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Ein Dossier Games – Ein Überblick über den hochdifferenzierten Spiele-Markt

It’s all in the game

| Achim Fehrenbach |

Die Videospiel-Industrie ist im Wandel: Next Gen, Digitalvertrieb, Free-to-Play, Mobile Games und Immersion sind ein paar der bestimmenden Schlagwörter. Ein Überblick über den mittlerweile hochdifferenzierten Spielemarkt und über technische Trends.

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Die Geschichte der Computerspiele steckt voller Umbrüche. Die Markteinführung des Heimcomputers C64 Anfang der achtziger Jahre. Der Siegeszug des Gameboy in den frühen Neunzigern. Der Wettlauf von Playstation und Xbox nach der Jahrtausendwende. Oder auch das Jahr 2006, als Nintendo mit der Wii-Konsole Bewegungssteuerungen populär machte. Vieles spricht dafür, dass die kommenden anderthalb Jahre ähnlich spannend werden. Große Erwartungen liegen dabei auf „Next Gen“. Die aktuelle Konsolengeneration geht ihrem Ende entgegen, Playstation 3 und Xbox 360 haben bereits sechs respektive sieben Jahre auf dem Buckel. Sony will seine PS4 im Weihnachtsgeschäft 2013 lancieren; Konkurrent Microsoft hat [Stand: Redaktionsschluss] noch keinen Veröffentlichungstermin genannt, wird mit der neuen Xbox aber möglichst bald nachziehen. Die Anbieter versprechen mehr Rechen- und Grafikpower, neue Spiele und Zusatzfunktionen. Allerdings haben sich die Voraussetzungen für einen Konsolen-Launch grundlegend geändert – in den vergangenen Jahren hat die Games-Branche einen Wandel vollzogen, der weit über einzelne Hardware-Veröffentlichungen hinausgeht. Dieser Wandel ist noch im Gange: Er bestimmt darüber, wie wir Games künftig erleben werden.

Es sind vor allem drei Trends, die der Branche ihren Stempel aufdrücken: Digitalvertrieb, Free-to-Play und Mobile Games. Vorbei sind die Zeiten, als Spiele nur auf Datenträgern Verbreitung fanden. Mit der Zunahme von DSL-Anschlüssen entwickelten sich Download-Plattformen zur ernsthaften Alternative. Pionier war die US-amerikanische Valve Corporation („Half-Life“, „Portal“) mit ihrem Dienst Steam: 2003 als Anbieter von PC-Games gestartet, verkauft Steam nun auch Spiele für Mac OS, Linux, die Playstation und Smartphones/Tablets. Die Konsolenhersteller errichteten mit dem Xbox Live Marketplace (2005), dem PlayStation Store (2006) und dem Wii Shop Channel (2006) ihre eigenen digitalen Vertriebskanäle; auch Publisher wie Ubisoft und Electronic Arts schufen eigene Download- und Multiplayer-Plattformen (Uplay 2009, EA Origin 2011) und werden diese Angebote weiter ausbauen, während der stationäre Handel an Bedeutung verliert. Aus Kundensicht sind Download-Plattformen keineswegs unproblematisch: Die Aufzeichnung des Nutzerverhaltens wird von den Firmen zwar mit einer „Service-Optimierung“ begründet, wirft aber datenschutzrechtliche Fragen auf. Auch teils rigide Kopierschutzmechanismen sorgen für Verdruss – zum Beispiel dann, wenn die Spiele eine permanente Internetverbindung verlangen. Insgesamt bereichert der Digitalvertrieb jedoch die Spielelandschaft – auch deshalb, weil unabhängige Studios ihre Produkte ohne Umwege anbieten können. Minecraft etwa existierte anfangs nur als kostenpflichtige Alpha-Version – mittlerweile hat das Klötzchen-Spiel die Marke von 20 Millionen verkauften Exemplaren überschritten. Etabliert sind inzwischen auch die sogenannten Indie-Bundles: Pakete aus kleineren Spielen, bei denen der Käufer oft selbst den Preis bestimmen kann.

Schwierige Konsolidierung

Der weitaus größte Umsatz wird in den meisten Ländern noch immer mit Konsolengames gemacht. In Deutschland ging er jedoch zuletzt leicht zurück, weil die „alten“ Heimkonsolen an Attraktivität verlieren – nicht nur für Spieler, sondern auch für Firmen, die ihre Spiele lieber jetzt schon für die nächste Konsolengeneration produzieren. Für Österreich lagen bei Redaktionsschluss keine aktuellen Marktzahlen vor, der Österreichische Verband für Unterhaltungssoftware (OVUS) will aber demnächst neue Statistiken veröffentlichen. Auf Platz zwei der umsatzstärksten Plattformen folgt meist der PC – nicht zuletzt deshalb, weil Steam sich großer Beliebtheit erfreut. Die größte Dynamik entfaltet jedoch der Markt für Smartphone- und Tablet-Games. Die Spiele kosten nur wenige Cent, erreichen aber teils sehr hohe Verkaufszahlen – allein die erste Version von „Angry Birds“ erzielte 12 Millionen Downloads. Der Erfolg dieser Games macht vor allem den Mobilkonsolen zu schaffen. So ist die Playstation Vita leistungsfähiger als sämtliche Smartphones, ihr Download-Shop bietet aber ungleich weniger Spiele als App Store und Google Play – und das auch noch zu erheblich höheren Preisen. Der Nachschub an attraktiven Vita-Spielen ist mittlerweile derart zurückgegangen, dass sogar die Zukunft der Sony-Konsole gefährdet ist. Mit Nachschubproblemen kämpft übrigens auch Nintendos Next-Gen-Heimkonsole WiiU. Deren Gamepad-Controller ermöglicht zwar neue Konzepte wie das Spielen mit verteilten Rollen – doch gibt es derzeit einfach keine „System Seller“, die den Kauf der WiiU interessant machen. Bedenklich: Spielegigant Electronic Arts hat gerade verkündet, keine weiteren WiiU-Titel zu entwickeln.

Eine weitere Herausforderung für die Konsolen sind die immer zahlreicheren Browser- und Facebook-Spiele. Zwar sind Social Games wie „Farmville“ einfach gestrickt und wenden sich an Gelegenheitsspieler – weniger also an die klassische Coregamer-Zielgruppe, die sich teure Konsolen kauft, um stundenlang in epischen Abenteuern zu schwelgen. Zugleich wächst aber auch die Nachfrage nach komplexen Browsergames – und wird durch Spiele wie die Wirtschaftssimulation „Anno Online“ auch bedient. Plattformübergreifende Grafik-Engines wie Unity sorgen zudem dafür, dass Action-Spiele im Browser und auf Smartphones/Tablets immer besser aussehen. Grafisch reichen sie zwar nicht an hochauflösende Konsolenspiele heran, kosten aber auch keine 60 oder 70 Euro. Stattdessen gehorchen sie dem Free-to-Play-Prinzip: Die Grundfunktionen sind kostenlos – wer virtuelle Ausrüstungsgegenstände und schnellere Spielfortschritte haben möchte, zahlt drauf. 2012 stieg der Anteil deutscher Spieler, die virtuelle Items kaufen, um immerhin 27 Prozent. Auch immer mehr Online-Rollenspiele schwenken von monatlichen Abo-Gebühren auf Free-to-Play um – man denke nur an Tera, The Secret World oder Star Wars: The Old Republic.

Auf den Konsolen fand Free-to-Play bisher kaum statt: Die Hersteller wollten das Preisgefüge nicht gefährden. Doch Titel wie „DC Universe Online“ und das kürzlich erschienene „Dust 514“ sind Vorboten einer Trendwende – Free-to-Play soll fester Teil der nächsten Konsolengeneration werden. Zwar ist es umstritten, weil es finanzkräftige Spieler tendenziell bevorteilt („Pay to Win“). Die Einstiegshürde ist bei einem solchen Spiel aber weitaus niedriger als bei einem 60-Euro-Titel, weshalb die Publisher früh mit einer großen Spielerbasis rechnen können. Die Firmen sind gezwungen, sich nach neuen Geschäftsmodellen umzusehen, das haben die Pleiten der vergangenen Monate (Atari, THQ, 38 Studios) eindrucksvoll gezeigt. Wirklich berechenbar sind nur Cash-Cows wie „Fifa“ oder „Call of Duty“ – mit der Folge, dass immer mehr Sequels und immer weniger originelle AAA-Games produziert werden. Originalität hat vor allem in der Independent-Szene eine Chance: Auf Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter, wo gute Ideen durch Spenden von Fans finanziert werden können, bewegen sich längst auch kleine und mittlere Spielentwickler. Einige Projekte erreichen dabei erstaunliche Zahlen; Branchenveteran Chris Roberts zum Beispiel hat für seinen Raumschiffsimulator „Star Citizen“ schon fast 10 Millionen US-Dollar von 177.000 Unterstützern eingesammelt.

Auch um Hardware-Projekte zu finanzieren, wird zunehmend Crowdfunding genutzt. Ein prominentes Beispiel ist die stationäre Android-Konsole Ouya, die 8,5 Millionen US-Dollar an Unterstützergeldern einsammelte und voraussichtlich noch diesen Sommer erscheint. Ouya werden gute Marktchancen eingeräumt, weil sie nur 120 Euro kostet und von zahlreichen Publi-shern unterstützt wird. Das Konzept – günstige Android-Games fürs Wohnzimmer – muss sich aber erst bewähren; in jedem Fall ist es der genaue Gegenentwurf zu Next Gen. Außer Ouya gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Konsolen, die den Weg ins Wohnzimmer suchen: etwa der Android-basierte GameStick, der per USB ans Fernsehgerät angeschlossen werden kann, oder auch die Steam Box, mit der Valve eine standardisierte Plattform für PC-Spiele schaffen will. Eine erste Version („Piston“) dieses Mini-PCs soll satte 1000 US-Dollar kosten; günstigere Modelle werden wohl erst 2014 erscheinen.

Immersion und Vernetzung

Alles in allem haben wir es heute mit einem hochdifferenzierten Spielemarkt zu tun. Wer spielen will, kann das im heimischen Wohnzimmer oder unterwegs in der U-Bahn, allein oder mit Freunden, kostenlos oder gegen Geld. Die Wahlfreiheit bedeutet aber auch, dass Zielgruppen stärker fluktuieren: Ein Konsument, der über Facebook zu Spielen fand, wird vielleicht irgendwann eine Konsole kaufen; jemand, der früher nächtelang in MMOs (Online-Gemeinschaftsspielen) unterwegs war, wird als Berufstätiger vielleicht nur noch kurzweilige Casual Games zocken. Wie wirkt sich diese Entgrenzung auf die nächste Heimkonsolen-Generation aus? Hersteller Sony hat auf seiner Präsentation im März eine erste Antwort gegeben: Die PS4 soll sich durch schiere Grafik- und Rechenleistung abheben, zugleich aber auch all jene Funktionen bieten, die Spieler von anderen Plattformen kennen, sprich: eine bessere Anbindung an Social Media, an Smartphones, Tablets und an die PS Vita. Per Knopfdruck auf dem PS4-Controller wird man das Spielgeschehen live auf der Videoplattform Ustream veröffentlichen und so mit Freunden teilen können. Mobilgeräte werden zu Second Screens, die Zusatzinformationen einblenden oder als Touchscreen-Controller dienen. Darüber hinaus plant Sony die Integration von Cloud-Based Gaming: Dabei werden Spiele von einem zentralen Server auf die Konsole gestreamt. Dies könnte vor allem bei älteren, inkompatiblen Spielen und bei Demo-Versionen zum Tragen kommen, ist aber nur mit schnellen Internetverbindungen möglich. Mit zusätzlichen Musik- und Videodiensten will Sony die PS4 auch als Medienzentrale/Set-Top-Box im Wohnzimmer etablieren.

Von all den Zusatzfunktionen sollte man sich nicht täuschen lassen: Das Hauptanliegen von Next Gen ist Immersion – die Spieler sollen möglichst tief in virtuelle Welten eintauchen. Die PS4 wird dafür zunächst einmal die technische Grundlage bieten: Sony verwendet für den Bau keinen Cell-Prozessor mehr, sondern einen x86-Prozessor mit acht Kernen, kombiniert mit einer erweiterten PC-Grafikkarte. Diese Hinwendung zur PC-Architektur soll nicht nur genügend Rechen- und Grafikleistung bieten, sondern auch die Entwicklung von Spielen vereinfachen und mehr Firmen zum Mitmachen motivieren. Vieles spricht dafür, dass auch Microsoft mit seiner neuen Xbox diesen Weg einschlagen wird.

Schon jetzt steht eine Reihe von PS4-Spielen fest. Neben bekannten Franchises („Final Fantasy“, „Infamous“, „Killzone“, „The Witcher“) wird es auch eine Reihe neuer Titel geben, zum Beispiel das Sci-Fi-Abenteuer „Watch Dogs“ und die Rennsimulation „DriveClub“. Besonders „Watch Dogs“ (Ubisoft) klingt sehr vielversprechend: Als Hacker erledigt der Spieler in einer Großstadt verschiedenste Sabotage- und Spionage-Missionen; er manipuliert dabei Ampelanlagen, Überwachungssysteme und Datenbanken. Immersion dürfte bei „Watch Dogs“ vor allem durch die Interaktion mit einer offenen, glaubwürdig gestalteten Spielwelt (Vorbild: Chicago) entstehen. Nun ist Immersion nicht zwangsläufig an einen hohen Realismusgrad gekoppelt – auch abstrakte Strategiespiele können uns völlig ins Geschehen eintauchen lassen. Gleichwohl werden es sich die AAA-Studios nicht nehmen lassen, die Möglichkeiten neuer Grafik-Engines auszureizen. Eines der interessantesten Projekte ist „Beyond: Two Souls“, das aber nicht etwa auf den Next-Gen-Konsolen, sondern noch auf der PS3 erscheint (8.10.). In dem Spiel des französischen Studios Quantic Dream („Heavy Rain“) steuert man eine junge Frau, die mit übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet ist. Das Besondere: Per Motion Capture hat das Studio 23.000 verschiedene Animationen erstellt, um Mimik und Gestik der Figuren realitätsnah abzubilden. Chef-Designer David Cage beruft sich dabei auf die Produktion von Hollywood-Filmen. Für die Hauptrollen verpflichtete er die Schauspieler Ellen Page und Willem Dafoe – ein Indiz dafür, wie wichtig ihm glaubwürdige, ausdrucksstarke Spielfiguren sind. Cage sieht sich gleichermaßen als Regisseur und Game-Designer – und hat als langfristiges Ziel die Überwindung des „Uncanny Valley“ ausgegeben. Bei Quantic Dream arbeitet man auch bereits an einem PS4-Spiel, das diese Entwicklung weiter vorantreiben soll. Einen Vorgeschmack gibt die bei YouTube abrufbare „Kara“-Techdemo.

Der Traum vom Holodeck

Während die Studios immersive Welten schaffen, tüfteln die Hardware-Hersteller weiter an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Microsoft entwickelt seine Bewegungssteuerung Kinect weiter, damit sie genauer auf Spieler-Eingaben reagiert; auch Sony wird seine Playstation Eye mit einer zweiten Kamera zur Tiefenwahrnehmung ausrüsten. Auch auf dem Gebiet der Augmented Reality könnte sich noch einiges tun: Erst kürzlich stellte Microsoft unter dem Titel „IllumiRoom“ eine Technologie vor, die das Spielgeschehen über die Grenzen des Fernsehers hinaus auf die umliegenden Wände projiziert. Einen ordentlichen Schub dürfte das Thema 3D-Gaming erhalten, wenn 2014 die Virtual-Reality-Brille Oculus Rift erscheint. Ihre Tiefenwirkung erzielt die Brille durch ein LCD-Display, das zwei überlappende Bilder generiert; zeitgleich registriert Oculus Rift die Kopfbewegungen des Spielers und passt die Perspektive entsprechend an. Demo-Vorführungen mit Spielen wie „Team Fortress 2“ überzeugten die Tester; zahlreiche Studios unterstützen das Projekt. Gerade in Kombination mit Bewegungssteuerungen könnte die 3D-Brille den Traum vom Holodeck – zumindest teilweise – verwirklichen.

Achim Fehrenbach lebt als freier Journalist in Berlin. Er schreibt unter anderem für den „Tagesspiegel“, „Zeit Online“ und „Telepolis“.