Schlosser oder Versicherungsvertreter die Familie ernähren.

In Louis Garrels Filmen setzt sich allerdings auch eine ästhetische und thematische Tradition des französischen Kinos fort. Sie stehen für die Kontinuität des Autorenfilms seit der Nouvelle Vague. Mitunter wirkt er wie ein mürrischer, versponnener Nachfahre Antoine Doinels. In Christoph Honorés Chansons d’amour lebt er mit zwei Frauen zusammen, was genauso lustvoll und kompliziert ist wie in Jean Eustaches Die Mama und die Hure. Mithin ist Louis nicht in die Fußstapfen seines Großvaters getreten, sondern in die Jean-Pierre Léauds. Aber auch der gehört praktisch zur Familie: Er ist sein Patenonkel.

Auf eigene Rechnung

Emmanuelle Seigners spätere Filme mit Polanski vermochten den Zweifel an ihrem Talent noch nicht wirklich entkräften. Ihre Rollen als Domina in Bitter Moon und als dämonische Verführerin in Die neunte Pforte wirken eher so, als wolle ihr Regisseur das Publikum einweihen in die erotische Weltläufigkeit seiner Ehefrau. Wenn sein Plan Realität geworden wäre, mit ihr Mary Reilly zu verfilmen (was später Stephen Frears mit Julia Roberts tat), hätte ihre Karriere womöglich anders verlaufen können. So jedoch musste sie zuschauen, wie sie eine Berühmtheit blieb und stattdessen ihre jüngere Schwester ein veritabler Filmstar wurde. In Filmen wie Schöne Venus und Eine Schwalbe macht den Sommer spielte sich Mathilde in die Herzen des französischen Publikums. Sie erfüllte dessen Sehnsucht nach bodenständigen, patenten Stars in der Tradition von Annie Girardot und Simone Signoret. Sie nutzte gewissermaßen den Vorteil, in der zweiten Reihe zu stehen.

Ihre ältere Schwester hat von ihr gelernt. In den letzten Jahren hat sich Emmanuelle zum Charakterstar entwickelt. Sie brillierte als verlassene, aber loyale Lebensgefährtin Mathieu Amalrics in Schmetterling und Taucherglocke, erspielte der entfremdeten Ehefrau in Affären à la Carte die Würde einer Sinnsucherin. Zuletzt bewies sie in François Ozons In ihrem Haus, dass sie in Ensemblefilmen aufgehen, aber dennoch einen starken Eindruck hinterlassen kann. Sie wirkt befreiter, gelöster, wenn sie nicht unter der Regie ihres Ehemannes spielt. Im wirklichen Leben hat sie sich als treusorgende Mutter und aufopferungsvolle Ehefrau (zumal nach der Verhaftung Polanskis in der Schweiz) erwiesen. Mittlerweile ist sie auch als Sängerin erfolgreich. Man darf gespannt sein, welche Facetten sie in Venus in Furs offenbart, wo sie zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt wieder unter der Regie ihres Ehemannes spielt.

Die männliche Hauptrolle sollte übrigens ursprünglich Louis Garrel spielen, der dann aber durch Mathieu Amalric ersetzt wurde. Garrel bleibt dem Kino seines Vaters weiterhin treu – seinen größten Triumph feierte er in Les Amants réguliers, für den er einen César als bester Nachwuchsdarsteller erhielt. Er hat freilich auch eine neue Familie gefunden und gehört zum engen Kreis von Christoph Honoré. Bei ihm kann er ein heitereres Register ziehen. Fünfmal war er dessen Hauptdarsteller, hat für ihn alle Verrücktheiten der Liebe durchlebt und ist gemeinsam mit ihm reifer geworden. Lange war er mit Valeria Bruni-Tedeschi liiert, die selbst weiß, was es heißt, aus einer prominenten Familie zu stammen und zwei Filme mit ihm inszeniert hat. Mit seinem widerborstigen Haarschopf, der leicht düsteren Schönheit und der lässigen Zigarette zwischen den sinnlichen Lippen ist er eine glamouröse Kinofigur geworden, ein Frauenschwarm aus dem Geist des Autorenfilms.

Gruppenbild mit Dame

In Luc Bondys Inszenierung von Pinters „Heimkehr“ gibt er sich mit einer kleineren Rolle zufrieden. Er verfügt über Bühnenerfahrung, der Regisseur hat ihn vor einigen Jahren schon in einem Stück von Botho Strauß besetzt. Seigner hingegen schreckte vor dem Theater immer ein wenig zurück. Polanski wollte sie als seine Partnerin in einer Adaption von Kafkas „Verwandlung“, sie gab jedoch schon bei den Leseproben eingeschüchtert auf. Als sie für ihn die Hedda Gabler im Pariser Marigny spielte, erntete sie spöttische Kritiken. Die Rolle der Ehefrau Ruth, die das Begehren aller männlichen Verwandten ihres Mannes auf sich zieht, ist mithin eine echte Feuerprobe. Ihre erotische Verfügbarkeit in dieser Familienhölle wendet sie jedoch geschickt zu ihren Gunsten, reißt allmählich die Macht an sich in dem Männerhaushalt. „Ihre Puppenhaftigkeit“, schrieb ein Kritiker nach der Premiere im letzten Oktober, „nimmt im Lauf des Abends stetig ab.“ Besser lässt sich ihre Karriere nicht beschreiben.