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The Grandmaster – Production Designer William Chang im Gespräch

Ich habe gern freie Hand

| Ralph Umard |

Es wird oft übersehen, wie sehr und wie maßgeblich William Chang Suk-ping, der stets bescheiden im Hintergrund bleibt, als Cutter, Kostüm- und Produktionsdesigner in Personalunion alle Filme von Wong Kar-wai und ihren fulminanten „Look“ maßgeblich mitgestaltet. Zuvor hatte er als Art Director für Nachwuchsregisseure wie Patrick Tam (Love Massacre, Nomad), Stanley Kwan (Love Unto Waste), Tony Au (I Am Sorry) oder Yim Ho (Homecoming), die ab 1979 für eine neue Blütezeit des kantonesischen Kinos sorgten, zur Professionalisierung des Production Designs in Hongkong beigetragen, wo es lange als Nebensache angesehen worden war. Beim Interview im Vorfeld der diesjährigen Berlinale schildert Chang, 1953 als Spross einer aus Shanghai stammenden Familie in Hongkong geboren, seinen Werdegang und die Zusammenarbeit mit Wong Kar-wai, der ebenfalls aus Shanghai stammt.

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Wie kamen Sie denn zum Film und zum Production Design?
Nach der High School arbeitete ich bei zwei Filmen von Cecile Tang (The Arch, China Behind) als Regieassistent mit. Dabei war ich auch mit der Ausstattung beschäftigt, zu der Zeit engagierte man noch keinen Art Director. Dann ging ich nach Vancouver, um Film zu studieren. Nach meiner Heimkehr, etwa 1977, konnte ich in Hongkong keine Arbeit finden, weil ich fünf Jahre im Ausland gelebt hatte. Nach einem Jahr Untätigkeit begann ich, mich mit Modedesign zu beschäftigen, aber ohne es zu studieren. Als Patrick Tam einen Art Director suchte, übernahm ich den Job – so fing ich an. Damals war man auch für Kostüme, Styling, Make-up, Frisur zuständig, für den kompletten Look, und für die Sets.

Bei The Grandmaster wird auch Alfred Yau als Produktions- und Kostümdesigner genannt. Wie ging die Zusammenarbeit vonstatten?
Er ist ein langjähriger Mitarbeiter, speziell bei Wongs Filmen, aber er wirkt auch bei einigen anderen Filmen als Art Director mit. Wir arbeiten jedenfalls immer zusammen. Bei diesem Film entwarf ich den Look der Sets, und er begann daraufhin mit der Gestaltung. Er hat auch viel recherchiert, die Details betreffend. Gemeinsam diskutierten wir über das Design und die Raumgestaltung.

Sie entwerfen ja meist auch die Kostüme.
Ja. Da habe ich eine Assistentin, die mir hilft, die Details bei der Kostümgestaltung umzusetzen. Ich zeichne die Kostümentwürfe selber, wähle die Stoffe aus. Ich liebe es, für Filmproduktionen shoppen zu gehen: Requisiten, Kleider, Stoffe, Möbel, alles. In diesem Fall war ich in Hongkong, Beijing, Shanghai und Guangzhou einkaufen. Ich sehe mich auch nach Accessoires, Stickereien, Schmuck und Steinen um, die dann eingefasst werden für Ohrringe, Ringe, Broschen, was auch immer.

Bereits zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie bei einer Großproduktion gearbeitet. Wie kamen Sie bei Zu: Warriors from the Magic Mountain mit Regisseur Tsui Hark zurecht, der als Kontrollfreak berüchtigt ist?
Das war mein erster Kostümfilm. Tsui ließ mir ziemlich freie Hand. Wir schauten uns Kleider auf alten chinesischen Gemälden an, sprachen darüber, und ich machte mir Gedanken über die Stoffe. Ich begann mit den Kostümen für Lin Ching-hsia. Mindestens zwei Wochen lang probierten wir Nacht für Nacht Kostüme an, von sechs Uhr abends bis sechs oder sieben in der Früh. Schließlich entschieden wir uns für einen Look und testeten ihn vor der Kamera, mit Ventilatoren, Wind und allem … und, nun ja, Tsui war ziemlich zufrieden damit. Für Frisuren und Setgestaltung war ich auch zuständig, wobei mir natürlich viele Leute behilflich waren. Danach arbeitete ich immer wieder mal mit Tsui, etwa bei The Blade, einem Film, der mir immer noch sehr gefällt.

Wie lernten Sie Wong Kar-wai kennen?
Über Patrick Tam. Sieben Jahre bevor Wong Kar-wai seinen ersten Film drehte, schrieb er ein Drehbuch für Patrick. Ich arbeitete für Patrick, und so wurden wir miteinander bekannt. Wenn wir mit unserer Arbeit fertig waren, gingen wir häufig zusammen aus und unterhielten uns in einem Coffee Shop bis in den frühen Morgen. So ging das sieben Jahre lang, und eines Tages rief er mich plötzlich an und sagte, dass er seinen ersten Film dreht, und da war es natürlich naheliegend, dass ich der Art Director sein würde. Ich schnitt auch den ganzen Film: As Tears Go By.

Aber in den Credits werden Peter Chiang und Hai Kit-wai genannt …
… aber Wong Kar-wai musste den Abgabetermin einhalten, und er drehte noch immer, und er fragte mich, ob ich den Film schneiden könne. Ich sagte, okay.

Wo haben Sie denn Filmschnitt gelernt?
Schon in der Schulzeit habe ich kleine Sachen geschnitten. Wenn der Unterricht vorbei war, habe ich mir eine Reihe von belichteten Filmstreifen besorgt und mich im Schnitt versucht.

Learning by doing …
Ja, ich liebe Filmschnitt! Als Regieassistent von Cecile Tang war ich nach Abschluss der Dreharbeiten beim gesamten Schnittprozess dabei, bei der ganzen Postproduktion, und ich lernte von ihr, während sie schnitt. So fing ich an, As Tears Go By zu schneiden … und da mein Boss keine Zeit hatte, ließ er mich machen. Das hat mir großen Spaß gemacht! Dabei denke ich nie daran, ob ich einen Credit oder sonstwas erhalte.
Also haben Sie, wenn ich das richtig verstehe, den Rohschnitt gemacht. Christopher Doyle erzählte mir einmal, dass er mit Ihnen selbständig zu drehen begann, während Wong Kar-wai im Hotelzimmer noch mit dem Skript beschäftigt war. Doyle verglich diese freie Arbeitsweise damals mit Jamming im Jazz.
Jaja, genau, und ich liebe diese Art zu arbeiten. Weil man selber etwas kreativ schaffen kann, anstatt auf Leute zu hören, die einem sagen, was man zu tun hat. Das ist ein Vergnügen, und wenn man richtig Freude beim Filmen hat, gibt man sein Bestes.

Selbst, wenn sich Dreharbeiten viele Überstunden lang hinziehen?
Ja, das macht mir nichts aus. Wenn man freie Hand hat und einem die Arbeit so sehr gefällt wie mir, dann empfindet man sie nicht als ermüdend.

Wie sah denn Ihre Zusammenarbeit mit Christopher Doyle aus, als dieser noch mit Wong Kar-wai arbeitete?
Das war wirklich wie Jammen. Ich baut das Set, mit einigen reflektierenden Oberflächen, die er beim Filmen so schätzt. Bei Days of Being Wild arbeiteten wir das erste Mal zusammen. Ich wusste nicht, was er mochte, oder was Wong wollte. In Hongkong sind die Wohnverhältnisse sehr beengt, so benutzte ich eine Menge Spiegel. Und weil ich all die französischen, italienischen, europäischen Filme schätze, habe ich etwas Symbolik eingebracht, mittels Wanduhren beispielsweise, so Arthouse-Zeug eben. (Lacht.)

Die Uhren waren also Ihre Idee?
Die Uhren, Spiegel, all diese philosophische Symbolik, und dann drehten sie und nutzten einiges davon.

Als ich den Film 1991 bei der Berlinale sah, kam mir die Grüntönung der Bilder seltsam vor.
Das war Absicht. Ich benutzte bei den Sets viel Türkis. Meistens habe ich keinen vorgefassten Plan. Ich beginne mit dem Hauptset, und da habe ich mich für diese Farbe entschieden, ich weiß nicht warum. (Lacht.) Davon ausgehend gestaltet man dann die anderen Sets, und da man den ganzen Look konsistent machen muss, wurde er schließlich grün. Wir hatten ja damals auch noch keine digitale Farbabstimmung.

Gibt Wong Kar-wai Ihnen Vorgaben für die Szenenbilder?
Bei Days of Being Wild haben wir erstmals ein richtiges Filmset gebaut. Ich baue also das Set, er schreibt das Drehbuch. Dann kommt er und sieht sich um, aus welchen Blickwinkeln er drehen kann. Er verschiebt vielleicht ein Bett, um die Kamera besser positionieren zu können. Generell aber wurde wenig verändert. Bei dem Film gab es keine Vorgaben. Aber allmählich, nach dem dritten, dem vierten Film, begann sein Stil Form anzunehmen. Da wusste er, was er wollte und erklärte mir, dass er im Schlafzimmer aus diesem oder jenem Blickwinkel drehen möchte. Er fand zu seinem Stil, hatte seine eigene Sichtweise, seinen Look.

Bei In the Mood for Love gelangte er dann zur absoluten Meisterschaft.
Dabei hatten wir mit dem außerordentlichen Erfolg des Films gar nicht gerechnet. Zu der Zeit wurde in Hongkong eine Reihe von Filmen produziert, die in den Sixties spielen. Die gefielen uns nicht. Wir hatten jene Zeit selber bewusst miterlebt, ich bin ja 1953 geboren, er 1958, also meinten wir, es besser machen zu können. Und weil wir beide aus Shanghai stammen, geht es um Leute aus Shanghai. Da kenne ich mich mit Wohnungseinrichtungen und Kleiderstilen gut aus. Es geht also um eine Sekretärin, ich setzte stark gesättigte Farben ein, schuf eine Menge Texturen, das war’s.

The Grandmaster wurde in der Provinz Guangdong und im hohen Norden Chinas gedreht. Verödet die einst blühende Hongkonger Filmindustrie?
Es gibt da ja noch immer viele kleine Produktionen. Die großen Filmprojekte werden aber in China produziert, weil der Markt dort viel größer ist. Es geht allein um den Markt.

Sind die Arbeitsbedingungen dort anders als in Hongkong?
Wenn ich in China arbeite – gewöhnlich mit Hongkong-Regisseuren – bringe ich mein eigenes Team mit, also ist die Arbeit unproblematisch. Chinesische Regisseure haben jedoch eine andere Mentalität. Sie sagen: Ich will dies, und du musst das tun. Das behagt mir nicht, denn ich muss jemandem gehorchen und ihm geben, was immer er will. Ich habe eigene Vorstellungen, die ich einbringen möchte. Doch da kann man nicht argumentieren, und selbst wenn man es tut, verliert man. Aber ich habe bisher erst zweimal mit chinesischen Regisseuren gearbeitet. Bei The Flowers of War war ich nur fürs Kostüm zuständig, und da hatte ich weitgehend freie Hand. Zhang Yimou sagte mir, dass er wenig Ahnung davon hat, was Frauen in jener Zeitperiode trugen, und so ließ er mir große Freiheit bei der Kostümgestaltung.